Angriff auf London

Noch sind weder Ausmaß noch Urheber der Anschläge bekannt, aber das Anliegen des G8-Gipfels und auch vieler Demonstranten ist durch diese bereits ins Hintertreffen geraten

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Die Bilder erinnern an Madrid 2004. Schwerverletzte Menschen versuchen sich aus U-Bahnstationen zu retten. Um 9 Uhr Ortszeit ging mitten im Zentrum von London ein Doppeldeckerbus in Flammen auf. Fast zeitgleich explodierten mehrere Bomben im Londoner U-Bahnnetz. Zwei U-Bahn-Züge im Tunnel zwischen den viel befahrenen Stationen Aldgate East und Liverpool Street, sowie zwischen Russel Square und King's Cross waren ebenso betroffen wie eine U-Bahnstation etwas außerhalb des Zentrums. Die Zahl der Toten und Verletzten ist noch immer nicht klar und wurde in den letzten Stunden mehrfach nach oben korrigiert. Zur Zeit geht man von mehr als 30 Todesopfern aus.

Die Anschläge haben den Verkehr in der Innenstadt von London zum Erliegen gebracht. Seitdem ist das Verkehrsnetz in London zusammen gebrochen. In ganz Großbritannien sichern starke Polizeikräfte die Bahnhöfe, teilweise wurde der Zugverkehr eingestellt.

Die Anschläge kamen nicht unerwartet. Schon seit Monaten wurde über Anschlagspläne von Islamisten in Großbritannien spekuliert. Auch der Zeitpunkt der Anschläge ist nicht verwunderlich. Gestern wurde London zum Austragungsort der Olympiade 2012 erklärt, was die Stadt in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit rückte. Noch wichtiger: Zur Zeit tagen in der Nähe von Edinburg führende Staatschefs der Welt beim G8-Gipfel. Während in der Nähe des Tagungsortes höchste Sicherheitsstufe gilt, haben die Attentäter, die von Experten im islamistischen Lager vermutet werden, in der britischen Hauptstadt zugeschlagen.

Die Meldungen von dem Anschlag sorgten nicht nur bei den Teilnehmern des G8-Gipfels für Entsetzen. Er wurde für kurze Zeit unterbrochen, weil der britische Premierminister nach London reiste. Mittlerweile wurde der Gipfel fortgesetzt. Allerdings dürfte die Tagesordnung jetzt wieder stärker vom Kampf gegen den Terror geprägt sein. In den letzten Tagen stand in den britischen Medien die Entschuldungskampagne für Afrika im Mittelpunkt. Make Poverty History heißt das mittlerweile urheberrechtlich geschützte Motto der Kampagne, das auf vielen Häusern in Edinburg zu sehen ist.

Noch am Mittwochabend feierten Tausende Menschen mit bekannten Künstlern aus aller Welt das Finale der Live8-Kampagne. Prominente Künstler wollten mit dieser Initiative den europäischen Staatsmännern, vor allem dem britischen Premiereminister Tony Blair, den Rücken stärken. Die Regierungschefs sind nach Meinung des Live8-Mentors Bob Geldof mit ihren Entschuldungsplänen auf dem richtigen Weg. Viele der Demonstranten aus ganz Europa, die am Mittwoch den Gipfelort mehr oder weniger symbolisch blockierten, konnten Geldofs Einschätzung allerdings nicht teilen. Sei protestierten auch gegen die Außenpolitik von Blair und anderer führender Staatsmänner des Gipfels. Am Mittwochnachmittag war es um das Konferenzgelände zu vereinzelten militanten Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen, die allerdings nicht die Ausmaße von Göteborg oder Genua im Jahre 2001 erreichten.

Doch unabhängig von den Meinungsverschiedenheiten über die Live8-Kampagne und die Wahl der Aktionsformen hinterlassen die Anschläge von London bei allen Demonstranten ein Gefühl von Abscheu und Wut. Indymedia Schottland stellte ein Kondolenzbuch für die Opfer der Anschläge ins Netz. Eine italienische Globalisierungskritikerin erinnerte sich an das Jahr 2001: "Damals haben die Anschläge in New York und Washington die gerechten Forderungen der globalisierungskritischen Bewegung in den Hintergrund gedrängt. Jetzt droht sich das gleiche zu wiederholen. Statt über die Armut und das tagtägliche Sterben in Afrika wird jetzt über den Anti-Terrorkampf geredet."