Der Fall Usbekistan

Der Umgang der US-Regierung mit dem strategischen Partner nach dem Massaker offenbart erneut Differenzen zwischen dem Außenministerium und den Falken im Pentagon

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Die Europäische Union hat am Montag ihre Haltung zu Usbekistan deutlich gemacht. In einer Entschließung wird betont, dass man sehr besorgt ist über die Ereignisse und es bedauert, dass die usbekische Regierung keine unabhängige Untersuchung durchführen lassen will. Die EU beharrt auf einer solchen Untersuchung und erinnert das autoritäre Regime daran, dass es sich durch internationale Abkommen mit der EU und der OSZE zur Wahrung der Prinzipien der Demokratie und der Menschenrechte verpflichtet hat.

Beim "blutigen Freitag" am 13. Mai in Andischan wurden mehrere hundert Menschen von den Sicherheitskräften getötet und Tausende verletzt. Staatschef Karimov machte islamistische Extremisten und Kräfte aus dem Ausland dafür verantwortlich (Die üblichen Verdächtigen). Russland stellte sich hinter das Regime, die US-Regierung verhielt sich bislang bedeckt.

Usbekistan ist trotz wenig demokratischer Strukturen und großer Repression (Unter Ausschluss der Öffentlichkeit) ein geostrategisch wichtiger Verbündeter im "Kampf gegen den globalen Terror" und zur Sicherung der regionalen Öl- und Gasressourcen. Die USA unterhalten in Karshi-Kanabad einen wichtigen militärischen Flughafen und Stützpunkt mit dem anspruchsvollen Namen "Camp Stronghold Freedom", auch die Bundeswehr hat hier einen Stützpunkt, von dem aus sie die in Afghanistan stationierten Soldaten versorgt.

Wie die Washington Post unter Berufung auf US-Diplomaten berichtet, haben russische und US-amerikanische Repräsentanten offenbar erfolgreich verhindern können, dass die Nato sich der Haltung der EU anschließt und eine unabhängige Untersuchung des Massakers fordert. An sich wäre Usbekistan unter dem Despoten Karimov der klassische Fall eines Landes, in dem die Bush-Regierung gemäß ihrer Doktrin, die Freiheit auf der Welt zu verbreiten und die Diktaturen zu stürzen (Das Ende der Tyrannei und die amerikanische Freiheit), aktiv werden und die demokratische Opposition stärken müsste, wie sie dies in der Ukraine, in Georgien oder im Libanon teilweise mit hohem Druck und großer ideologischer Rhetorik getan hat. Die Repression im Lande reicht weit hinter den 11.9. zurück, durch Wahlmanipulationen ist Karimov erst Ende des letzten Jahres aufgefallen (Wahlbescherung in Taschkent). Tausende von Gefangenen sitzen in den Gefängnissen, Folter ist an der Tagesordnung.

Aber Usbekistan ist offenbar so wichtig, dass im Schulterschluss mit Russland das Regime weiter gestützt wird – und dies auch angesichts der Tatsache, dass die Repression im Lande mit hoher Wahrscheinlichkeit die islamistischen Bewegungen stärken wird, während die Unterstützung die Ansicht vieler Menschen in den muslimischen Ländern fördern wird, dass die USA ihren Krieg gegen den Terrorismus eigentlich gegen Muslime führt. Die Demonstration, dass offenkundig zweierlei Maßstäbe angewendet werden, kann dann später auch nicht mehr durch große Aufwendungen für strategische Kommunikation gut gemacht werden.

Die Glaubwürdigkeit der US-Politik, eines der Hauptprobleme seit dem Krieg gegen den globalen Terror, bricht weiter ein, wenn man einerseits wie die Bush-Regierung als Garant und Avantgarde von Recht, Freiheit und Demokratie auftritt und andererseits fundamentale Menschenrechte und Prinzipien des Rechtsstaates missachtet sowie auf Menschenrechte und Freiheit nur dort dringt, wo dies mit strategischen Interessen vereinbar ist. Dass einigen Mitgliedern der Bush-Regierung auch wenig an Diplomatie liegt oder sie sich nicht darauf verstehen, wurde erst wieder durch die Memos der britischen Regierung zum geplanten Irak-Krieg, durch die Verteidigung von Guantanamo und durch den auch vom US-Außenministerium verbreiteten Kommentar des Pentagon zu den veröffentlichten Details über die lange peinliche Befragung und Demütigung von Mohamed al-Kahtani klar:

Kahtani's interrogation during this period was guided by a very detailed plan and conducted by trained professionals motivated by a desire to gain actionable intelligence, to include information that might prevent additional attacks on America. …The Department of Defense remains committed to the unequivocal standard of humane treatment for all detainees, and Kahtani's interrogation plan was guided by that strict standard. The very fact that an interrogation log exists is evidence his interrogation proceeded according to a very detailed plan, which was conducted by trained professionals in a controlled environment, with active supervision and oversight. When there have been credible allegations of abuse they are investigated aggressively and individuals are held accountable for their actions.

Bei dem Nato-Treffen einigten sich die Minister schließlich nach hitzigen Diskussionen, wie die Post schreibt, auf eine neutrale, nichtssagende Formulierung, die nur herausstellt, dass man nicht einer Meinung war:

Ministers exchanged views on current issues of international security and stability, including those in Central Asia, especially Uzbekistan.

Durchgesetzt haben sich die Pentagon-Vertreter, anscheinend auch gegen Angehörige des US-Außenministeriums. Condoleezza Rice hatte sich zuvor für eine unabhängige Untersuchung ausgesprochen, woraufhin Karimov reagierte, indem er Nachtflüge verbot und den Flug von schweren Maschinen einschränkte. Mittlerweile wird vom US-Militär der Flugverkehr teilweise umgelenkt, beispielsweise nach Baghram. Rumsfeld fürchtet weitere Behinderungen, die sich auch auf die Nato-Operationen in der Region auswirken könnten. Über den Flughafen in Usbekistan kämen Tausende Tonnen von Hilfsmitteln für die Menschen der Region, eine Alternative gebe es nicht. Rumsfeld fordert daher nur, dass das Regime die Vorfälle untersuchen lassen soll.

Die Konflikte, die schon während der ersten Amtszeit von Bush zwischen dem Pentagon und dem Außenministerium unter Powell schwelten, scheinen nun also auch mit der neuen Außenministerin weiter zu bestehen. In ihrer Position muss Rice, auch um der Glaubwürdigkeit der Regierung willen, sowohl auf eine einigermaßen konsistente Außenpolitik als auch auf Diplomatie und Glaubwürdigkeit setzen. Bislang hat in der Bush-Regierung das Setzen auf die Macht und deren Durchsetzung vorgeherrscht – und zumindest zeigt dieser Fall, dass die Falken weiterhin das Sagen zu haben scheinen.

Die Unstimmigkeiten werden derzeit in den Ministerien heruntergespielt. Sean McCormack, der Sprecher des Außenministeriums, erklärte gestern, dass man "mit einer Stimme" spreche und dass "unsere strategischen und demokratischen Ziele in dieser Hinsicht unteilbar" seien. Ansonsten habe es sich beim Nato-Treffen um eine Angelegenheit des Verteidigungsministeriums gehandelt. Im Weißen Haus erklärt man ebenfalls, dass Außen- und Verteidigungsministerium mit einer Stimme sprechen würden und eine "glaubwürdige unabhängige Untersuchung" wünschen. Von einer "internationalen" Untersuchung ist aber hier nicht wie im Außenministerium die Rede. Allerdings bleibt abzuwarten, ob die Verurteilung des Massakers und der Unwille des Regimes, die Vorfälle zu untersuchen, zu Konsequenzen führen wird: seitens der USA, aber auch seitens der EU oder der Bundesregierung (letztes Jahr pries man im Auswärtigen Amt die guten Beziehungen).

Ein Test wird sein, ob US-Präsident Bush, der gelegentlich Mitglieder von Oppositionsgruppen etwa aus Nordkorea, Venezuela oder Weißrussland empfängt, um zu demonstrieren, wie wichtig die Frage von Demokratie und Menschenrechte für die Regierung ist, auch Mohammed Salih, den Vorsitzenden der oppositionellen Demokratischen Erk Partei Usbekistans, empfangen wird. Die Partei durfte bei der letzten Wahl Ende 2004 nicht antreten. Ende Juni wird Salih in die USA reisen.