Googles Patent auf Wahrheit

Wie die Suchmaschinenfirma Objektivität ganz neu erfinden will

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Börsen-Darling Google will sich eine Technologie patentieren lassen, mit der Nachrichten in Google News künftig nicht mehr nur nach ihrer Relevanz und ihrem Datum, sondern auch auf Basis ihrer Qualität und Glaubwürdigkeit sortiert werden sollen - wie immer bei Google selbstverständlich automatisch und damit quasi objektiv. Kritiker befürchten einen neuen Schub in Richtung Mainstream-News, und ganz böse Zungen sprechen gar von Manipulation durch Filterung. Die Google-Macher selbst ficht das nicht an. Sie wähnen sich auf dem Weg zur objektiven, qualitativ hochwertigen Nachrichtenseite. Steht Google vor der selbst inszenierten Heiligsprechung als wissens- und wahrheitsvermittelnder Menschheitsbeglücker Nummer eins?

Die Zahlen, mit denen Google News aufwarten kann, sind beeindruckend (Googles Nachrichtenportal in der Kritik). Weltweit werden rund um die Uhr mehr als 7.000 Nachrichtenquellen ausgewertet, für die US-amerikanische Google-News-Webseite allein 4.500. Die deutschen Google News haben ca. siebenhundert Quellen im Programm. Das Nachrichtenangebot wird vollautomatisch von Computeralgorithmen produziert, die die jeweiligen Meldungen durchsortieren und thematisch gruppieren. Wichtigstes Kriterium für die Präsentation der Meldungen auf der Google-News-Webseite sind bisher Aktualität und inhaltliche Relevanz.

Die inhaltliche Relevanz wird nach der Erbsenzählmethode realisiert. Je mehr Nachrichtenquellen über ein Thema berichten, desto höher ist sein Ranking. Aktualität glaubt man bei Google dadurch gewährleisten zu können, dass der zeitlich jeweils zuletzt veröffentlichte Artikel ganz oben auf der Nachrichtenliste steht - mit zum Teil abstrusen Ergebnissen. Denn Redaktionen, die selbst recherchieren und exklusive Meldungen produzieren, werden durch ein solches Ranking bestraft. Ihre exklusive Meldung steht immer nur solange auf Platz eins der Google-News-Hitliste, bis eine andere Quelle diese Meldung in einem später veröffentlichten Artikel nacherzählt. Die Originalquelle rangiert dann nurmehr unter ferner liefen.

Qualität statt Quantität

Mit solchen Ungerechtigkeiten soll in absehbarer Zeit Schluss sein. Der werbefinanzierte Suchmaschinengigant hat kürzlich eine Erfindung zum Patent angemeldet, mit der man das Nachrichtenangebot erheblich verbessern will.

"Qualität statt Quantität" heißt das Motto, dem sich die Google-News-Erfinder Michael Curtiss, Krishna Bharat und Michael Schmitt verschrieben haben. Mit ihrem komplizierten Algorithmus sollen Nachrichten und Hintergrundartikel künftig nicht mehr nur nach den Kriterien Quantität und Aktualität gewichtet werden. Die drei Herren planen vielmehr eine qualitative Aufwertung ihres Nachrichtentickers. Mit anderen Worten: Artikel aus Quellen, die die Google-Macher für qualitativ minderwertig erachten, werden künftig so gewichtet, dass sie in den Ergebnislisten - wenn überhaupt - weit hinten aufzufinden sind.

Auf der Suche nach Kompetenz und Glaubwürdigkeit

Wie trifft man Aussagen über die journalistische Qualität eines Nachrichtenartikels? Curtiss, Bharat und Schmitt haben darauf eine reichlich simple Antwort. Zunächst wird eine umfangreiche Datenbank angelegt, in die alle Quellen eingelesen werden, die Googles Nachrichtenspider auswerten. Anschließend wird die Qualität der Nachrichtenquellen im Hinblick auf Kompetenz und Glaubwürdigkeit bewertet.

Zu diesem Zweck werden die Nachrichtenquellen analysiert. Die Größe der Nachrichtenredaktionen soll eine Rolle spielen, ebenso die Zahl der Exklusivmeldungen, die innerhalb einer Zeitspanne ermittelt wird, sowie das Themenspektrum, das von einer Quelle abgedeckt wird. Berücksichtigt werden darüber hinaus der durchschnittliche Traffic auf der Webseite der Newsquelle sowie die durchschnittliche Länge der einzelnen Artikel. Aus diesen Einzelkriterien wird für jede journalistische Quelle ein Kompetenz- und Glaubwürdigkeitsprofil entwickelt, das die Platzierung von Nachrichten aus dieser Quelle entscheidend beeinflussen soll.

3:2 für die Bildzeitung?

Was den Google-Denkern offenbar entging: Bei den Prüfkriterien, die Curtiss, Bharat und Schmitt in ihrem Patentantrag auflisten, handelt es sich um rein quantitative Kriterien. Dennoch sollen sie benutzt werden, um die Qualität einer Nachrichtenquelle einzuschätzen. Wie fein strukturiert ein Beurteilungsraster sein muss, wie viele und vor allem welche quantitativen Einzelkriterien erforderlich sind, um qualitative Merkmale wie Kompetenz und Glaubwürdigkeit ermitteln zu können, bleibt das Geheimnis der Algorithmenmacher aus dem Hause Google. Dass sie mit ihrem kargen Kriterienkatalog ihren hehren Objektivitätsanspruch bisher kaum erfüllen können, zeigt schon ein oberflächlicher Qualitätsvergleich zwischen Bildzeitung und Taz, der dem Googleschen Grobschema folgt:

Im Gegensatz zu anderen Nachrichtenportalen, die von Redakteuren aus Fleisch und Blut bestückt werden, setzt Google mit seiner News-Seite auf ein vollautomatisiertes Nachrichtensystem. Spider spüren die Nachrichten im Web auf und Computeralgorithmen sorgen für das "objektive" Ranking. Objektiv ist dieses Ranking allerdings nur, weil für alle Nachrichtenquellen dieselben quantitativen Beurteilungsmaßstäbe angelegt werden. Über die Qualität einer Nachrichtenquelle, über ihre Kompetenz und Glaubwürdigkeit, ist damit prinzipiell noch gar nichts ausgesagt.

Das ist offenbar selbst den Automatisierungsfreaks bei Google aufgefallen. Denn schamhaft versteckt zwischen den Prüfkriterien Webseiten-Traffic und Besucherzahlen taucht an sechster Stelle auch das Kriterium "human opinion" auf.

Google filtert

Dass Google die Ergebnislisten seiner Websuche durch diverse Filter schickt, ist kein Geheimnis. Der deutsche Ableger der kalifornischen Suchmaschine gehörte mit zu denjenigen Suchmaschinenbetreibern, die sich im Februar dieses Jahres auf einen gemeinsamen Verhaltenskodex geeinigt haben. Google Deutschland verpflichtete sich u. a. dazu, im Rahmen seiner Möglichkeiten "technische Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor jugendgefährdenden Inhalten zu fördern."

Welche Inhalte warum aus dem Web herausgefiltert werden, welche Kriterien Google anlegt, um Inhalte als jugendgefährdend oder gesetzeswidrig einzustufen - Antworten auf solche und ähnliche Fragen sucht man auf Googles Suchergebnisseiten vergeblich. Es fehlt sogar der Hinweis, dass überhaupt gefiltert wird.

Entsprechendes darf für die "optimierten" Google News befürchtet werden. Die Prüfkriterien, nach denen die Nachrichtenqualität Google-intern künftig beurteilt werden wird, sowie die Computeralgorithmen, die das News-Ranking automatisieren, sind Geschäftsgeheimnisse und werden nicht veröffentlicht.

Die Google-Denker mögen ihre Prüfkriterien noch weiter verfeinern, deren Zahl um ein Vielfaches erhöhen und ihre Gewichtung so differenziert staffeln, dass Qualitätsunterschiede zumindest ansatzweise messbar werden. Ob sie dadurch tatsächlich das in der Patentschrift formulierte Ziel erreichen, Nachrichten nach ihrer Qualität, d. h. letztlich nach ihrem Wahrheitsgehalt zu präsentieren, bleibt zu bezweifeln. Im Ergebnis ist vielmehr zu erwarten, dass Mainstream-Nachrichten bei Google-News noch stärker als bisher an die Spitze der Suchergebnislisten rutschen. Meldungen, die in den etablierten Medien nicht vorkommen, werden es in Googles Nachrichtensammelbecken auch künftig schwer haben - egal, wie Werbekönig Google seine Algorithmen optimiert.