Große Koalition beim Lauschangriff

Der im Vermittlungsausschuss des Bundestags gefundene Kompromiss erweitert die Abhörmöglichkeiten

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Da sage noch jemand, in Berlin werde jetzt nur noch Wahlkampf statt Politik gemacht. Manchmal gibt es sogar merkwürdige Koalitionen. So hat sich im Vermittlungsausschuss des Bundestages die Bundesregierung mit der CDU/CSU auf eine Neuregelung des Lauschangriffs geeinigt. Der Katalog der Straftaten, die das Abhören von Wohnungen erlauben, wird auf Insistieren der Union ausgeweitet. Künftig soll auch dem Verdacht auf gemeinschaftlich begangene Sexualdelikte und die bandenmäßige Fälschung von Kreditkarten und Schecks mit einen Lauschangriff nachgegangen werden.

Die Neuregelung war nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März 2004 notwendig geworden. Es hatte dem Gesetzgeber eine Frist bis Ende Juni 2005 gesetzt, um das bisher bestehende Gesetz so nachzubessern, damit der private Kernbereich der Abgehörten besser als bisher geschützt wird. Über die Umsetzung der Entscheidung des höchsten Gerichts gab es zwischen den Parteien Streit. Die Union favorisierte die Lösung, zunächst alles aufzeichnen zu lassen und anschließend einen Richter entscheiden zu lassen, welche Passagen wegen des privaten Inhalts gelöscht werden müssen. Die Regierungskoalition setzte sich mit ihrer Vorstellung durch, dass die Abhörgeräte umgehend ausgeschaltet werden müssen, wenn private Kernbereiche betroffen sind.

Wie diese Bereiche in der Praxis auseinander zu halten sind, wird künftig sicher noch häufiger die Gerichte beschäftigen, wenn bei Strafverfahren entschieden werden muss, ob die Ergebnisse von Lauschangriffen verwertet werden dürfen. Die Ermittlungsbehörden haben die Vorgaben aus Karlsruhe schon als unpraktikabel bezeichnet. Viele Bürgerrechtler hatten gehofft, es werde zu keiner Einigung gekommen. Dann wäre die akustische Wohnraumüberwachung ab Juli nicht mehr zulässig gewesen.

Das von Anfang an umstrittene Gesetz hatte schließlich sogar zum Rücktritt der damaligen FDP-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger geführt. Diese lange Zeit in der politischen Versenkung verschwundene Linksliberale (Quo vadis, Liberalismus?) ist in der FDP in letzter Zeit wieder wichtiger geworden. Denn die FDP hat beim Versuch, vom Image der reinen Wirtschaftspartei wegzukommen. die Bürgerrechte wieder entdeckt. Damit kann sie sich auch gegenüber ihren künftigen Koalitionspartner Union profilieren. Das hat sicherlich zu den Einigungsbemühungen der CDU/CSU beigetragen. Denn schließlich soll die neue Koalition nicht gleich mit einem Streit um die Bürgerrechte beginnen. Außerdem hat die Union damit gegenüber einer zu selbstbewussten FDP deutlich gemacht, dass sie noch andere Koalitionsoptionen hat. Die Grünen hingegen haben sich mit ihrer angesichts der Mehrheitsverhältnisse völlig überflüssigen Zustimmung zur Fortführung des Lauschangriffs selbst um die Chance gebracht, wieder mehr Profil als Bürgerrechtspartei zu entwickeln. Peter Schaar, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, kritisiert dass der Kompromiss es möglich macht, die akustische Wohnraumüberwachung bei mehr Straftaten anzuwenden, als dies in dem vom Bundestag verabschiedeten Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen war.

Um auf die zunehmende Überwachung und Einschränkung des Datenschutzes aufmerksam zu machen, hat Ruben Wickenhäuser die Aktion Owl content - Weblogs für Datenschutz gestartet. Weblogs seien „zu einem nicht zu unterschätzenden Faktor bei der Bildung der öffentlichen Meinung geworden.“. Daher sollten die Betreiber sich ihrer Verantwortung bewusst werden. Angeboten wird ein Logo, das zeigen soll, dass der oder die Betreiber des Blogs datenschutzrechtliche Entwicklungen kritisch beobachten und für das "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" eintreten.