Wie Ost-Jerusalem geteilt wird

Palästinensische Häuser in Ost-Jerusalem sollen einem Park für Siedler weichen

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Mitten in Silwan liegt ein Haus in Trümmern. Nachbarn gehen achtlos daran vorbei. Sie sehen weg, wie wenn ihnen der Anblick des Haufens aus gerissenem Beton, Fensterrahmen und losen Steinen zuviel wäre. Ein Mann kommt aus der Toreinfahrt einer Baustoffhandlung auf der anderen Straßenseite. "Das war meins", sagt er. "Bis vor einem Monat habe ich hier mit meinen vier Kindern gewohnt." Muhammad Odeh (28) konnte vorerst bei Verwandten unterkommen, ein paar Straßen weiter. Aber das sei keine Lösung auf Dauer, weil auch deren Haus von der Zerstörung betroffen sei. "Sieh her", erklärt er in seinem kleinen Büro am Rande des mit Zementsäcken und anderen Baumaterialien vollgestellten Hofs, "hier ist die Zerstörungsanordnung für mein Haus." Die wurde ihm überbracht, und eines Morgens kam eine große Planierraupe, begleitet von ein paar Dutzend israelischen Polizisten, und riss sein Haus ein. Nach fünfzehn Minuten war der Spuk vorbei. Die umgerechnet 3.000 Euro Kreditrückzahlung jährlich waren umsonst. Der Besitz der jungen Familie löste sich in Nichts auf.

Muhammad Odeh, dessen Haus in Silwan vor einem Monat zerstört wurde. Foto: Peter Schäfer

Der palästinensische Ort Silwan zieht sich von den südlichen Altstadtmauern Jerusalems bis hinunter ins Kidron-Tal. Religiöse Bezüge soweit das Auge reicht. Ölberg und Zionsberg bilden natürliche Grenzen. Eine perfekte Filmkulisse für den nächsten Zehn Gebote-Streifen, entfernte man die Stromleitungen und die Satellitenschüsseln. In unblutigem Kampf, so die Legende, hat an dieser Stelle der jüdische König David vor 3.000 Jahren den Jebusiten ihre Stadt abgenommen und später die jüdischen Stämme vereinigt. Hier errichtete David eine Stadt, die seit 1867 an mehreren Stellen wieder ausgegraben wird. Unter römischer Herrschaft, so erzählt man sich, tat hier dann ein gewisser Jesus von Nazareth Wunder. Mit dem Wasser aus Siloam, dem heutigen Silwan, heilte er einen Blinden.

Wieder andere glauben daran, dass der Prophet Muhammad auf seiner Nachtreise auf die Anhöhe über Silwan kam. Sie haben ihm zu Ehren dort die Al-Aqsa-Moschee errichtet. Der Komplex ist heute die drittheiligste Stätte für Muslime und steht auf den Überresten des jüdischen Tempels, den die Römer schon mehrere Jahrhunderte zuvor zerstörten.

"Landschaft der Vorväter"

Diese Konzentration religiöser Bekenntnisse nützt den Bewohnern Silwans allerdings wenig. Der Meister über ihr Wohlergehen ist weltlicher Natur, heißt Uri Lupolianski und ist seines Zeichens Oberbürgermeister Jerusalems. Lupolianski hat beschlossen, dass das Bustan-Viertel in Silwan, 88 Gebäude, komplett abgerissen werden soll. Etwa 1.000 Bewohner sind betroffen, Muhammed Odeh und seine Familie dann bereits zum zweiten Mal. Sie werden nicht nur um ihre Notunterkunft gebracht. Herr Odeh verliert auch buchstäblich seinen Arbeitsplatz.

Anstelle des Viertels soll ein Park entstehen, "die Landschaft der Vorväter", so Stadtplaner Uri Schetrit. An einigen Stellen sollen Ausgrabungen stattfinden. In einem Brief vom November 2004 ordnete Schetrit "die Beseitigung der illegalen Bauten" im Bustan-Viertel an. Das Schreiben erklärt, dass das Gebiet die Anfänge Jerusalems vor 5.000 Jahren beherberge. Außerdem hänge es mit der Stadt Davids, die außerhalb der Altstadtmauern weiter bergauf gefunden wurde, und anderen archäologischen Stätten zusammen. Der Abriss sei kein Problem, da "mit Ausnahme von vier oder fünf Häusern am Rande des Geländes alle Gebäude illegal" seien, meint Schetrit. Eine israelische Baugenehmigung liege nicht vor. "Natürlich haben wir keine Baugenehmigung", ereifert sich ein Silwaner, der nicht genannt werden will. "Wie fast alle Palästinenser in Ost-Jerusalem kriegen wir nämlich gar keine. Aber wir müssen doch irgendwo wohnen."

Israel hat unter anderem Ost-Jerusalem im Krieg von 1967 besetzt, die Stadtgrenzen ausgeweitet und das Gebiet annektiert. Im Gegensatz zum Rest des Westjordanlands und des Gazastreifens betrachtet die Regierung in West-Jerusalem den Ostteil der Stadt als Teil des Staatsgebiets. Seither wurden erhebliche Mittel in die Ansiedlung jüdischer Israelis im eroberten Teil der Stadt gesteckt (die ca. 1 Million palästinensischen Israelis beteiligen sich nicht an dieser Politik). Insgesamt 180.000 Einwohner zählen jetzt die zehn Orte, die entweder am östlichen Stadtrand Jerusalems oder inmitten palästinensischer Wohnviertel liegen. In den vollen Genuss der Bürgerrechte und der städtischen Dienste kommen allerdings nur die jüdischen Einwohner Ost-Jerusalems. Und da die Silwaner ihren Ort nicht ausdehnen dürfen, haben sie schlichtweg im Zentrum gebaut, ohne israelische Genehmigung.

Dr. Meir Margalit bezeichnet die Gründe für die geplante großflächige Wohnraumzerstörung als "ideologisch" motiviert. "Wenn hier tatsächlich ein Park angelegt wird", sagt der Angehörige der Meretz-Partei, der von 1980 bis 2002 im Stadtrat saß, "dann ist das einer mit hohen Zäunen und Überwachungskameras. Einer, der ausschließlich den jüdischen Siedlern offen steht." Er geht allerdings davon aus, dass hier keine Grünanlagen entstehen, sondern dass mittelfristig Wohnraum für weitere Siedler geschaffen wird. "Die Stelle verknüpft die einzelnen Häuser der Siedler in Silwan", zeigt er auf einer Karte. "In Verbindung mit Siedlungen auf dem Ölberg und weiter östlich bildet sich quasi ein jüdischer Korridor von der Jerusalemer Altstadt bis nach Maale Adumim weit im Osten." Nach Margalits Ansicht wird dadurch die Zerteilung des palästinensischen Ost-Jerusalem angestrebt. "Zudem geht es darum, die Altstadt mit jüdischen Bewohnern zu umzingeln. So soll verhindert werden, dass sie Teil der Hauptstadt eines palästinensischen Staats wird, der irgendwann einmal gegründet wird."

Direkter Draht ins Rathaus

Über 200 Siedler wohnen heute in Silwan, gefördert von der Regierung. Dabei geht es nicht nur um Subventionierung von Bauvorhaben und billigen Strom. Die Regierung gibt jährlich Millionen zum militärischen Schutz seiner expansionistischen Bürger aus. "Meiner Ansicht nach haben die Siedler aber auch einen direkten Draht ins Rathaus", meint Margalit. "Sie wissen stets unglaublich schnell, wenn ein palästinensischer Bewohner eine Anordnung zur Zerstörung seines Hauses erhält oder seine Geldstrafe wegen sogenanntem illegalen Bauens nicht mehr bezahlen kann." Eines dieser unlizenzierten Häuser haben die Siedler kürzlich den verzweifelten palästinensischen Eigentümern abgekauft und wohnen jetzt darin. "Das Haus ist jetzt auf einmal nicht mehr illegal", sagt Margalit, "sie haben es sogar noch um ein Stockwerk erweitert."

Ahmad al-Wadi, einer der Anwälte der Bewohner, vor einer Karte des Bustan-Viertels. Foto: Peter Schäfer

Nur einmal seit 1967 hatten Palästinenser Erfolg gegen eine israelische Zerstörungsanordnung, erzählt Margalit. Am 1. Dezember 2004 war das. Die Stadtverwaltung erklärte das Haus eines Palästinensers für illegal. Auf demselben Platz bauten Siedler aber ein Haus, das dreimal so groß war. "Der zuständige Techniker erklärte, er habe das nicht bemerkt", lacht Margalit. "Aber dem Richter war das zuviel."

Die Bewohner des von der Einebnung betroffenen Bustan-Viertels in Silwan machen sich aber kaum Hoffnungen. Anfang Mai errichteten sie ein großes Zelt, in dem sie sich jeden Tag treffen, um Neuigkeiten auszutauschen und einen Anlaufpunkt für Interessierte zu schaffen. "Wir rechnen uns vor einem israelischen Gericht keine großen Chancen aus", so Ahmad al-Wadi, ein Anwalt der Bewohner. "Vielleicht sollten wir den Fall vor den Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte in Den Haag bringen." Er ist pessimistisch. Allerdings habe man es geschafft, Aufmerksamkeit zu erregen. Botschafter und Journalisten sehen sich die Lage vor Ort an. Anrufe kommen aus aller Welt.

Vielleicht ist das der Grund für die Anordnung von Bürgermeister Lupolianski vom 7. Juni, die Angelegenheit im Einverständnis mit den Bewohnern des Bustan-Viertels zu regeln. "Alternatives Land" soll gesucht werden, auf das die Betroffenen ausweichen können. "Das ist nur ein Ablenkungsmanöver", sagt Meir Margalit. "Das Gelände, um das es geht, liegt in Beit Hanina, nördlich von Ost-Jerusalem. Es wurde bereits vor zwanzig Jahren den palästinensischen Besitzern weggenommen. Niemand aus Silwan, der gerade um sein Haus gekommen ist, wird sich auf dem geraubten Grund und Boden seiner Leidensgenossen niederlassen."