Das Drama des begabten Kindes

Die gefährlichsten Waffen des Bösen sind: "Economics" und "Fear". Die Neugeburt des "Batman"-Films

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Batmans Geschichte als das Drama des begabten Kindes. Unter der Regie des psychologisch versierten Regisseurs Christopher Nolan ersteht der schwarze Rachedandy der 30er Jahre wieder auf als Engel der Gerechtigkeit, als sozialliberaler Streiter gegen Fundamentalisten aller Couleur. Die Wiedergeburt der Franchise, ernster, kühler als früher, den Zeiten angemessen.

Fledermäuse in Schwärmen flattern über der Stadt. Tieforange leuchtet der Sonnenuntergang, eigentlich nur um die Dunkelheit noch zu verstärken, die ihn umgibt. Ein dunkles, mythisches Bild, eine kurze Rückkehr zur Natur, die unter all der schimmernd schwarzen, glatt-glänzenden Oberfläche der Welt liegt, die Batman umgibt. Vorsprung durch Technik - das war immer das Markenzeichen von Batman, dem einzigen der vielen Comic-Superhelden, der über keinerlei übermenschliche Kräfte oder besondere Fähigkeiten verfügt, die ihn von normalen Menschen unterscheiden. Stattdessen ist der Multimillionär Bruce Wayne, der in seiner Freizeit in der Metropole von Gotham City Verbrecher jagt, eigentlich einer von uns: orientierungslos, verklemmt, spießig, von ein paar Kindheitstraumata mit schöner Regelmäßigkeit gequält - nur mit etwas mehr Mut und Geld, und mit dem sozialen Engagement, beides auch im Dienste der guten Sache einzusetzen. Als humane Fledermaus schwingt er sich mit Drähten, Haken, Ösen, Maske, flugfähigem Mantel und mit sonderbaren Superwaffen über die Hochhausgipfel.

Schwarzer Engel ohne Moralpredigten

Was Batman auch immer angenehm von anderen Filmhelden, besonders vom allzu-sauberen Superman, unterschied: Er leidet nicht an der Schlechtigkeit der Welt, ist kein Besserwisser und hält sich nicht mit Moralpredigten auf. So cool er auch seinen Job verrichtet, gibt er doch jederzeit zu verstehen, dass er seinen Feinden näher steht, als ihm selber lieb ist. Auch er hat schon in den Abgrund geblickt. So ähnelt Batman mehr den brüchigen Detektiven, Cops und Gangster des Film Noir, der ja auch, wie der 1939 erstveröffentlichte Comic Bob Kanes aus den späten 30ern stammt. Auch sie haben eine dunkle Vergangenheit, an der sie selbst am meisten leiden, auch sie kurieren diese nicht durch übertriebene Selbstbefragung, sondern stülpen das Unangenehme nach Außen und tun Gutes - sei es auch nur, um all das Schlechte wieder gut zu machen.

Vier Batman-Filme kamen zwischen 1989 und 1997 ins Kino. Die zwei ersten stammten von Tim Burton und hatten mit Michael Keaton einen Hauptdarsteller, der - weil kein typischer Actionheld - die Brüchigkeit der Figur besonders gut verkörpern konnte. Val Kilmer und George Clooney in den beiden Filmen von Joel Schuhmacher gelten dagegen als Flops. Immerhin Burtons "Batman Returns" hat sich auch nach 12 Jahren behauptet - eine wilde Psychophantasie, die den Comic-Charakter der Vorlage mit den skurrilen Einfällen des Regisseurs von "Edward mit den Scherenhänden" verschmelzen lässt, und überdies mit großartigen Nebendarstellern - Michelle Pfeiffer als "Catwoman" - aufwarten kann.

Kombination aus britischer und japanischer Kultur

Ausgerechnet während der Hochzeit der New Economy verstaubte das "Batmobil" dann in den Kellern Hollywoods - vielleicht wirkten Reiche mit Gemeinsinn in diesen Jahren genauso wenig zeitgemäß wie die soziale Krise, die im Hintergrund der Batman-Stories immer präsent ist. Die entstanden schließlich auf dem Höhepunkt der sozialen Depression. Vielleicht entsprach der Millionär in seiner Verklemmtheit, in der Passivität des Voyeurs - er kommt aus dem Verborgenen und mit allerlei Technik verschafft er sich zuvor ein umfassendes Bild seiner Mitmenschen, bis in deren Heimlichkeiten -, der vor allem verdeckt ermittelt, auch nicht wirklich dem Zeitgeist. Doch als zurückhaltende Ausformung einer multiplen Persönlichkeit, die ihre verschiedenen Rollen - die öffentliche und die beiden privaten, denn es gibt auch einen privaten Bruce Wayne - nur vor sich selbst in Einklang bringen konnte, passte er sehr gut in die Gegenwart. Jetzt, in Zeiten der erneuerten sozialen Krise, wurde es jedenfalls höchste Zeit für einen Neuanfang.

Mit "Batman Begins" ist dieser grandios geglückt. Dem britischen Regisseur Christopher Nolan gelingt die Neugeburt einer schon totgesagten Figur. Ein bisschen ärgerlich ist allenfalls, dass auch dieser Film nicht ohne die seit "Kill Bill" im US-Kino offenbar unvermeidlichen Samurai-Anleihen auskommt - erst die Kombination aus britischer und japanischer Kultur lassen Batman werden, was er ist, und dafür muss er neben allerlei Kampfschritten auch ein paar Sprüche aus dem Samurai-Poesiealbum nachplappern: "Du musst Deine Furcht in Kraft verwandeln" und so weiter... Überhaupt ist - wenn irgendetwas - dieser Batman-Folge am ehesten anzukreiden, dass sie alles etwas gar zu ernst und asketisch nimmt: Wer sich daran erinnert, wie Jack Nicholson einst bei seiner ersten Begegnung mit anzüglichem Grinsen "Nice outfit" sagte und später in der spürbar neiderfüllten Frage "Where does he get these wonderful toys?" mit Recht darauf hinwies, dass selbst der härteste Batman-Kampf irgendwie ein Kinderspiel ist, der weiß, was "Batman Begins" noch fehlt.

Prototyp einer neuen Generation

Übermäßig viel Action darf man nicht erwarten. Die gab es in Batman-Filmen noch nie: Burton und Schuhmacher interessierte eher die Pop-Phantasie des Stoffes, Nolan interessiert dessen psychologische Tiefe. Mit Christian Bale fand man für all das einen sehr gut geeigneten Hauptdarsteller - Bale wurde bisher vor allem mit Charakterrollen in kleineren Arthousefilmen wie "American Psycho" und "The Mashinist" bekannt. Sein Gesicht wirkt ein wenig maskenhaft und unprägnant, was der Figur unbedingt entgegenkommt. Sein Körper ist muskulös, aber nicht besonders groß, sodass man ihm die Doppelgängerexistenz als schwächlicher Millionär/Superheld abnimmt.

Nolan, zuvor durch die klugen Psychothriller "Memento" und "Insomnia" bekannt geworden, betont die Shizophrenie und die inneren Konflikte seiner Hauptfigur. Das ist sozusagen das Anti-Memento-Konzept, denn in diesem Film ging es um Gedächtnisverlust, hier um zuviel Erinnerung. Doch wie in Memento erzählt Nolan auch diesmal - unter anderem - eine Rachegeschichte und wie dort erzählt er quasi rückwärts: Wir wissen, wer Batman ist, nun erfahren wir im Rückblick, wie er dies wurde.

Es gab schon einmal eine Neugeburt Batmans. Für sie war der Comicautor Frank Miller verantwortlich, der Mitte der 80er den Comic "Batman: The Dark Knight Returns" veröffentlichte, der zwar Burton und ein wenig jetzt Nolan inspiriert, dessen Verfilmung aber noch aussteht. Millers "Batman: Year One" bot Nolan ebenfalls einiges Material.

"Batman Begins" ist der erste Batman-Film, in dem der Held wirklich im Zentrum steht und nicht von schräg-faszinierenden Schurken wie "Joker", "Piguinmann" oder "Mr.Freeze" in den Schatten gestellt wird. Wir erleben einen jungen Mann, der seine Form finden muss. Das passt zu unklaren Zeiten wie unseren. Dieser Batman ist jugendlicher, noch nicht so fertig, wie der der früheren Filme - ein Prototyp einer neuen Generation. Der Film arbeitet mit unserem Wissen um Batmans Existenz und füllt die Lücken der Vergangenheit. Am Anfang steht die postmoderne Lieblingsthese vom identitätsstiftenden Trauma - das diesmal gleich verdoppelt auftritt und aus der Kindheit stammt: Zunächst fiel der kleine Bruce in einen dunklen Brunnenschacht - seitdem quält ihn eine geheime Nähe, aber auch eine diffuse Angst vor Fledermäusen.

Gotham City als fordistische Metropole

Bei einer Aufführung von Gounods "Faust"-Oper wird diese wieder geweckt, woraufhin Bruce seine Eltern bittet, die Aufführung zu verlassen. Kurz darauf werden sie ermordet - und Bruce glaubt, die Schuld daran zu tragen. Seitdem sucht das Verdrängte regelmäßig unseren Helden heim - bis er sich zur Selbsttherapie zum schwarzen Privatsheriff ernennt. So entwickelt Nolan den Existentialismus der Vorlage konsequent weiter, definiert die Figur zugleich sachte um. Nolans Batman ist kein verwöhnter, technikverliebter Reicher, der sich seine Zeit mit Verbrecherjagd vertreibt, auch kein Rachegott, sondern ein Engel der Gerechtigkeit. Aber erst durch die Konstruktion eines Traumas und dessen Verarbeitung durch einen neuerschaffenen Körper lässt sich Wayne/Batmans Leben einen Sinn geben - das heißt eine Lebensgeschichte. Der Held leidet unter dem Drama des begabten Kindes - zuwenig Aufmerksamkeit, zu wenig Förderung, "so much to do, so little time", wie Joker sagte.

Man sieht dabei jederzeit, dass Nolan das Drehbuch gemeinsam mit David S. Groyer schrieb, dessen Ideen offenbar großen Einfluss hatten: Man entdeckt Anleihen an "The Crow" und an "Dark City", die Groyer beide schrieb. Das stilistische Ergebnis ist eine nostalgische Hybridität. Gotham City erscheint als fordistische Metropole, als Mixtur aus New York und Chicago, Amerika und Asien. Die Atmosphäre ist noirish, wie in späteren "Schwarze Serie"-Filmen. Weniger Art Deco als bei Burton, mehr funktionaler Modernismus der 50er. Grundsätzlich hat man versucht, Camp-Übertreibungen weniger dominieren zu lassen, als in früheren Filmen.

Feinde sind ernster und gefährlicher

Das zu passend sind die Feinde, gegen die er zu kämpfen hat, ernster, gefährlicher als die früheren. Die "Liga der Schatten" will Gotham City nicht beherrschen, sondern zerstören. Es sind weltverachtende, buddhistisch-faschistische Gotteskrieger, die einen Vernichtungskrieg gegen die vermeintliche Dekadenz der Zivilisierten führen, die einst schon Rom, Konstantinopel und London untergehen ließen. Die gefährlichsten Waffen des Bösen sind aber: "Economics" und "Fear". Hier deutet sich die eigentliche, aktuell-politische Stoßrichtung an, die sich gegen zeitgenössische Paranoia richtet. Überraschenderweise wird bei Nolan ausgerechnet der als eher rechtslastig geltende Batman-Kosmos zum sozialliberalen Mythos: "Sie reden über die Depression, als wäre sie Geschichte, aber das ist sie nicht", lernen wir. Vor allem wird Waynes Vater als ein herzensguter Patriarch gezeichnet, der sich für die Rechte der Arbeiter engagierte, Hospitäler und öffentliche Verkehrsmittel baute. Der Vater ist gutfreudianisch für Wayne immer wieder die entscheidende Referenz - eben nicht nur, indem er immer wieder den Tod der Eltern rächt, sondern indem er das verteidigt und restauriert, für das sie im Leben standen: Gerechtigkeit, nicht Rache.

Ein großes Staraufgebot sorgt für den nötigen Rahmen: Katie Holmes ist Waynes große Jugendliebe, Michael Caine sein Butler der britische Manieren garantiert, Liam Neeson, Tom Wilkinson, Morgan Freeman, Rutger Hauer, Gary Oldman und Ken Watanabe haben wichtigere Auftritte - einer von ihnen wird klarerweise zum großen Gegenspieler - am Ende hat uns Nolan mit Batman versöhnt und auf faszinierende Weise einen zeitgemäßen, zugleich angenehm nostalgischen Film gedreht, dabei mit der nötigen Dunkelheit und Ambivalenz, die diese Figur braucht - Batman, wie er sein muss.