Schlampen, Manipulieren, Fälschen

Über die mangelnde Ehrlichkeit der Forscher

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Wissenschaftler sind auch nur Menschen, und wenn sie forschen, machen sie wie alle anderen Fehler. Schlampereien passieren immer wieder, aber manche unterschreiben mit ihrem Namen auch Fachartikel, deren Inhalt sie nicht wirklich kennen, andere verändern ihren Forschungsansatz, weil Geldgeber das möchten, oder ignorieren Daten, weil sie nicht in das erwünschte Ergebnis passen. Die Spitzenreiter fälschen sogar die Resultate.

Wissenschaftliche Studien genießen eine hohe Glaubwürdigkeit. Die veröffentlichten Ergebnisse sollten nachvollziehbar sein, tatsächlich von den angegebenen Autoren selbst erarbeitet und nichts sollte verschwiegen werden. Die Wissenschaft sollte integer sein, die Forscher unvoreingenommen und unbestechlich, alle Untersuchungsdaten verfügbar. Das ist der Anspruch, der im Raum steht. Tatsächlich hat es in der Wissenschaftsgeschichte aber immer schon Fälle von Manipulationen, geistigem Diebstahl und Fälschungen gegeben.

Schon der Astronom Ptolemäus soll Daten gefälscht haben

Kürzlich erregte die Tatsache, dass in Deutschland namhafte Wissenschaftler aus dem Gesundheitsbereich ihre Studien von der Tabakindustrie bezahlt bekamen, viel Aufmerksamkeit. Führende Köpfe des Forschungsbetriebs sahnten bis Anfang der neunziger Jahre große Summen für ihre Untersuchungen ab. Wie der Spiegel berichtete, spendeten die Zigarettenkonzerne nicht uneigennützig: Sie wollten die Forscher gezielt instrumentalisierten, um die Gefahren des Rauchens herunterzuspielen – das belegen firmeninterne Unterlagen. Martina Pötschke-Langer, Leiterin des Zentrums für Tabakkontrolle der Weltgesundheitsorganisation in Heidelberg reagierte entsetzt:

Es ist besonders verwerflich, dass sich ausgerechnet Gesundheitswissenschaftler von der Tabakindustrie haben kaufen lassen, damit ignorieren sie den frühzeitigen Tabaktod von Hunderttausenden Deutschen.

Schon Ptolomäus klaute Daten

Wissenschaftler stehen unter gewaltigem Druck, Ergebnisse zu produzieren. Das war schon immer so und damit ist immer die Versuchung im Raum, dort nachzuhelfen, wo die eigene Forschung nicht belegt, was als Hypothese angenommen wurde. Bereits Ptolemäus (um 85 bis ca. 165 n. Chr.), soll nie gemachte Beobachtungen beschrieben und Ergebnisse von seinem Kollegen Hipparchos geklaut haben.

Es mangelt nicht an herausragenden Beispielen in der Wissenschaftsgeschichte. Als Weltmeister der neueren Zeit gilt vielen der britische Psychologe Sir Cyril Burt, der seine Intelligenz-Studien mit fiktiven Daten belegt haben soll (The intelligence fraud). Die Kontroverse über diese Fälschungen dauert bis heute an, zumindest hat Burt aber die Namen von Assistenten, die als Co-Autoren fungierten, schlicht erfunden (The Cyril Burt Affair).

Intellektuelle Ehrlichkeit zeichnete auch deutsche Forscher nicht immer aus. Legendär ist der Skandal in der Krebsforschung, der so genannte "Sündenfall der deutschen Forschung". 1997 kam heraus, dass die Professoren Friedhelm Herrmann und Marion Brach in großem Umfang Daten für ihre Studien manipuliert hatten (Task Force: Unstimmigkeiten auch im Umfeld von Friedhelm Herrmann).

Traurige Berühmtheit errang auch der Physiker Jan Hendrik Schön, der schon als potenzieller Nobelpreiskandidat gehandelt wurde, als sich 2002 Unstimmigkeiten in den vielen Artikeln ergaben, die er in fast wöchentlichem Rhythmus zu angeblich neuen Forschungsergebnissen veröffentlichte (Schön die Wissenschaft zum Narren gehalten).

Seine spektakulären Entdeckungen erwiesen sich als nicht nachvollziehbar, purer Lug und Trug. Renommierte Wissenschaftszeitschriften mussten seine Texte zurückziehen und schließlich wurde Schön im Jahr 2004 der Doktortitel entzogen, weil sich nach Meinung der Universität Konstanz "der Inhaber durch sein späteres Verhalten der Führung des Grades als unwürdig erwiesen hat“ (Letzter Akt in Wissenschafts-Betrugsskandal).

Physiker Jan Hendrik Schön (Bild: Nature)

Last but not least sollte in dieser Reihe noch der Frankfurter Anthropologe Reiner Protsch von Zieten Erwähnung finden, der nach dem Bericht einer Untersuchungskommission 30 Jahre lang immer wieder wissenschaftliche Fakten manipulierte oder sogar fälschte. Protsch ist inzwischen in den Ruhestand versetzt, seine Datierungen menschlicher Schädel werden überprüft. Die Universität entschuldigte sich öffentlich bei allen durch ihn Geschädigten (Fall Protsch: Präsidium zieht Konsequenzen).

Der ehemalige Professor liegt im Rechtsstreit mit der Universität. Ein Ende der Geschichte kam aber zumindest bereits für das Frankfurter Institut für Anthropologie und Genetik, das Protsch früher leitete. Es wurde im April 2005 geschlossen (Protokoll eines Wissenschaftsthrillers).

Kleinere und größere Vergehen

In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Nature berichten Brian C. Martinson von der Health Partners Research Foundation in Minneapolis sowie Melissa S. Anderson und Raymond de Vries von der University of Minnesota über Wissenschaftler, die sich schlecht benehmen. Es geht den Autoren darum, hinter die Kulissen zu schauen, die Verhältnisse zu durchleuchten und dazu anzuregen, den Wissenschaftsbetrieb so zu verändern, dass Fehlverhalten besser ausgeschlossen werden kann.

Wenn Forscher nicht integer arbeiten, schadet das der Reputation und der öffentlichen Unterstützung der Wissenschaft. Die Regeln sind eigentlich allen bekannt und in den USA gibt es seit 2000 eine klare Definition wissenschaftlichen Fehlverhaltens des US Office of Science and Technology Policy unter den drei Schlagwörtern Fabrikation, Fälschung und Diebstahl geistigen Eigentums (Federal Policy on Research Misconduct).

Aber diese Richtlinien helfen nur bedingt weiter, denn die großen Fälschungen und Plagiate sind nur die Spitze eines Eisbergs, der viele kleine Verfälschungen aus den verschiedensten Gründen enthält. Die fragwürdigen alltäglichen Praktiken sollten künftig besser kontrolliert werden.

Das Team um Martinson verschickte mehr als 7500 Fragebögen an US-Wissenschaftler verschiedener Karrierestufen aus dem Gesundheitsbereich. Anonymität war zugesichert und abzüglich der per Post nicht Erreichbaren antwortete fast die Hälfte der Angeschriebenen. Mithilfe von Experten wurden realistische Fragen entworfen, die sich in einen Top-10-Bereich mit Fehlverhaltensmustern, die bei Sanktionen nach sich ziehen würden, und einen weiteren Bereich mit weniger schlimmen Vergehen gliederten.

(Bild: Martinson/Anderson/de Vries)

Ein Drittel der befragten Wissenschaftler gab an, in den letzten Jahren wenigstens einmal eine Verfehlung der Top-10 "begangen" zu haben. Heftiges Fehlverhalten wie Plagiate oder echte Fälschungen gaben nur jeweils weniger als zwei Prozent zu. Daten zurück gehalten zu haben, weil sie vorangegangenen eigenen Forschungsergebnissen widersprachen, gestanden sechs Prozent und den eigenen Forschungsansatz auf Wunsch von Geldgebern verändert zu haben sogar 15,5 Prozent. Ganz düster sieht es auch im Bereich der Datenarchivierung aus, 27,5 Prozent hätten Schwierigkeiten, die von ihnen verwendeten Daten tatsächlich zur Verfügung zu stellen.

Insgesamt ist das Bild, das sich aus der Befragung ergibt, erschreckend. Mehr als ein Viertel der Forscher schlampt nach eigenen Angaben mit wissenschaftlichen Daten und immerhin 1,5 Prozent begehen geistigen Diebstahl. Martinson und Kollegen ziehen das Fazit, dass mehr Licht ins Dunkel der Arbeitsbedingungen in den Elfenbeintürmen eingelassen werden sollte:

Bisher wurde dem weitere Forschungsumfeld bezüglich der Gefährdung der wissenschaftlichen Integrität wenig Beachtung geschenkt. Es ist für die Wissenschaftsgemeinde nun an der Zeit zu prüfen, welche Aspekte der Umgebung besondere Bedeutung für die Forschungsintegrität haben und welche Aspekte besonders einfach zu verändern sein könnten, sowie welche Veränderungen wahrscheinlich besonders wertvoll für die Absicherung der Integrität der Wissenschaft wären.