Einem nackten Radler kann man nicht in die Tasche greifen

Wer nacktradeln will, soll es einfach machen und nicht nutzlos die Gerichte beschäftigen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Sie haben wieder den Sieg davongetragen, die Wächter von Sitte, Moral und Anstand! Dem Unsinn Einhalt geboten, jawoll! Jetzt können die unbotmäßigen Nacktradler, wieder in Jacke, Hose und Schuhe gezwungen, gehorsam die Hacken zusammenschlagen, hat doch das Verwaltungsgericht Karlsruhe am 7. Juni entschieden, dass das Landratsamt zu Rastatt das Nacktradeln am Weltnacktradeltag von Iffezheim zur Landkreisgrenze zu Recht verboten habe (Az: 6 K 1058/05).

Man fühlt sich, als hätten Wigald Boning und Olli Dittrich den längst verklungenen „Lieder(n), die die Welt nicht braucht“ ein neues Oeuvre hinzugefügt, nun auf Justitia gemünzt. Die Qualität der Entscheidung, insbesondere die Begründung, nährt die Vermutung, die holde Justitia würde unter Verdauungsproblemen leiden oder habe gar schlecht geschlafen: „Es widerspreche nach wie vor den allgemein anerkannten Regeln der ungeschriebenen Gesellschaftsordnung, sich auf öffentlichen Straßen nackt zu zeigen“, formuliert es da justizlich aus Karlsruhe.

Immerhin räumen die Richter ein, dass sich die Einstellung zum Nacktbaden an Stränden und in Schwimmbädern gewandelt hat. Es verletzte jedoch auch heute „in besonderem Maße das Schamgefühl des größten Teils der Bevölkerung“, an Orten, wo völlige Nacktheit nicht zu erwarten sei, „unfreiwillig nackten Menschen gegenüber zu stehen“.

Scheußlich, fürwahr. Sind wir nicht, seit vor rund drei Jahrzehnten die ersten Nackten durch den Englischen Garten in München flanierten, eigentlich längst anderswo? Regiert nicht anstatt den anerkannten Regeln der ungeschriebenen Gesellschaftsordnung der gesunde Menschenverstand, wenigstens manchmal?

Das könnte so gehen: Wer nackt Rad fahren (und entsprechend frieren oder sich einen Sonnenbrand holen will, je nach Wetter), soll es tun. Wen es stört, der soll wegschauen. Wem es als Radler dann doch peinlich ist, der soll es nachts im Dunkeln tun, aber die Beleuchtung einschalten, damit er keinen anderen Nacktradler rammt. Das, halten die Verwaltungsrichter dagegen, verhindere nicht, dass die geplante Aktion „grob ungehörig“ sei und daher eine Ordnungswidrigkeit darstelle. Die Interessen der Radler müssten zurücktreten, wenn die Aktion von einer Mehrheit „missbilligt“ werde. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, leider.

Klingt alles irgendwie päpstlich. Selbiger Benedikt hat, vermelden Agenturen, just am selben Tag die so genannte Homo-Ehe als Form anarchischer Freiheit, die sich fälschlicherweise als wahre Befreiung des Menschen darstellen wolle, geratzingert; ebenso wie die "wilde" Ehe und die Sexualität ohne Zeugungsabsicht. Etliche Radiosender machten hieraus allerdings die verkürzte Meldung, der Papst habe sexuelle Beziehungen zwischen Schwulen und Lesben explizit verurteilt – womit er mit jenen vermutlich sogar einer Meinung wäre…

Da kann einem anders werden: Das Urteil aus Karlsruhe, das päpstlich-unbarmherzige, ja lieblose Dictum aus der Lateran-Basilika und der gute Deutsche, der inzwischen durch Abmahnungen und Strafzettel so gut dressiert ist, dass er für jeden Unfug eine höchstrichterliche Erlaubnis braucht und tatsächlich nicht mehr ohne vorherigen Kauf einer Bahnsteigkarte demonstriert, wie Tucholsky einst lästerte – und das Demonstrieren prompt sein lässt, weil es keine Bahnsteigkarten mehr gibt, schon gar nicht mit aufgedruckter Demonstrationsgenehmigung und Anleitung, wie lange und gegen was demonstriert werden darf. Wo bleibt die Freiheit, nicht so sein zu müssen, wie mich andere haben wollen? Und was kommt demnächst aus Berlin?