Folter in irakischen Lagern

Nach Abu Ghraib: britische und amerikanische Besatzer haben offenbar bislang nicht in weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen der irakischen Sicherheitskräfte eingegriffen

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Dass es in einem derart blutigen Konflikt, in dem seit dem Sturz Husseins alte Konflikte ausgetragen werden und auch Kriminelle und Warlords mitmischen, keine wirkliche Trennlinie von Guten und Bösen gibt, mag höchstens von naiven Geistern und beteiligten Propagandisten geleugnet werden. Problematisch aber ist, dass weder die britische noch die amerikanische Regierung bislang gegen die Menschenrechtsverletzungen eingeschritten sind, welche die von ihnen unterstützten irakischen Sicherheitskräfte und damit auch die irakische Regierung begangen haben. Schon seit geraumer Zeit wurden etwa britische Verantwortliche über die Vorgänge im Irak informiert. Erst jetzt, ausgelöst durch einen Bericht des Observer, will man angeblich den Vorwürfen nachgehen.

Rumsfeld trifft Hussein am 20.12.1983. Die US-Regierung unterstützt Hussein, um den "bösen" Iran in Schach zu halten

Mit Abu Ghraib, Guantanamo und dem "Gulag" von Lagern sowie anderen Übergriffen haben die US-amerikanischen Befreier vom Bösen auch in der Reaktion auf das Bekanntwerden der Misshandlungen und der Menschenrechtsverletzungen die Realität hinter dem schönen Schein kenntlich werden lassen. Dass nun auch die von der USA geförderte Regierung mit ihren Sicherheitsorganen, wie der Observer berichtet, ein Netz von geheimen Lagern aufgebaut hat und dort – womöglich auch nach dem Vorbild des großen Bruders USA? - im alten Hussein-Stil foltert, wird dem angeblichen Kampf für Demokratie und Menschenrechte und dessen schon kaum mehr vorhandener Glaubwürdigkeit in der Region einen weiteren Schlag versetzen. Das Schlimme ist, dass damit die Ideen von Demokratie, Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit selbst untergraben und unglaubwürdig werden.

Während der Widerstand und Terror weitgehend von Sunniten ausgeht, werden die Sicherheitskräfte ebenso wie die Regierung von Schiiten und Kurden dominiert. Schon längst haben sich hier zwischen den Bevölkerungsgruppen blutige Konflikte aufgebaut, die bürgerkriegsähnliche Zustände erreicht haben. Neben den offiziellen Sicherheitskräften gibt es verdeckt operierende Einheiten, deren Aktionen bekanntermaßen berüchtigt sind. Daneben agieren Milizen der Warlords (Pop-Ups, irakisch), die man sich offensichtlich auch mit Umwandlung in brutal vorgehende Spezialkommandos zu Diensten machte, um die (sunnitischen) Aufständischen in den Griff zu bekommen. Von Misshandlungen und Folterungen von irakischen Sicherheitskräften ist spätestens seit dem Regierungsantritt von Allawi im Juni 2004 die Rede (Geht die Willkürherrschaft weiter?). Damals versuchten amerikanische Soldaten einzuschreiten, wurden aber von oben zurückgepfiffen. Bush schrieb damals "Let Freedom reign". Die Grausamkeiten schaukeln sich hoch. Dass verstärkt die irakischen Sicherheitskräfte im Visier der Aufständischen sind, mag auch durch das brutale Vorgehen von diesen begünstigt werden, wenn sie nicht wiederum für den Widerstand arbeiten oder nur den Lohn einziehen.

Wie der Observer berichtet, gibt es ein Netz an geheimen Lagern der Polizei, die von Menschenrechtsorganisationen nicht besucht werden können. In ihnen wird gefoltert. Menschen werden peinlich befragt und gequält, indem man sie aufhängt, sie schlägt, ihnen Brandwunden zufügt, sie sexuell missbraucht oder Elektroschocks aussetzt. Schwerste Misshandlungen sollen auch im Innenministerium vorgekommen sein, also wohl unter Billigung des Ministers. Der Observer spricht auch von Todesfällen durch Folter und einer Zusammenarbeit von offiziellen Sicherheitskräften mit Milizen, die auch Lager eingerichtet haben. Dem Observer liegen angeblich Fotos von Menschen vor, die durch die Folter getötet wurden.

Gerüchte und Informationen über Morde, Folterungen und Misshandlungen durch irakische Sicherheitskräfte gibt es, wie gesagt, schon länger. Bislang hat weder die britische noch die amerikanische Regierung darauf reagiert. Mit Bestrafung musste niemand rechnen. Offenbar wurden Gelder von Großbritannien und den USA direkt in den Aufbau von Spezialkommandos, Lager, Waffen und Ausrüstung gesteckt. Die irakischen Sicherheitskräfte werden von britischen und amerikanischen Experten trainiert und beraten. Daher werden Vorwürfe laut, dass Folter und andere Menschenrechtsverletzungen nicht nur von den Koalitionstruppen geduldet, sondern auch gefördert werden. Schon Anfang des Jahres kursierten Mutmaßungen, dass das Pentagon ganz im Stil der früheren Lateinamerika-Politik den Aufbau von Todesschwadronen fördert, um gegen die Aufständischen effektiver vorgehen zu können (Aufbau von Todesschwadronen im Irak?).

Um den Krieg gegen das Hussein-Regime erfolgreich mit einem weitgehenden Rückzug der eigenen Truppen verkaufen zu können, ist der Bush-Regierung womöglich jede Möglichkeit recht, mit der sich der Widerstand bekämpfen lässt. Lieber lässt man ein neues Regime ähnliche Menschenrechtsverletzungen begehen, wie sie im Hussein-Regime begangen worden sind, als ein Scheitern einzuräumen und einen wirklichen Neuanfang zu wagen, der beispielsweise auch eine territoriale Auflösung des Irak zur Folge haben könnte.

Auch Hussein war bereits strategischer Partner der USA im Kampf gegen den Iran. Damals wurde er unterstützt, um gegen das Böse zu kämpfen, und wurde dann selbst immer "böser". Jetzt will man das neue Böse wieder mit der Akzeptanz des Bösen im Kampf für den guten Zweck bekämpfen. Man wird den Eindruck nicht los, dass die Bush-Regierung mit ihren Beratern nicht nur kopflos, wenn auch machtstrategisch und die Gunst der Stunde nutzend (Hinter der Theaterbühne), in den Irak einmarschiert ist, sondern sich auch strikt verweigert, die Lehren der Geschichte zu ziehen. Kurzfristige Erfolge können langfristig – siehe die Förderung des afghanischen Widerstands gegen die Russen – zu Gefährdungen werden, wenn man strategisch mit zweierlei Maß misst. Tritt man nicht als Supermacht an, sondern als Statthalter von Freiheit und Recht, dann muss man dies auch einigermaßen konsequent durchsetzen, trotz aller realpolitischer Einschränkungen.