Der Traum von der internationalen Gerechtigkeit

Auf einer Konferenz in Berlin ging es um die Möglichkeiten eines internationalen Strafsrechts

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"Zur Zukunft und Gegenwart der universellen Jurisdiktion" lautete das sehr fachspezifische Motto einer am Wochenende vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein gemeinsam mit dem US-amerikanischen Center for Constitutional Rights organisierten Konferenz im Berliner Abgeordnetenhaus. Es ging um die Frage, ob das Internationale Strafrecht ein Mittel zur Durchsetzung von Gerechtigkeit und zur Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen sein kann.

Die Bemühungen für eine weltweite Bestrafung von Straftaten reichen zurück bis zur Zeit nach dem 1. Weltkrieg. Aber erst nach den beispiellosen Verbrechen des deutschen Faschismus wurden mit dem Nürnberger Strafgerichtshof erste Ansätze eines internationalen Strafrechts geschaffen. In der letzten Zeit gehen Opfer staatlicher Unterdrückung mit Hilfe des Internationalen Strafrechts gegen die Täter vor, die oft dafür gesorgt haben, dass sie im eigenen Land für ihre Verbrechen nicht zur Rechenschaft gezogen werden können.

Am Bekanntesten ist der jahrelange dauernde Kampf chilenischer Demokraten für die Bestrafung des chilenischen Militärdiktators Pinochet. An diesem Fall zeigt sich auch die Begrenztheit des juristischen Instrumentariums. Zwar wurde Pinochet für einige Wochen in Großbritannien verhaftet und in Chile selbst laufen diverse Klagen gegen ihn. Doch immer dann, wenn es zu einer Anklage kommen könnte, wird der alternde Diktator für verhandlungsunfähig erklärt.

Nun ist es kein Zufall, dass erst seit wenigen Jahren Menschenrechtsorganisationen das Mittel des Internationalen Strafrechts für sich entdecken. Es war ein Rettungshalm angesichts der Unmöglichkeit, die Verhältnisse im eigenen Land so zu ändern, dass die Täter dort zur Rechenschaft für ihre Verbrechen gezogen können. Erst die Erkenntnis, dass beispielsweise in Chile nach dem Abgang von Pinochet, wenn schon nicht soziale Gerechtigkeit, so wenigstens doch ein funktionierender bürgerlicher Rechtsstaat etabliert werden kann, rückte die Waffe des Internationalen Strafgerichts in den Mittelpunkt.

Stumpfes Schwert gegen dicke Bretter?

Aber ist das Internationale Strafgericht nicht genau wie die UN oder andere internationale Organisationen ein stumpfes Schwert? Der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, der als Sprecher der Koalition gegen die Straflosigkeit die Klage mehrerer Menschenrechtsopfer aus Lateinamerika vertritt, wollte sich einer solch pessimistischen Sicht nicht anschließen. Es gehe dabei um ein Bohren dicker Bretter", benutzte er eine viel strapazierte Metapher.

Ein besonders dickes Brett dürfte das Verfahren gegen den US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und weitere führende US-Verantwortliche sein, das mittlerweile zum Prestigefall des Internationalen Strafrechts zählt und auch der Anlass für die Berliner Konferenz war. Ende November 2004 hatte Wolfgang Kaleck beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe Anzeige wegen Kriegsverbrechen und Folterungen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib gestellt (Im Kampf gegen den Terrorismus sind nicht alle Mittel erlaubt). Am 10. Februar 2005 wurde die Anzeige vom Generalbundesanwalt ohne Prüfung in der Sache zurückgewiesen. Die Hauptbegründung lautete, dass die angezeigten Straftaten auch in den USA verfolgt werden könnten und daher eine Strafverfolgung durch die deutschen Behörden nicht nötig ist.

Die auf der Konferenz anwesenden US-Juristen bestreiten jedoch energisch, dass in den USA unter der Bush-Administration eine Verfolgung dieser Straftaten möglich sei. "Die Regierung müsste sich gegen sich selbst ermitteln, weil US-Justizminister Alberto Gonzalez für die Klageerhebung verantwortlich ist", meinte der New Yorker Juraprofessor Scott Horton. Er gehört gemeinsam mit dem Vizepräsidenten des CCR Peter Weiss zu den entschiedenen Befürwortern eines Verfahrens gegen Rumsfeld in Deutschland. Die Juristen erhoffen sich davon vor allem eine Unterstützunh der Opposition in den USA. Die hat sich in den letzten Wochen verstärkt geregt, wie die beiden Juristen zu berichten wussten. Selbst führende Militärs und Politiker der Republikanischen Partei stellen kritische Fragen zum Gefangenenlager Guantanamo. Darin sieht Weiss auch den Grund, dass sogar Präsident Bush erstmals öffentlich über Alternativen zu Guantanamo nachdachte.

"Isolierte juristische Bemühungen allein führen nicht zum Erfolg", betont Kaleck und plädiert für die Einbettung des Internationalen Strafrechts in eine weltweite Zivilgesellschaft. Doch vorerst ist die Utopie von der weltweit unabhängig von Machtkonstellationen agierenden Strafjustiz eine Utopie. Gerade die Problematik des UN- Tribunals in Den Haag, das die Verbrechen auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien juristisch aufarbeiten soll, zeigt das immer wieder deutlich. Die USA, die die Verantwortlichkeit eines internationalen Gerichtshofs für US-Militärs strikt ablehnt, verlangt weiterhin vehement die Auslieferung verschiedener Politiker aus den aus der jugoslawischen Erbmasse hervorgegangenen Teilstaaten. Das Urteil "mangelhafte Zusammenarbeit mit dem Tribunal" kann zur Stornierung von Krediten oder EU-Verhandlungen führen, wie kürzlich das Beispiel Kroatien zeigt. Außerdem hat das Tribunal schon klar gemacht, dass die Aktionen der Nato während ihres Krieges gegen Serbien ausdrücklich nicht ihr Gegenstand ist.