"Auch Bush und Cheney stehen nicht über dem Gesetz"

Weil die US-Regierung mit falschen Begründungen in den Irak-Krieg gezogen ist, fordert der ehemalige Präsidentschaftskandidat Ralph Nader die Amtsenthebung

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Als der britische Premier Tony Blair am Dienstag in Washington zu Gesprächen mit US-Präsident Bush eintraf, sollte es vorrangig um die Entwicklungshilfe für Afrika gehen. Doch der Irak-Krieg dominierte die Agenda. Vor allem der US-Präsident steht wegen des Feldzuges unter Druck. Nach einer aktuellen Umfrage der Washington Post und des Fernsehsenders ABC glaubt mehr als die Hälfte der US-Bürger inzwischen nicht mehr, dass der “Krieg gegen den Terrorismus” ihr Land sicherer mache. Dies war bislang ein Hauptargument der Bush-Regierung.

So beschränkten sich die beiden Staatschefs bei der gemeinsamen Pressekonferenz darauf, alte Positionen zu wiederholen. “Wir stehen fest im Kampf gegen den Terror zusammen”, sagte Bush, “um Sicherheit und Freiheit in Irak, Afghanistan und dem Mittleren Osten zu sichern und um die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu verhindern." Tony Blair wies derweil Vorwürfe von sich, wonach der Angriff auf Irak lange vor der Invasion im März 2003 beschlossen gewesen sei. Die USA und Großbritannien hätten sich erst zum Angriff entschieden, als Saddam Hussein sich geweigert habe, internationales Recht zu erfüllen.

Der ehemalige US-Präsidentschaftskandidat Ralph Nader arbeitet als Rechtsanwalt in Hartford im US-Bundesstaat Connecticut. Telepolis sprach mit ihm über seinen Versuch, ein Amtsenthebungsverfahren gegen die Regierungsspitze einzuleiten.

Ralph Nader

Sie plädieren für ein Amtsenthebungsverfahren gegen George W. Bush und seinen Vertreter Richard „Dick“ Cheney, weil sie Tatsachen vorgetäuscht hätten, um den Angriff auf Irak zu rechtfertigen. Eigentlich ist das doch ein alter Hut, oder gibt es neue Fakten?

Ralph Nader: Die letzte Bestätigung für diese Vorwürfe lieferte das so genannte Downing Street Memo, das die britische Tageszeitung The London Times am 1. Mai veröffentlicht hat (Hinter der Theaterbühne). Darin werden Gespräche zwischen dem britischen Premier Tony Blair und seinen führenden Beratern am 23. Juli 2002 wiedergegeben, acht Monate vor dem Angriff auf den Irak also. An dem Treffen nahmen neben Tony Blair auch Richard Dearlove, der damalige Direktor des Auslandsgeheimdienstes MI-6, und einige seiner Sicherheitsberater teil. Dearlove berichtete, dass die Bush-Regierung einen “präventiven Angriff” auf Irak plane. Er hatte das bei Treffen mit US-Regierungsvertretern, in Washington erfahren, von denen er gerade zurückgekehrt war.

Seinem Bericht zufolge war es für Präsident Bush schon im Sommer 2002 beschlossene Sache, Irak anzugreifen und Saddam Hussein zu stürzen. Dearlove erklärte auch, dass der Krieg “durch die Verbindung zwischen Terrorismus und Massenvernichtungswaffen” in Irak begründet werden sollte. Man muss ihm zugute halten, dass er zugleich seine Position erklärte. Danach seien die tatsächlich vorliegenden Informationen den politischen Zielen untergeordnet worden. Der britische Außenminister Jack Straw hat diese Version später bestätigt. Wichtig zu erwähnen ist, dass die Authentizität des Dokumentes bislang nicht widerlegt werden konnte.

Aber war der Inhalt des “Downing Street Memos” nicht schon vorher bekannt?

Ralph Nader: Es gab eine Reihe von Hinweisen und Indizien. Zum ersten Mal aber erklärt in dem Protokoll ein hochrangiger Vertreter der Allianz, dass die Informationen manipuliert wurden, um den Angriff auf Irak zu rechtfertigen. Aber sie haben recht: Eine ganze Reihe von Institutionen innerhalb und außerhalb der USA hatten vor dem Angriff ihre Zweifel an den Vorwürfen aus Washington geäußert. Zu ihnen gehörte die Internationale Atomenergiebehörde, das US-Außenministerium unter Colin Powell, andere US-Ministerien, das Luft- und Raumfahrtzentrum der US-Luftwaffe und die CIA. Sie alle meinten, dass die Vorwürfe von Bush und Vizepräsident Cheney der Grundlagen entbehrten, besonders was die unterstellten Verbindungen des Saddam-Regimes zu Al-Qaida oder den Anschlägen von 11. September betrifft. Aber jedes Mal, wenn solche Zweifel öffentlich geäußert wurden, taten Bush und Cheney dies ab. Und sie konnten mit der massiven Unterstützung der Massenmedien rechnen. Ende August 2002 etwa erklärte Cheney. “Einfach gesagt, es gibt nicht mehr die geringsten Zweifel, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen besitzt." Und Präsident Bush sagte im September jenes Jahres. “Das irakische Regime besitzt biologische und chemische Waffen." Er warnte sogar vor “Atompilzen” über den Vereinigten Staaten.

Nun setzten Sie sich für ein Amtsenthebungsverfahren, ein so genanntes impeachment, gegen Bush und Cheney ein. Das Paradoxon ist ja, dass das letzte Verfahren dieser Art gegen Präsident William Clinton angestrengt wurde. Der Auslöser waren damals seine sexuellen Beziehungen. George W. Bush hat die Nation auf der Basis falscher Tatsachen in einen Krieg geführt. Obwohl dieser Fall zweifelsohne schwerer wiegt, ist von einer Amtsenthebung keine Rede. Worauf führen Sie das zurück?

Ralph Nader: Ich bin nicht sicher, ob Ihre Frage fair ist. Man kann nicht sagen, dass von einer Amtsenthebung in den USA keine Rede mehr sei; diese Option wird durchaus diskutiert. Seit der Veröffentlichung des Downing Street Memos haben 100.000 US- Bürger eine Petition von Senator John Conyers (Demokratische Partei) an Präsident Bush unterzeichnet. Diese Bewegung hat im Internet unter AfterDowningStreet.org eine Plattform geschaffen. Dieses und zahlreiche weitere Foren unterstützen die Forderung nach einem Amtsenthebungsverfahren gegen Bush. Aber den Leuten ist natürlich klar, dass es ein harter Kampf sein wird, den von der Republikanischen Partei kontrollierten Kongress zu Anhörungen im Rahmen eines Amtsenthebungsverfahrens zu bewegen. Aber harte Kämpfe wurden auch schon vorher gefochten – und gewonnen.

In der US-Tageszeitung Boston Globe haben Sie kürzlich geschrieben, dass sowohl der Präsident als auch der Vizepräsident bislang “die Frage geschickt umschifft haben”, ob die US-amerikanische Bevölkerung getäuscht wurde. Wie wollen Sie ihn zur Stellungnahme zwingen?

Ralph Nader: Jede offizielle Untersuchung beginnt mit einem Auskunftsbegehren. Erst dann würde entscheiden werden, ob ein Amtsenthebungsverfahren gerechtfertigt ist. Ein solches Verfahren besteht in den USA aus mehreren Schritten. Wenn sich die Anklagen in den ersten Anhörungen bestätigen, wird das Abgeordnetenhaus über die Aufnahme des unmittelbaren Verfahrens zur Amtsenthebung entscheiden. Ein solches Votum des Abgeordnetenhauses wäre gleichbedeutend mit einer Anklage. Das eigentliche Verfahren läuft dann im Kongress. Er entscheidet, ob der Präsident verurteilt wird.

Welche Chancen rechnen Sie sich aus?

Ralph Nader: Für wichtiger als die unmittelbaren Chancen halte ich, dass eine solche Untersuchung das Thema weiter in die Öffentlichkeit bringen würde. Schon dadurch wären Präsident Bush und der Vizepräsident Cheney zur Stellungnahme zu der zentralen Frage gezwungen: Hat die Regierung uns alle mit manipulierten Informationen über Massenvernichtungswaffen, über die Verbindungen Saddam Husseins zu Al-Qaida und über die Gefahren des irakischen Regimes in die Irre geführt?

Sie sagen aber doch selber, dass der Kongress - sowohl der Senat als auch das Abgeordnetenhaus - von der Republikanischen Partei kontrolliert wird. Seit dem Beginn des so genannten Krieges gegen den Terrorismus hat der Kongress die Regierungspolitik verlässlich gestützt. Weshalb sollte sich das bei einem Amtsenthebungsverfahren ändern?

Ralph Nader: Das Abgeordnetenhaus ist politisch tief gespalten, außerdem bereiten sich die Mitglieder auf die Wahlen im kommenden Jahr vor. Wenn die regierungstreuen Abgeordneten die Vorwürfe auch weiterhin zu vertuschen helfen, dann wird ihnen der Unmut in der Bevölkerung zum Verhängnis werden. Schon jetzt ist der Kongress auf einem Tiefpunkt seiner Popularität angelangt. Umfragen zufolge ist nur ein Drittel der Bevölkerung mit seiner Arbeit zufrieden. Die Abgeordneten werden wohl oder übel akzeptieren müssen, dass ihre politischen Karrieren gefährdet sind, wenn sie die Regierung weiter decken. Eine wachsende Anzahl der US-Amerikaner spricht sich für einen Rückzug der Truppen aus dem Irak aus und ebenfalls eine Mehrheit glaubt inzwischen sogar, dass es ein Fehler war, den Krieg zu beginnen.

Inwieweit tragen die berüchtigten Anti-Terror-Gesetze dazu bei, eine öffentliche Debatte über den Krieg zu verhindern?

Ralph Nader: Ich kann nicht sagen, ob es einen direkten Zusammenhang mit diesen neuen Gesetzen gibt. Ohne Zweifel ist es in Kriegszeiten aber schwerer, den Oberkommandierenden der Streitkräfte zu stürzen. Aber die Lage in Irak verschlechtert sich von Tag zu Tag und für die Menschen hier ist am Ende nur eines entscheidend: Macht der Präsident als Oberkommandierender der Streitkräfte einen guten Job? Im Moment sieht es nicht danach aus. Nach einigen Umfragen sind nur noch 37 Prozent der US-Amerikaner mit seiner Art der Kriegsführung zufrieden. Und schließlich ist es nie falsch, die Staatsführung einer demokratischen Kontrolle zu unterziehen, besonders wenn sie Fehler begeht. Denn auch der Präsident und der Vizepräsident stehen nicht über dem Gesetz.

Wenn aber nun alle Versuche scheitern: Könnten Bush und Cheney nicht international zur Verantwortung gezogen werden?

Ralph Nader: Wohl kaum. Die US-Regierung hat den Internationalen Gerichtshof nie anerkannt. Deswegen hat dieses Gremium keinen Zugriff auf US-Bürger, geschweige denn auf Mitglieder der Regierung.