Warnung vor Überwachungswahn

Hamburger Datenschutzbeauftragter kritisiert politische Sicherheitsmaßnahmen als schwerwiegende Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht

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Einen Hang zum "Überproduzieren von Sicherheit seit dem 11. September" bescheinigte dieser Tage der Hamburger Datenschutzbeauftragte Hartmut Lubomierski den verantwortlichen Politikern in Land und Bund. Er kritisierte u.a. die Novelle zum Hamburger Polizeigesetz des Innensenators Udo Nagel (parteilos) als massiven Eingriff in die Privatsphäre. Unterdessen legte die Hamburger SPD einen eigenen Entwurf für ein neues Polizeigesetz vor, über den die Bürgerschaft am Donnerstag zu beraten hat. Ob das SPD-Papier dem Datenschützer mehr zusagen wird als die Vorlage des Innensenators, ist indes fraglich. Die von Lubomierski beanstandete Ausweitung der Videoüberwachung ist Kernstück auch der SPD-Vorlage. Die Notwendigkeit dieser Maßnahme ist zwischen den beiden großen Parteien unstrittig und Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) sieht darin einen zentralen Ansatzpunkt in der Verbrechensbekämpfung.

Videokameras sind weitgehend unbemerkt zu ständigen Begleitern in unserem Alltag geworden. "Dieser Bus" oder "dieser Zug ist Video überwacht", prangt in großen Lettern in nahezu jedem Fahrzeug der Hamburger Verkehrsbetriebe – und nicht nur dort, auch in anderen Städten wird der öffentliche Personennahverkehr streng kontrolliert. Jedes Kaufhaus, inklusive Umkleidekabinen, wird überwacht, ebenso ist über jedem Bankautomaten eine Videokamera angebracht. Auch an öffentlichen Plätzen werden verstärkt Videokameras eingesetzt.

Schon im August 2004 setzte die Hamburger CDU sich zum Ziel, mit einem neuen Polizeigesetz "Maßstäbe für die Sicherheitsstandards in Deutschland" zu setzen. Innensenator Nagel wurde beauftragt, eine Gesetzesnovelle zu erarbeiten, die er im Herbst 2004 vorlegte. Darin sind z.B. verdachts-unabhängige Kontrollen festgeschrieben, die überall, jederzeit und bei jeder beliebigen Person durchgeführt werden können. Außerdem soll ein Aufenthaltsverbot für bestimmte Orte bis zu 12 Monaten verhängt werden können, man will Elektroschockpistolen für die Polizei einführen und die Dauer der Polizeihaft verlängern, den finalen Rettungsschuss sowie die präventive Telekommunikationsüberwachung, die Ortung von Handys und die Abfrage sowie Speicherung von Verkehrsdaten regeln. Besonders lag Nagel die Ausweitung der Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen am Herzen.

Im Prinzip sind die sicherheitspolitischen Vorstellungen von CDU und SPD identisch – nicht nur in Hamburg: Überall werden ähnlich restriktive Polizeigesetze diskutiert. Die Hamburger SPD kritisierte zwar Nagels Vorlage und kündigte einen eigenen Entwurf an. Der wurde im November 2004 der Öffentlichkeit vorgestellt, unterscheidet sich jedoch erwartungsgemäß nicht sonderlich von Nagels Vorschlag. Die Sozialdemokraten plädieren z.B. für eine etwas kürzere Dauer des Unterbringungsgewahrsams sowie die Anordnung von Rasterfahndung durch Richter statt wie bisher durch den zuständigen Innensenator. Ferner konstatierte die SPD "besorgniserregende Waffenbestände in der Stadt", deshalb soll die Polizei künftig bei jeder Kontrolle nach Waffen suchen dürfen. Außerdem sollen die Rechte der Opfer von häuslicher Gewalt gestärkt werden. Z.B. prügelnde Ehemänner sollen aus der Wohnung entfernt und im Widerholungsfalle in Gewahrsam genommen werden können.

Datenschützer Lubomierski mahnte, der geplante verstärkte Einsatz von Videokameras könne zur Überwachung des gesamten Stadtgebietes ausufern. Damit werde das individuelle Recht beschnitten, sich an öffentlichen Orten "unbeobachtet und unerfasst" bewegen zu können. Die geplanten verdachtsunabhängigen Personenkontrollen könnten zur Folge haben, dass künftig "jedermann jederzeit kontrolliert und sogar zwangsweise zur Polizeiwache gebracht werden" könne. Ferner kritisierte er die von Schily angekündigten Sicherheitsmaßnahmen zur WM 2006. Für einen Datenaustausch zwischen Polizei, Verfassungsschutz und dem Deutschen Fußballbund (DFB) sieht er "keinerlei Rechtsgrundlage".

Lubomierski zeigte sich erstaunt, dass der Abbau der demokratischen Grundrechte "ohne großen öffentlichen Widerstand" vonstatten gehe. Er erinnerte an die Bewegung gegen die Volkszählung 1986. Damals habe es sogar Boykotte gegeben, dabei sei jeder Antrag auf Arbeitslosengeld II in Bezug auf die Weitergabe persönlicher Daten heute "schlimmer als die damaligen anonymisierten Fragebögen".