Angestellte an der elektronischen Leine

Ein Bericht für eine britische Gewerkschaft macht auf die zunehmende Ausstattung von Angestellten im Handel mit tragbaren Computern aufmerksam, durch die sie weitgehend dem Diktat der kontrollierenden Informationssysteme unterworfen werden

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In Großbritannien macht die Gewerkschaft GMB darauf aufmerksam, dass im Handel immer mehr Angestellte mit tragbaren Computern (wearable computing) aller Art an die "elektronische Leine" gehängt werden. Die Gewerkschaft, die über 600.000 Mitglieder hat, warnt davor, dass damit die Angestellten nicht mehr nur permanent überwacht werden, die Arbeitsbelastung enorm ansteigt und zugleich der Raum für eigenverantwortliche Tätigkeiten gegen Null schrumpft, sondern dass die Angestellten als Verlängerungen der Informationstechniken auch den Weg zu einer vollständigen Automatisierung bahnen.

In den Supermärkten und Warenlagern sowie im gesamten Warenvertrieb werden, so hat Mike Blakemore, Professor für Geographie an der Durham University für die Gewerkschaft recherchiert, bereits eine ganze Reihe von tragbaren Geräten für Angestellte eingesetzt, mit denen diese mit dem Hauptcomputersystem über Funknetzwerke verbunden und ihr jeweiliger Standort teilweise über GPS genau lokalisiert werden kann. Solche Minicomputer werden wie elektronische Hand- und Fußfesseln für Straftäter auf Bewährung an Armen getragen (Handgelenk-Terminals). Zusätzlich gibt es einen kleinen Scanner, der an einem Ring an einem Zeigefinger befestigt wird. Eine andere Variante sind Westen, in denen Computer mit Funkverbindung und GPS-Empfängern eingearbeitet sind. Mit dem "Talkman" können die Angestellten über Spracherkennung mit dem Managementsystem "sprechen". Mit dem "Mobile Assistant V" von Xybernaut können ebenfalls über Spracherkennung Anweisungen und Qualitätskontrollen in Echtzeit gegeben werden. Integriert ist ein Touchpad-Display und ein Head Mounted Display (für ein Auge oder für beide) mit Ohrhörern und einem Mikrofon. Angeschlossen werden kann auch eine Kamera zur Herstellung und Übertragung von Bildern.

Die Geräte dienen dazu, jede Tätigkeit der Angestellten minutiös zu kontrollieren und zu steuern. So erhalten Angestellte im Lager Befehle aus dem Verkaufsbereich, welche Produkte sie an welchen Stellen im Lager mit möglichst kurzen Wegen nehmen und in die Regale stellen müssen. "Die einzige Rolle", so die Gewerkschaft, "für die Angestellten ist, das zu machen, was der Computer ihnen befiehlt." Es wird ausgerechnet, wie lange die Angestellten für ihre festgelegten Wege benötigen, welche Pausen ihnen zustehen, wie lange sie sich auf der Toilette aufhalten dürfen. Die Menschen können nur noch das selbständig entscheiden, was noch nicht berechnet und automatisiert werden kann.

Die Gewerkschaft bezeichnet die Überwachungstechnologien als menschenunwürdig. Sie würden die Angestellten vergleichbar mit Hühnern in einer Legebatterie machen. Eingeführt worden sind die tragbaren Computer vor einem halben Jahr, mittlerweile schreiben sie bereits 10.000 Angestellten ihre Arbeit in Ketten wie Tesco, Sainsbury's oder Marks & Spencer vor. Paul Kenny, der Vorsitzende der GMB, erklärte, die Gewerkschaft sei keine Organisation von Maschinenstürmern, aber die Menschen dürften nicht durch die Art, wie diese Technik eingesetzt wird, zu Sklaven gemacht werden: "Wir werden nicht zusehen, wie unsere Mitglieder zu Maschinen reduziert werden." Erwartungsgemäß haben Arbeitgeber dazu eine andere Einstellung. Sie betonen nicht nur die steigende Effizienz, sondern auch, wie die Peacock Retail Group, dass die Technik einen "positiven Einfluss auf die Teammoral" habe: "Die Geräte sind einfach zu benutzen. Das Team findet, dass es damit seinen Job einfacher ausführen kann. Das wiederum führt zu Effizienzverbesserungen." Tesco wiederum behauptet, man habe die Systeme nicht zur Überwachung eingeführt, sondern um die Arbeit zu erleichtern.

Wissenschaftler wie Martin Dodge vom Centre for Advanced Spatial Analysis am University College London warnen davor, dass solche Überwachungstechnologien am Arbeitsplatz "das Verschwinden des Verschwindens" mit sich bringen, also dass der Angestellte nichts mehr machen kann, ohne dass die Maschine dies registriert. Und Mike Blakemore, der Autor der Studie, sagt, dass der Mensch in solchen Systemen nur noch ein integriertes Teil wie alle andere Maschinen ist. Sobald die Automatisierung intelligent und flexibel genug geworden sei, wäre der Menschen auch verzichtbar:

Der Einsatz von Headsets, Stimmerkennung und Handgelenk-Terminals lassen die Menschen in Wirklichkeit zu einer Verlängerung der Informationssysteme werden, die hinter der Versorgungskette stehen.

Wenn allerdings Arbeitsplätze bereits so gestaltet wurden, dass sie im Prinzip vollautomatisiert werden können, auch wenn Robotern noch die körperliche Flexibilität fehlt, dann dürfte der Erhalt solcher Arbeitsplätze auch nicht gerade ein wichtiges Thema der Gewerkschaften sein. Technik heißt, dass Tätigkeiten, die zuvor von Menschen oder anderen Lebewesen ausgeführt wurden, verbessert und letztlich ersetzt werden. Das Problem ist, wenn das Ersetzen der menschlichen Arbeit durch Automation zur Arbeitslosigkeit führt oder menschliche Arbeitskraft im Verhältnis zu maschineller in vielen Bereichen wie in der industriellen Revolution zu teuer wird, ohne dass gleich neue Arbeitsplätze entstehen oder viele Menschen für die entstehenden nicht die erforderlichen Kompetenzen besitzen.