Politiker fordern mehr Überwachung zur Verhinderung von Terror

Größerer Schutz durch biometrische Ausweise, Überwachungskameras, Sensoren zur Sprengstofferkennung, Gen-Datei oder Speicherung der Verbindungsdaten?

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Der Anschlag in London hat zu den üblichen Verurteilungen und Gesten der Einheit im Kampf gegen den Terrorismus sowie zu den erwartbaren Forderungen nach erhöhten Sicherheitsmaßnahmen und neuen Gesetzen geführt. Gerechtfertigt werden schon beschlossene Antiterror-Maßnahmen, beispielsweise in Deutschland oder Großbritannien die Einführung der Ausweise mit biometrischen Merkmalen. Aber die Bomben in London lehren vermutlich gerade, dass die meisten Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen entschlossene und einigermaßen intelligente Terroristen, auch wenn sie mit wenig ausgeklügelten Strategien und relativ primitiven Mitteln vorgehen, nicht daran hindern können, Anschläge im öffentlichen Raum von Städten auszuführen. Um das Risiko wirklich zu minimieren, wäre schon ein Überwachungsapparat Orwellscher Dimension oder ein Repressionsregime notwendig, wie man es etwa in Nordkorea findet.

Wenn es denn stimmt, was der Independent berichtet, dass die britische Polizei auch der Vermutung nachgeht, al-Qaida – wer immer das auch sein soll – könne "weiße Söldnerterroristen" für den Anschlag beauftragt haben, dann würde nicht einmal mehr das übliche Profil für die Täter zutreffen, nämlich dass die Täter jüngere männliche Muslime aus den arabischen Ländern oder Nachkommen von Einwanderern aus diesen Ländern sind. Möglicherweise, so die Spekulationen, habe man Muslime aus dem Balkan dafür ins Land gebracht, die bislang noch nie im terroristischen Kontext aufgefallen sind. Oder man habe gleich mit Geld kriminelle Banden damit beauftragt, schließlich handelte es sich offenbar nicht um Selbstmordanschläge.

Damit würde die Angst vor den muslimischen "Schläfern", die sich unauffällig in eine Gesellschaft eingenistet haben, übergehen in eine Angst, die sich gegen jeden richten kann, der gegen Geld bereit sein könnte, Anschläge auszuführen. Jedenfalls scheint man, auch wenn auf ausländische Terrorzellen hingewiesen wird, die auch hinter dem Madrider Attentat gestanden haben sollen, von unauffälligen Tätern ("cleanskins"), auszugehen, die durch keine Terrorliste mit oder ohne biometrische Merkmale, wie sie nun auch wieder bundesdeutsche Politiker fordern, hätten identifiziert werden können.

Der ehemalige Chef der Metropolitan Police Lord Stevens ist der Meinung, dass der Anschlag von normalen und unauffälligen britischen Bürgern ausgeführt worden sei:

They will be apparently ordinary British citizens; young men conservatively and cleanly dressed and probably with some higher education. Highly computer literate, they will have used the internet to research explosives. They are painstaking, cautious, clever and very sophisticated.

Nach Regierungsdokumenten für das britische Kabinett, die die Times erhalten hat, versuchen islamistische Extremisten in Großbritannien, junge und gebildete, Muslime an den Schulen und Universitäten zu rekrutieren, die noch nicht straffällig oder anderweitig aufgefallen geworden sind. Sie könnten nützlich sein, weil sie technische Kenntnisse besitzen, Englisch beherrschen und sich unauffällig bewegen können. Dabei kann es sich um Muslime handeln, die bereits in Großbritannien geboren sind, aber auch um Menschen, die zum Islam übergetreten sind. Auch der Bericht davon ausgeht, dass nur ein Prozent der britischen Muslime den Terrorismus unterstützen würde, so wären dies doch insgesamt mehr als 16.000 Menschen, von denen Hunderte tatsächlich gewaltbereit sein könnten. Und auch wenn die britische Regierung dies natürlich aus nachvollziehbaren Gründen öffentlich nicht einräumen will, so wird in dem Dokument als ein Grund der Radikalisierung und Rekrutierung auch der strategische und interessengeleitete "Krieg gegen den Terrorismus" genannt:

It seems that a particularly strong cause of disillusionment among Muslims, including young Muslims, is a perceived ‘double standard’ in the foreign policy of western governments, in particular Britain and the US. The perception is that passive ‘oppression’, as demonstrated in British foreign policy, eg non-action on Kashmir and Chechnya, has given way to ‘active oppression’. The war on terror, and in Iraq and Afghanistan, are all seen by a section of British Muslims as having been acts against Islam.

Wie beispielsweise Ausweise mit biometrischen Merkmalen überhaupt einen Terroranschlag verhindern sollen, der nicht von schon bekannten Terroristen ausgeführt wird, sondern wie im Fall von London vermutlich von Menschen, die sich bereits im Land befinden und möglicherweise nur einer kleinen Gruppe angehören, ist besonders fraglich. Man müsste denn schon alle Zugänge zu öffentlichen Plätzen und Massenverkehrsmitteln oder den Zugang zu allen Orten, an denen sich viele Menschen aufhalten, kontrollieren, um wenigstens nachträglich feststellen zu können, wer zu welcher Zeit an einem bestimmten Ort gewesen ist. Ansonsten könnte man höchstens, wenn ein Täter unvorsichtig gewesen ist und Spuren auf der Tasche mit dem Sprengstoff hinterlassen hat, falls diese zur Abnahme der Fingerabdrücke noch intakt genug geblieben ist, diesen identifizieren, aber nicht die Tat selbst verhindern. Behindern ließe sich damit möglicherweise die Bewegungsfreiheit von bekannten Terrorverdächtigen.

Mittlerweile scheint klar zu sein, dass die Bombenanschläge fast gleichzeitig erfolgt sind, was darauf hinweist, dass sie mit einem Zeitzünder ausgestattet waren. Das ist ein Unterschied zu Madrid, wo die Täter Handys verwendeten. Ein weiterer Unterschied ist, dass offenbar der verwendete Sprengstoff, auch wenn er nicht selbst fabriziert war, nicht so großen Schaden anrichten konnte. Noch ist zwar die genaue Zahl der Todesopfer unbekannt, aber mit einem wirkungskräftigeren Sprengstoff hätte in den engen Tunnels und in den vollgestopften U-Bahn-Wägen die Zahl der Toten noch sehr viel größer sein können. Manche sprechen daher schon von dem Glück, dass es sich nur um Amateure und brutal low-tech gehandelt haben könne.

Wie in Madrid scheint es zudem keine Selbstmordattentäter gegeben zu haben. Möglich ist aber, dass der Anschlag auf den Bus, der seltsamerweise erst eine Stunde nach den Explosionen stattgefunden hat, von einem Selbstmordattentäter begangen wurde. Zeugen berichteten jedenfalls von einem nervösen jungen Mann mit einer Tasche. Auch wenn zunächst von den Verantwortlichen zur Verhinderung von Panik nur mitgeteilt wurde, es habe Stromausfälle gegeben, so ist diese Verzögerung doch eigenartig und scheint nicht für einen Zeitzünder zu sprechen. Hat es sich vielleicht um einen Täter gehandelt, der mit der Zeit nicht zurecht kam? Oder hat er solange gezögert?

13 Menschen sollen im Bus getötet worden sein. Würde man tatsächlich die Leiche eines Selbstmordattentäters aus den verbliebenen Körperresten zusammenstückeln können, dann böte eine DNA-Analyse eine Möglichkeit, diesen auch zu identifizieren, wenn sein Gesicht völlig unkenntlich ist (sofern noch Teile des Kopfes vorhanden sind, kann mit Computersimulationen versuchen werden, das Gesicht zu rekonstruieren). Aber das ginge auch nur dann, wenn sein Genprofil sich bereits in der Datenbank befindet, er also schon einmal wegen einer Straftat festgenommen wurde. Zwar hat die britische Regierung die Möglichkeit geschaffen, auch nur von Verdächtigen bereits einen genetischen Fingerabdruck zu speichern, die Konsequenz aber wäre dann, das DNA-Profil aller Menschen in Großbritannien zu erfassen und abzuspeichern, um auch in solchen Fällen oder um alle in der Nähe von Tatorten Anwesende identifizieren zu können. Dafür wird auch schon geworben, allerdings ergäbe sich darauf auch kein Beweis für eine Täterschaft, sondern nur für eine Anwesenheit am Tatort. Wenn eine Person sich nur in der Nähe einer Tasche mit dem Sprengstoff aufgehalten hat, ist das im Unterschied zu Selbstmordattentätern, die einen Sprengstoffgürtel o.ä. getragen haben und deren Körper dann entsprechende Verletzungen zeigt, kein Hinweis auf eine Täterschaft. Die Opfer eines Bombenanschlags können identifiziert werden, indem das DNA-Profil von Verwandten, die einen Angehörigen vermissen, erstellt und mit dem des Opfers abgeglichen wird.

Allerdings gibt es bereits auch andere Möglichkeiten, die Identität eines zerfetzten Menschen zumindest einzugrenzen. So lassen sich durch eine Analyse der Isotopen in den Knochen einige Merkmale des Getöteten herausfinden. Da deren Zusammensetzung von der Ernährung abhängt, kann man beispielsweise sagen, ob er schon länger in Großbritannien gelebt hat oder nicht. Man kann feststellen, wo der Täter aufgewachsen ist oder welche Krankheiten er gehabt hat. Solche Analysen können keine Anschläge verhindern, aber sie könnten womöglich dabei helfen, den Hintergrund von Tätern zu rekonstruieren. Eine präventive Erfassung von Daten – Gen-Profile, Kommunikationsverbindungen, finanzielle Transaktionen etc. – kann keine Tat verhindern, wenn nicht auch präventiv festgenommen wird, aber eine nachträgliche Identifizierung wird dadurch um den Preis eines Überwachungsstaats erleichtert.

Tausende von Überwachungskameras dürften keine Hilfe sein

Eine weitere Hoffnung ist, den Täter mit der Hilfe von Bildern der zahllosen Überwachungskameras von London auf die Spur zu kommen. Das Zentrum von London ist der am dichtesten mit Überwachungskameras ausgestatte Ort auf der Welt, was offenbar die Täter nicht davon abhalten konnte, die Anschläge "erfolgreich" durchzuführen. Untersuchungen haben allgemein gezeigt, dass die Präsenz von Überwachungskameras langfristig Kriminalität nicht reduziert. Kameras befinden sich in London an zahlreichen Häusern, Plätzen, Parkplätzen, Straßen, auch zur Mauterfassung, und an und in allen U-Bahn-Stationen, auch in vielen U-Bahn-Wägen. Über 6.000 Kameras überwachen das U-Bahn-Netz. Insgesamt soll es im Zentrum von London mehr als 500.000 Überwachungskameras geben (in ganz Großbritannien sollen es um die 7 Millionen Kameras sein, Tendenz steigend). Nach einer Untersuchung wird jeder Passant, der sich im Zentrum Londons bewegt, an einem einzigen Tag durchschnittlich von 300 Kameras erfasst.

Man kann also erwarten, dass die Täter tatsächlich nicht nur einmal von Überwachungskameras aufgenommen wurden. Die Polizei hat sich natürlich schon daran gemacht, das Material zu sichten. Große Erkenntnisse wird man daraus vermutlich aber nicht gewinnen. Dies nicht nur wegen der Bilderflut aus den zahlreichen Kameras, sondern vor allem deswegen, weil die Täter eben womöglich völlig unauffällig sind und das Tragen einer Aktentasche oder einer anderen Tasche im Berufsverkehr nicht gerade besonders auffällig ist. Weiß man nicht, wen man sucht, dann könnte man die Nadel im Heuhaufen nur aufgrund von vermeintlichen Verhaltensauffälligkeiten entdecken. Und auch wenn eine Kamera möglicherweise einen Verdächtigen erfasst hat, dann käme es auch noch darauf an, ob sich dieser nicht verkleidet hat oder die Kamera so befestigt ist, dass sie auch zur Identifizierung verwendbare Bilder liefert. Angeblich befand sich auch in dem Bus eine Überwachungskamera, in dem die Bombe explodierte. Sie soll aber irgendwann im Juni ausgefallen sein.

Um die Informationsflut noch zu steigern, bittet die Polizei in London alle Menschen, die Fotos oder Filme von den Tatorten gemacht hätten, diese über Email einzuschicken: ""We believe these images may contain vital information to assist us in the investigation."

Eine andere Möglichkeit, Anschläge mit Bomben im öffentlichen Nahverkehr zu verhindern, wären Schleusen mit Detektoren für Sprengstoff oder Sensoren, die versteckten Sprengstoff auch aus der Entfernung erkennen können. Noch sind alle Systeme keineswegs fehlerfrei. Sie können Falschalarm geben oder auch Sprengstoff nicht auffinden. Sollte eine solche Maßnahme nützlich sein, müsste wie in einem Flughafen jeder Zugang mit solchen Schleusen und zusätzlich mit Personal ausgestattet sein. Abgesehen von den Kosten würde dies im Berufsverkehr unweigerlich zum Chaos führen. Lange Schlangen bilden, wie im Irak deutlich sichtbar, überdies gute Ziele für Anschläge.

Bild eines Passive Millimetre-wave Scanner von QinetiQ

Angeblich sollen in London aber dennoch zur Beruhigung oder zum Testen einige dieser "Passive Millimetre-wave Scanner" im Eingangsbereich der U-Bahn aufbauen, die die Kleidung der Passanten durchleuchten und versteckte Gegenstände sichtbar machen können (aber dementsprechend auch Nacktbilder erstellen, was nicht allen Menschen gefallen dürfte - Nackte Sicherheit). Bislang hat man sie nur zum Aufspüren von illegalen Immigranten in Lastwagen an Häfen und am Flughafen Heathrow benutzt, da die Nacktbilder einen Eingriff i n die Privatsphäre darstellen und die Geräte auch ziemlich teuer sind. Pro Station würden bis zu drei Millionen Euro erforderlich sein. Aber Schutz der Privatsphäre und hohe Geldausgaben scheinen keine Einwände mehr darzustellen.

Wie die Herstellerfirma QinetiQ berichtet, können damit bis zu sechs Personen in einer Minute gescannt werden, auch ohne, dass diese das überhaupt bemerken würden. Die Detektoren können auch mit Überwachungskameras verbunden werden, so dass eine Person, die etwas Verdächtiges mit sich führt, von Kamera zu Kamera bis zur Festnahme verfolgt werden kann. Wie Simon Stringer, Direktor von QinetiQs Sicherheitsabteilung, sagte: "After today, I expect the travelling public will be more prepared to put up with a greater level of surveillance." Selbst dann offenbar, wenn die Geräte nicht dafür gedacht sind, Sprengstoff in Aktentaschen zu entdecken. Aber Sicherheit ist Sicherheit …

Anders wäre dies vielleicht mit billigen Sensoren möglich, die Sprengstoff aus der Ferne erkennen können und dann Warnhinweise geben. Solche Detektoren werden zur Früherkennung von Selbstmordattentätern oder Bomben entwickelt, die wie im Irak an Straßen versteckt werden. Selbstmordattentäter könnten anhand des Sprengstoffgürtels erkannt werden, es gibt aber auch Möglichkeiten, Sprengstoff aus Entfernungen bis zu 30 Metern mit Spektrometern oder optischen Systemen zu erkennen. Dazu müssten die Räume aber dicht mit Sensoren abgedeckt werden. Eine Warnung würde aber nur Sinn machen, wenn der Attentäter gleich nach Entdeckung den Sprengstoff zünden würde. Aber auch selbst wenn dann die Menschen auf der Straße oder dem Platz schnell flüchten sollten, könnten dadurch bestenfalls einige Menschen gerettet, womöglich aber noch mehr gefährdet werden, erklären Edward Kaplan und Moshe Kress in Operational effectiveness of suicide-bomber-detector schemes: A best-case analysis (PNAS.2005; 0: 50056710). In dichten Menschenmassen beschränkt sich die Wirkung einer Bombe nur auf die Umstehenden, wird die Menge jedoch lichter, können die Bombenteile sich weiter verstreuen und auch in größerer Entfernung Menschen töten und verletzen.

Die beiden Autoren empfehlen das israelische Vorgehen, nämlich das Sammeln von Informationen, um präventiv potenzielle Terroristen und ihre Hintermänner festzunehmen. Damit aber wären wir wieder bei der Option, die Demokratie und Freiheit mit Überwachung zu schützen und gleichzeitig einzuschränken. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern fordern daher reflexartig auch Politiker mehr Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten für Polizei und Geheimdienste. Vermutlich dürfte nach den Anschlägen in London die Forderung des britischen Innenministers Charles Clarke, die Verbindungsdaten aller Emails und Handy-Anrufe europaweit für mindestens fünf Jahre zhu speichern, größere Chanchen haben. Auch CDU/CSU-Politiker setzen sich für eine längere Speicherung ein. Clarke will sein Anliegen bereits am Mittwoch seinen EU-Kollegen auf einem am Freitag beschlossenen Sondertreffen unterbreiten.

Von der Politik der Sicherheit

Überraschend der britische Ministerpräsident Tony Blair von der üblichen Rhetorik getrennt und nicht nur angekündigt, aufgrund des Anschlags keine neuen Sicherheitsgesetze einführen zu wollen, sondern auch betont, dass man sich um die Ursachen des Terrorismus kümmern müsse, weil Sicherheitsmaßnahmen alleine nicht ausreichen. Man müsse eine gerechtere Welt schaffen und für Frieden im Nahen Osten sorgen. "Alle Sicherheit der Welt" würde nicht verhindern können, dass Menschen einen Bus in die Luft sprengen können.

Richtig ernt nehmen kann man allerdings diese Äußerungen nicht, wenn man gewahr wird, dass der britische Innenminister auf die übrigen EU-Innenminister Druck ausüben wird, weitere Sicherheitsmaßnahmen wie eine lange Speicherung aller Kommunikationsverbindungen einzuführen. Das aber ist nicht alles. Clarke wird überdies darauf drängen, dass eine europaweite Terroristenliste aufgebaut wird, auf die alle Polizeibehörden zugreifen können, um die Verbindungen von Terroristen zu erkennen. Überdies soll der Datenaustausch verbessert und gemeinsame Merkmale für Ausweise beschlossen werden.

Blair versucht auch weiterhin, die Muslime im Land vor den wenigen Fundamentalisten in Schutz zu nehmen, die den Islam pervertiert hätten, um Konflikte zu dämpfen. In London alleine lebt über eine Million Muslime. Die von den Terroristen ausgeübte Gewalt wäre nicht mit dem wahren Islam zu vereinen, sagt Blair diplomatisch. Religionen, nicht nur der Islam, aber lassen sich für alles Mögliche instrumentalisieren und sie verändern sich im Laufe der Zeit, weil sie interpretationsbedürftig sind. Warum sollte man den heute vielfach praktizierten Islam nicht auch kritisieren, wenn man gleichzeitig etwa auch die christlichen Lehren erneut einer Aufklärung unterzieht? Wenn die Ausübung von Religionen und deren Vertreter sich schwer mit Toleranz, Menschenrechten und Gleichberechtigung tun, dann sollte dies weder bei den einen noch bei den anderen einfach hingenommen werden. Mittlerweile wird im Westen von Kirchenvertretern und manchen Politikern im Konflikt der Kulturen so getan, als hätten die Kirchen selbst zu Freiheit, Demokratie, Religionsfreiheit, Menschenrechten etc. gefunden. Wenn man daher vom wahren Islam (oder Christentum) spricht, dann löst man nicht die Probleme, sondern verschleiert sie.

Vermeiden will Blair, dass die Beteiligung Großbritanniens am Irak-Krieg mit dem Terroranschlag in Verbindung gebracht wird. Bislang hat die Diskussion darüber in Großbritannien noch kaum begonnen, aber natürlich wird nicht nur bald die Beteiligung am Irak-Krieg selbst, sondern auch die fehlende Vorbereitung auf die Zeit nach dem Sieg, die Duldung von Gefangenenlagern in denen misshandelt wird, oder die zahlreichen Übergriffe und Kollateralschäden zur Sprache kommen, die den islamistischen Terrorismus im Irak und auf der gesamten Welt gestärkt haben. Blair sucht die Debatte (Bomb-Us-Please Crowd), sie wurde bereits vom Abgeordneten Galloway (Price of Iraq) oder von A.L. Kennedy (Für viele sind wir die Terroristen) begonnen, abzublocken, indem er darauf hinweist, dass der Krieg gegen Afghanistan eine Folge der Anschläge vom 11.9. gewesen sei. Aber er unterschlägt, dass mit dem Krieg gegen den Irak, der mit falschen Beweisen als Fortsetzung des Kriegs gegen den Terror verkauft wurde, nachhaltig die Glaubwürdigkeit der amerikanisch-britischen Politik beschädigt und zugleich das Scheitern am Wiederaufbau und am "nation building" die Ausbreitung des Widerstands und des Terrorismus begünstigt wurde.