Zwischen Macchiavelli und Ultra

Iran: Die Entscheidung über den neuen Präsidenten ist vertagt. Das Reformlager hat aber schon verloren

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Für den verschmitzten Amtsinhaber lag die Überraschung in der Luft: "Die iranische Nation widersetzt sich gewöhnlich den Vorhersagen", hatte der scheidende iranische Präsident Chatami bei der Abgabe seiner Stimme gestern prophezeit. Er sollte Recht behalten.

Die Beteiligung an der gestrigen Präsidentschaftswahl liegt nach ersten Hochrechnungen bei über 65% - trotz der Boykottaufrufe der Opposition. Der haushohe Favorit Rafsandschani erzielte demnach nur knapp über 20 Prozent. Der Kandidat mit den größten Sympathien im Reformblock, Mustafa Moin, liegt abgeschlagen im hinteren Feld, während ein Hardliner, der frühere Teheraner Bürgermeister Mamud Ahmadinedschad, den eigentlich keiner auf der Liste der Favoriten hatte, aller Wahrscheinlichkeit nach am kommenden Freitag mit Rafsandschani in die Stichwahl geht. Chancen darauf werden auch dem als gemäßigt geltenden Mehdi Karroubi eingeräumt, der bei zwei Dritteln der ausgezählten Stimmen mit 17,3 Prozent nur knapp hinter Ahmadinedschad liegt.

Das offizielle Wahlergebnis wird jedoch erst heute Abend – gegen 17 Uhr30 MESZ – verkündet, bis dahin könnte es noch weitere Überraschungen geben. Klar ist allerdings, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik Iran eine Stichwahl nötig sein wird. Wie es aussieht, wird sie zwischen einem iranischen Macchiavelli und einem Ultra entschieden: Rafsandschani, der "Super Berlusconi" des Iran, gefürchtet wegen seiner gnadenlosen Verfolgung von Kritikern bis hin zur Verstrickung an Morden (vgl. Zweierlei Iran) während seiner früheren Präsidentschaft. Und Ahmadinedschad, früherer Top-Kommandeur der "Revolutionären Garden" und bis vor einiger Zeit noch Bürgermeister von Teheran. Ahmadinedschad gilt als eingefleischter Ultra mit besten Verbindungen zur theokratischen Herrschaft des Landes. Von ihm stammt der Ausspruch, dass man keine Revolution in Iran gemacht habe, um eine Demokratie zu haben. Auch ihm wird härtestes Vorgehen gegen Oppositionelle unterstellt; er soll u.a. bei der Planung eines Mordanschlags auf den Schriftsteller Salman Rushdie federführend mitgewirkt haben.

Die Hoffnung, dass es der Reformpolitiker Mustafa Moin, der Lieblingskandidat der iranischen Blogger, noch als Kandidat für die Stichwahl schaffen könnte, wird wohl kaum erfüllt werden. Mustafa Moin, der zunächst vom Wächterrat von der Kandidatur ausgeschlossen und später auf Geheiß des Obersten Führers, Ayatollah Chamenei wieder zugelassen (was dessen Popularität sicher nicht geschadet hat) wurde, hatte einen erstaunlichen Wahlkampf geliefert, in dem er zunehmend radikaler wurde und - für iranische Verhältnisse unerhört - sich für Menschenrechte und verfolgte Oppositionelle stark gemacht hatte.

Während Moin in der Frage der Nuklearpolitik Irans deutlich Gesprächsbereitschaft zu erkennen gab, ist dies von Rafsandschani weniger zu erwarten, selbst wenn er in einem Interview in der letzten Woche eingeräumt hatte, dass man den Westen in manchen Fragen in die Irre geführt habe und damit eine Tendenz zu mehr Transparenz durchblicken ließ. Ahmadinedschad zeigte sich dagegen in einem Interview als unnachgiebiger Verfechter nationaler Interessen: Iran werde sich als Wissenschaftsland in dieser Frage nicht hineinreden lassen.