Freiheit oder Gleichtaktung?

"Krieg der Welten": Spielbergs Studio verhängt befristeten Maulkorb

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Ein Krieg der Welten? Die wahren Aliens sitzen jedenfalls offenbar in den großen Hollywoodstudios. Mit mehr als fragwürdigen Mitteln versuchen Filmverleiher die Medien-Berichterstattung über ihre Produkte zu manipulieren. Jüngstes Beispiel: Das Vorgehen der in Frankfurt ansässigen US-Tochter "united international pictures" (in den USA ist Paramount zuständig) bei den ersten Pressevorführungen und der Berliner Premiere von Steven Spielbergs "War of the Worlds". Nicht allein, dass man Pressevertreter mit nie da gewesenen Voraberklärungen dazu verpflichten wollte, Kritiken nicht vor Startdatum des Films zu veröffentlichen, und den Kinosaal mit schikanösen Leibesvisitationen in einen Hochsicherheitstrakt verwandelte; während des laufenden Films wurde das Publikum überdies auch mit Infrarotkameras gefilmt. So zerstört man das Kino in seiner bisherigen Form - als letztes Refugium öffentlicher Intimität.

"Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass Vorführung und Zuschauerraum per Video aufgezeichnet werden." Statt eines Filmplakats war es diese Aufschrift, die den Besucher bei der Premiere von Steven Spielbergs "Krieg der Welten" im Berliner Berlinale-Palast begrüßte.

Normalerweise sollten die Leiden der Filmkritiker keine Zeile wert sein. Denn die dürfen immerhin auf schöne Festivals reisen, alle möglichen Filme, manchmal sogar gute, vorher angucken, danach auf Partys die Buffets besichtigen und werden für all das auch noch bezahlt - wenn auch nicht immer gut. Da muss man zur Entschädigung auch mal Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen. Wenn allerdings die Arbeitsbedingungen in einer Weise beeinträchtigt werden, dass sie die Arbeit der Kritiker und ihre Berichterstattungspflicht beschädigen, dann sollte die Öffentlichkeit auch darüber informiert werden, unter welchen Bedingungen die vermeintlich "freie" Presse arbeiten muss.

"Das Ende des Kinos, wie wir es kennen."

Was man in der folgenden Stunde bis zum Beginn der eigentlichen Pressevorstellung am Vormittag der Premiere erlebte, spottete jedenfalls allen bisher dagewesenen Schikanen der Verleiher: Nach langem Schlangestehen wurde man mit einem Zettel konfrontiert, der folgenden Wortlaut enthält: "Die Möglichkeit der Teilnahme an der Pressevorführung von 'Krieg der Welten' wird Ihnen unter der Bedingung eingeräumt, dass Sie vor dem 29. Juni 2005 keine Kritik o. ä. betreffend 'Krieg der Welten' veröffentlichen. Falls Sie zur Erfüllung dieser Bedingung nicht in der Lage oder dazu nicht bereit sein sollten, bitten wird Sie, von der Einladung keinen Gebrauch zu machen." Den Berichterstattern wurde eine Einverständniserklärung per Unterschrift abverlangt.

Vor dem Kinoeingang warteten dann Sperren und dutzende Sicherheitsleute. Nach zweimaliger Frage, ob man nicht seine Jacke abgeben wolle - wollte man nicht, denn im Kino ist es manchmal kalt, und in einer Jacke kann man auch Block und Stifte unterbringen -, musste sie bis aufs letzte Papierschnipselchen ausgeleert werden. Der Reihe nach wurden die drei mitgebrachten Stifte auf ihr Schreibvermögen untersucht und danach aufgeschraubt. Das Feuerzeug wurde probeweise entfacht. Das Kleingeldetui musste geöffnet werden. Danach wurde die Rezensenten von vorn und von hinten abgetastet und mit einem Detektor untersucht. Die ganze Prozedur dauerte in diesem Fall sicher gut fünf Minuten - Sicherheitsvorkehrungen, die weitaus aufwendiger als am Flughafen waren und jedem Terroristen-Hochsicherheitstrakt Ehre machen würden. Ein Teil der Sicherheitsleute bestand übrigens aus extra eingeflogenen US-Amerikanern, die mit ihrer bekannten Freundlichkeit stumpf durch einen hindurch blickten, und leider des Deutschen nicht mächtig waren, was einen Teil der Kritiker-Kollegen vor erhebliche Kommunikationsprobleme gestellt haben dürfte.

Im Kino selbst ging es dann weiter: Etwa acht Gestalten liefen im Saal rechts und links permanent auf und ab, und glotzten auf die Zuschauer im Saal, was sehr störend war. Zudem war während der ganzen Filmvorführung ein Infrarotgerät in Betrieb: Neben der Kinoleinwand saß ein Männlein und guckte auf zwei Schirme, die offenbar den ganzen Saal scannen konnten. Damit könnte man ein elektronisches Gerät erkennen, mit dem eine rechtwidrige Ton- oder Bildaufzeichnung vorgenommen wird. Man kann allerdings ebenso auch erkennen, wenn einer aufgrund von Bluthochdruck einen roten Kopf bekommt, wenn er einen Kaffee trinkt oder in sein Eis beißt oder natürlich auch, wenn er eine Erektion bekommt. Damit ist das Kino als der letzte Raum von Intimität in der Öffentlichkeit zerstört. "Das Ende des Kinos, wie wir es kennen", sah FAZ-Kritiker Michael Althen in seinem Premierenbericht vom 16.Juni.

Rechtswidrig und skandalös

Während dies ein wichtiges, aber primär ästhetisches Argument ist, werfen die Vorgänge noch andere Fragen auf, die auch grundsätzliche Bedeutung für die Pressefreiheit insgesamt haben. "Die Umstände der Pressevorführung und Premiere in Berlin sind skandalös" sagt Josef Schnelle, Vorstandssprecher des "Verband der deutschen Filmkritik". Der hat am Dienstag offiziell gegen die Vorgehensweise der UIP protestiert. "Dieses Vorgehen behindert die Presse bei der Ausübung ihrer von der Verfassung garantieren Rechte" heißt es in der Presseerklärung. Denn zur Meinungsfreiheit gehört selbstverständlich nicht nur, dass man sagen darf, was man will, sondern auch, wann und in welcher Form man es will. "Die Verpflichtungserklärungen erscheinen mir rechtswidrig", so Schnelle. Zudem behinderten sie nicht nur unter dem Vorwand Piraterie eindämmen zu wollen die Presse. "Die Umstände der Vorführung sind auch ein beispielloser und unerträglicher Eingriff in die Persönlichkeitsrechte jedes Betroffenen." Völlig unklar ist nämlich, ob das Filmen während der Vorführung nicht gegen das Recht aufs eigene Bild verstößt? Ebenso unklar sind Datenschutz-Fragen: Was für Daten werden da von den Verleihern erhoben? Werden sie gespeichert und nach Vorstellung ausgewertet und wie? oder werden sie vernichtet? Wer kontrolliert den Umgang mit den Daten? Schließlich: Ist dies alles überhaupt rechtens, selbst wenn einzelne Kritiker zustimmen oder es dulden?

Schnelle weiter: "Wir fordern unsere mehr als 300 Mitglieder auf, das Embargo gestützt auf das Recht der freien Meinungsäußerung zu ignorieren. Von den Politiker, zum Beispiel der Kulturministerin, fordern wir Maßnahmen gegen die skandalöse Praxis der Knebelung und Manipulation von Veröffentlichungen." Jetzt kommt es bereits zu ersten Reaktionen. Wie zu hören ist, wollen dpa und ap, die wichtigsten deutschen Presseagenturen, nach Absprache auf Chefredaktions-Ebene die Verpflichtungserklärungen nicht akzeptieren. Es wird daher keine Kritiken zum Film von Agenturseite geben, stattdessen recherchierte Artikel über das Verleiher-Embargo. Hanns-Georg Rodek, Filmredakteur der "Welt", zog in einem Bericht gar Parallelen zur "Gleichschaltung" der Nazis, der erzwungene Vereinheitlichung des gesellschaftlichen Lebens:

Nun kommt - ausgerechnet von Steven Spielberg - etwas, wofür wir noch keinen Namen haben. Nennen wir es 'Gleichtaktung'.

Maulkörbe aus Angst vor der Wahrheit

Das Ziel der Verleihaktionen scheint klar: Offenbar versucht die UIP Kritikern einen Maulkorb zu verpassen, und zu verhindern, dass eventuell negative Kritiken über den Film vorab erscheinen. Offenbar traut man Spielberg recht schnell entstandenem Film nicht über den Weg, fürchtet Enttäuschung bei den Fans. Doch rechtlich bewegt sich der Verleih mit seinem Vorgehen zumindest in der Grauzone. Die erste Frage ist schon die, ob es sich bei Presse-Vorführungen von Filmen überhaupt um geschlossene Privat-Veranstaltungen von Unternehmen handelt, bei denen die Verleiher Hausrecht besitzen. Manche Juristen argumentieren anders. Ihre Position: Ab einer bestimmten Zahl von Pressevertretern handelt es sich per se um eine öffentliche Veranstaltung, weil Journalisten nicht irgendwelche Privatpersonen oder gar Kunden des Unternehmens sind, sondern Vertreter der Öffentlichkeit. Sie machen auf einer Pressevorführung ihre Arbeit. Indem man sie einlädt, ist die Pressevorführung öffentlich - wie ein Popkonzert, von dem jeder Besucher selbstverständlich berichten kann, was er will.

Zudem will ein Filmverleih ja im Prinzip dezidiert Berichterstattung. Die Bereitschaft zur Berichterstattung ist sogar Voraussetzung der Zulassung zur Pressevorführung. Der Verleih versucht auch jetzt nur, die Bedingungen der Berichterstattung zu diktieren. Das wiederum widerspricht aber der Pressefreiheit. Genau genommen ist es sogar bereits fragwürdig, ob man überhaupt - egal mit welcher Begründung - bestimmte Medienvertreter ausschließen darf. Denn zur Pressefreiheit gehört auch die Gleichheit der Bedingungen.

Völlig unbestritten war zumindest die Abendgala eine öffentliche Veranstaltung, auch wenn die gleichen, nun angeprangerten Vorführbedingungen galten. Und jeder, der bei der Premiere in Berlin war, könnte im Internet einen Blog schreiben - eigentlich eher überraschend, dass das bisher noch kaum geschehen ist. Nur Journalisten sollen nichts schreiben dürfen.

In Verleihkreisen wird nun argumentiert, ein "Rechtsanspruch auf Teilnahme an einer Pressevorführung besteht nicht." Selbst wenn dies zutreffen sollte (s.o.), ist die Aussage zu allgemein. Denn hier geht es gar nicht um Teilnahme an einer Veranstaltung - keinem Pressevertreter wurde erkennbar der Zutritt verwehrt -, sondern um die Einschränkung von Berichterstattung. Und ein Rechtsanspruch auf uneingeschränkte Berichterstattung besteht sehr wohl. Auch die beliebten Sperrfristen sind "kann-Bestimmungen" und insofern ein gentlemens-agreement; sie haben keine verpflichtende Wirkung.

Freiheit oder Gleichschaltung? - das scheint also nun die Frage für die Filmkritik zu sein. Noch einmal das treffende Fazit aus Rodeks Artikel: "Man verfolge die Berichterstattung vor dem 'Krieg der Welten'. Wer seine Kritik erst am 29. bringt, hat sich gleichtakten lassen."