"Wenn Sie sich bitte ausweisen würden…"

Ausnutzen der Elternängste für eine Ausweispflicht: Nebenwirkungen und Kollateralschäden des Kinder- und Jugendschutzes Teil 3

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Einen Personalausweis zu besitzen bzw. dazu verpflichtet zu sein ist in Deutschland Normalität. Viele haben mittlerweile sogar fälschlicherweise verinnerlicht, dass es eine Mitführungspflicht gibt wie seit dem 1.1.2005 in den Niederlanden. Durch die Verpflichtung, einer zur Prüfung der Personalien ermächtigten Person gegenüber seine Identität nachweisen zu müssen, entsteht der Gedanke, dass dies auch jederzeit möglich sein muss.

Dem ist nicht so. So kann der Personalausweis beispielsweise zu Hause liegen und der Kontrollierende diesen dort kontrollieren. Dieser kleine aber feine Unterschied wird mittlerweile jedoch heruntergespielt und nur noch als reine "Formsache" angesehen. Ungeachtet dessen ist man in Deutschland an den Personalausweis gewöhnt, was sich in anderen Ländern ganz anders darstellt.

So wird in den USA der Einführung eines einheitlichen Ausweisdokumentes von jeher mit Misstrauen begegnet. Wird eine solche Maßnahme diskutiert, so finden sich in diversen Mailinglisten Kommentare, die dieses Misstrauen nicht zuletzt mit der Zeit des Nationalsozialismus begründen. Das Recht, sich nicht überall ausweisen zu müssen, hat in den USA einen viel höheren Status als beispielsweise in Deutschland, was auch zu dazu führt, dass John Gilmore noch immer dagegen klagt, auf einem Inlandsflug seine Identität nachweisen zu müssen. Der erst kürzlich beschlossene Real ID Act, der quasi den Führerschein zu einer nationalen ID-Card mutieren lässt, stößt gleichermaßen auf Widerstand, zumal sein Nutzen umstritten ist.

Ausweispflicht in Schulen?

Unabhängig vom Real ID Act findet sich jedoch eine schleichende Entwicklung in den USA wieder, wenn es darum geht, sich fortwährend ausweisen zu müssen. Ein Beispiel hierfür ist die zur Zeit in der McNeal Elementary School getestete Methode, Schüler vor sexuellen Straftätern zu schützen. Das Prinzip ist denkbar einfach: wer die Schule betritt, zeigt seinen Führerschein oder eine staatliche ID Card vor, welche dann mit diversen Datenbanken abgeglichen wird. Ist der Besucher nicht in einer der Datenbanken als sexueller Straftäter angegeben, erhält er einen Besucherausweis, andernfalls wird er freundlich darum gebeten, ein paar Minuten zu warten und der Direktor informiert, zur gleichen Zeit können die Strafverfolgungsbehörden per E-Mail benachrichtigt werden.

Die Datenbanken werden vom Hersteller des Systems, Raptor Technologies Inc., zusammengestellt, der auch die Scanner, Drucker und die Besucherausweise liefert. Allan Measom, Präsident von Raptor Technologies Inc. sieht in der Pflicht, eine staatliche ID Card oder den Führerschein vorzeigen zu müssen, keinerlei Problem. "Ich glaube nicht, dass es zu viel verlangt ist, wenn Eltern oder Besucher eine staatliche ID Card benötigen." lautet sein Kommentar.

Da Raptor Technologies Inc. bereits 800 Schulen in Florida, Texas, Illinois, Arizona und Kalifornien mit der Technik beliefert, wird es zumindest in 800 Schulen notwendig werden, sich auszuweisen; es ist davon auszugehen, dass dies nur der Anfang eines Trends ist. Die Angst vor Kindesentführung, -vergewaltigung oder -mord ist groß, so dass solche Maßnahmen sich auch in den USA einiger Fürsprache sicher sein können, wovon zunächst einmal auf jeden Fall der Hersteller der Technik profitiert. Da aber die Zusammenstellung der Datenbank Raptor Technologies Inc. obliegt, stellt sich die Frage, wer zum Beispiel dafür haftet, wenn ein Kind von jemandem entführt oder sexuell belästigt wird, der nicht in der Datenbank aufgeführt ist. Die gleiche Frage stellt sich bei fehlerhaften Einträgen.

Alternative: Elternausweis

Auch wenn diese Fragen bisher unbeantwortet bleiben, so steht eine viel wichtigere Frage bereits im Raum: Welche Personen sollten eigentlich Schulen betreten dürfen? Da derzeit ja von jedem Besucher sowieso ein Identitätsnachweis verlangt wird, wäre es doch auch möglich, den zum Betreten der Schule befugten Personen eben diese Befugnis durch einen Ausweis samt Lichtbild zu erteilen. Dieser Besucherausweis bzw. Elternausweis wäre bei Betreten der Schule vorzuzeigen, so dass zwar eine Kontrolle der Personen möglich, eine Mitführung der staatlichen ID Card dennoch nicht vorgeschrieben ist. Statt diesen Weg zu wählen, hat man sich aber für eine Mitführungspflicht durch die Hintertür entschieden und im derzeitigen Klima kann man sich eine Fortführung dieser Maßnahmen nicht nur in Schulen vorstellen.

So könnten sich bei entsprechenden Datenbanken Kinos gegen vorbestrafte Screener absichern, also gegen Personen, die Kinofilme abfilmen und dann ins Internet hochladen. Gaststätten könnten Schutz vor Zechprellern, Kaufhäuser vor Dieben, Krankenhäuser mit Entbindungsstationen vor Kindesentführern suchen usw. usf. Natürlich wäre es auch möglich, die öffentlichen Gebäude auf diese Art vor Terroristen zu schützen – zumindest würde eine solche Argumentation derzeit auf fruchtbaren Boden fallen, auch wenn dies natürlich die Problematik von ausländischen Besuchern und fehlenden/falschen Informationen außer Acht lässt.

Einer sich immer weiter ausbreitenden Besitz- und Mitführungspflicht hinsichtlich des Führerscheins bzw. der staatlichen ID Card wäre bei einer entsprechenden Argumentation, für die sich die bekannten infokalyptischen Reiter eignen, wenig entgegenzusetzen. Kritiker der Maßnahmen werden zwangsläufig in die Argumentationsfalle rund um den Faktor 1 sowie die „Nichts zu verbergen“-Mentalität tappen müssen. Auf diese Weise würde in den USA schleichend eine Ausweispflicht etabliert werden, die sogar über die in Deutschland herrschende Praxis hinausginge.

Überwachungsstaat zum Schutz der Kinder?

Egal ob es nun um Altersnachweise und Impressumspflichten, um Kontrolle/Informationsfreiheit/Zensur inner- oder außerhalb des Internets geht, um neu geschaffene Datenbanken, Videoüberwachung oder Ausweisdokumente – mit der Begründung, es würden Kinder geschützt, lässt sich heutzutage fast jede "Sicherheitsmaßnahme" durchsetzen. Ob letztendlich die Kinder in einer Welt, in der Privatsphäre und Datenschutz nur noch am Rande existieren, wirklich noch glücklich aufwachsen können, bleibt bei der gesamten Diskussion genauso außen vor wie die Ursachen für die Probleme, die man zu lösen glaubt.

Ähnlich wie bei Rapunzel errichtet man Türme, um die am Herzen liegenden Personen vor der Welt dort draußen zu schützen. Ebenso wie bei Rapunzel werden die Kinder wie auch die "Märchenprinzen" Mittel und Wege finden, diese Maßnahmen ad absurdum zu führen. Anders als bei Rapunzel sind jedoch bei all diesen Maßnahmen noch weit mehr Menschen betroffen – aber wie bereits im Titel ersichtlich, werden deren Privatsphäre und Datenschutz dann eben als Kollateralschäden eingestuft.