Virtuelle Russendisko weiter im Netz

Pleiten, Pech und Pannen der Musikindustrie bei der Verfolgung von Online-Piraten

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Irgendwie scheint die deutsche Musikindustrie das Internet nicht in den Griff zu bekommen. Nachdem man jahrelang den Trend zum Musikdownload schlichtweg verschlafen hatte, gibt’s jetzt auch noch peinliche Pannen im Kampf gegen vermeintlich illegale Onlineanbieter. Fast zwei Monate brauchten die deutschen Phonoverbände, um eine Einstweilige Verfügung gegen den russischen Anbieter allofmp3 publik zu machen. Jetzt werden private Homepagebetreiber, die auf ihren Internetseiten durch Links auf die „virtuelle Russendisko“ (Focus Money) verweisen, zur Kasse gebeten werden.

Bereits am 11. Mai dieses Jahres hatte das Landgericht München I per Einstweiliger Verfügung den Musikdownload aus Moskau für illegal erklärt. Bei Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro wurde es den Betreibern von „allofmp3“ verboten, „geschützte Aufnahmen aus Tonträgern der Antragsstellerinnen innerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland zugänglich zu machen“. Antragsstellerinnen waren sechs führende Musikkonzerne, darunter „EMI Music“, SONY BMG“ und „Warner Music“, also die Unternehmen, deren Interessen von den Phonoverbänden unter anderem auf der gemeinsamen Internetseite www.ifpi.de vertreten werden sollen. Die Verbandsfunktionäre informierten jedoch erst am 6. Juli die Öffentlichkeit vom Urteil der Münchner Richter.

Während nach heise online den russischen Betreibern bis Freitag (8. Juli 2005) das Urteil selbst noch gar nicht vorlag und das Angebot auch weiterhin für deutsche Internetnutzer erreichbar ist, hatten einige private und kommerzielle deutsche Homepagebetreiber längst Post von der Münchner Rechtsanwaltskanzlei Waldorf erhalten. Darin werden diese aufgefordert, bis zum 12. Juli Links von ihren Internetseiten zu entfernen, die zu dem russischen Musikdownload führen. Damit sich die Aktion für die Justitiare auch lohnt, wurde der Streitwert bei Privatpersonen auf 75.000 Euro angesetzt - die Empfänger sollen jeweils 3.980 Euro an Anwaltskosten zahlen, auch wenn sie der Forderung fristgerecht nachkommen.

Der Südwestrundfunk zeigte sich von der anwaltlichen Attacke offensichtlich so beeindruckt, dass man einen Testbericht über Musikdownloads, in dem „allofmp3“ ausdrücklich gelobt worden war, eilig von der Website der Popwelle SWR3 entfernte. Die SWR-Tester hatten neben den günstigen Downloadpreisen von durchschnittlich unter 10 Cent pro Titel vor allem die ausgefeilte Technik des russischen Angebots gelobt.

Ob die auf Medien- und Internetverstöße spezialisierte Münchner Anwaltskanzlei mit der Abmahnaktion ihre Kassen füllen kann, ist indes mehr als fraglich. Immerhin müssten die Kläger begründen, warum sie das Urteil annähernd zwei Monate in der Schublade versteckten, bevor sie es öffentlich bekannt gaben. Denn nur so hätten die vermeintlichen Übeltäter davon erfahren können, dass Links zu allofmp3 möglicherweise rechtswidrig sind. Zudem hatten die Phonoverbände in ihrer Pressemitteilung vom 6. Juli ganz allgemein auf den „russischen Download-Shop“ verwiesen. Das Urteil richtet sich jedoch explizit gegen die Betreiber von allofmp3. Offensichtlich haben Musikmanager und deren Anwälte überhaupt noch gar nicht mitbekommen, dass längst weitere virtuelle Musikanbieter aus Osteuropa – wie mp3spy - immer mehr Pop- und Rockliebhaber in Deutschland erreichen.

Gründe für den offenbar zunehmenden Erfolg dieser Angebote sind keineswegs nur die günstigen Preisen, die in der Regel unter 10% der legalen Konkurrenz liegen. Während Anbieter wie Musicload und iTunes ihre Kundschaft durch Beschränkungen beim Kopieren der teuer erkauften Musikstücke verärgern und zum Teil nicht kompatible Dateiformate wie MP4 einsetzen, können beispielsweise die Nutzer von allofmp3 vor dem Download selbst bestimmen, in welcher technischen Qualität sie die Titel erhalten wollen.

Die russischen Online-Musikshopbetreiber müssen vermutlich keine rechtlichen Konsequenzen im eigenen Land befürchten

Ohnehin scheinen die Phonverbände mit dem Internet dauerhaft auf Kriegsfuß zu stehen. Als zu Beginn dieses Jahrhunderts private Musiktauschbörsen wie „Napster“ längst florierten, versuchten die Plattenbosse noch ihre CDs durch Kopiersperren zu schützen. Diese Strategie erwies sich als kontraproduktiv, weil findige Softwaretüftler rasch so genannte „Knackprogramme“ entwickelten und erfolgreich verbreiteten. Zudem ließen sich viele legal erworbene CDs wie die Samplerreihe „Bravo Hits“ überhaupt nicht mehr in Computern abspielen. Beim Einlegen dieser Scheiben stürzten Rechner regelmäßig ab und vergraulten damit die Kundschaft.

Immerhin zahlte sich im September 2003 die eifrig bei Politikern betriebene Lobbyarbeit der Phonoverbände aus. Seinerzeit trat das neue Urheberrechtsgesetz in Kraft, das unter anderem die Nutzung von Musiktauschbörsen sowie das Umgehen von Kopierschutz auch für Privatpersonen unter Strafe stellte (Die rechtlich geschützte Kopierschutz-Gesellschaft). Wohl selten zuvor hat ein Wirtschaftszweig in Deutschland eine ähnlich umfangreiche staatliche Alimentierung erfahren. Doch auch diese Stütze des Gesetzgebers nutzte wenig. Während die Verbände weiterhin zurückgehende Tonträgerumsätze beklagten, hatte mit dem Computerhersteller Apple inzwischen ein Branchenneuling das Musikgeschäft aus dem Internet übernommen. Bis heute ist iTunes, wo Musiktitel pauschal für 99 Cents angeboten werden, die weitaus erfolgreichste legale Musikplattform.

Vermutlich wird sich daran in naher Zukunft auch nicht allzu viel ändern, zumal auch die russischen Online-Musikshopbetreiber kaum rechtliche Konsequenzen im eigenen Land befürchten müssen. Vergeblich hatte der internationale Musikbranchenverband IFPI in diesem Frühjahr versucht, „allofmp3“ komplett verbieten zu lassen. Die Moskauer Staatsanwaltschaft hatte darauf hin zwar Ermittlungen aufgenommen, musste diese im März mangels gesetzlicher Grundlagen in Russland jedoch rasch wieder einstellen. Erfolgreich waren die Musikverbände nur in Spanien. Ende Mai dieses Jahres mussten die Betreiber von „weblisten.com“ ihr Angebot nach über sieben Jahren aus dem Netz nehmen.

Für die deutsche Musikwirtschaft könnte sich das Urteil der Münchner Richter indes zum Pyrrhussieg entwickeln. Musikliebhaber, die allofmp3 bislang noch nicht kannten, werden spätestens durch die öffentlich zur Schau gestellten Pannen der Plattenfunktionäre und ihrer Anwälte darauf aufmerksam geworden sein. Selbst wenn eines Tages dieses Angebot für deutsche Computer gesperrt werden sollte, warten bereits Wettbewerber wie mp3search mit ähnlich günstigen Preisen und vergleichbar ausgefeilter Technik auf deutsche Kunden.

Prof. Horst Müller MBA ist Inhaber des Lehrstuhls für Redaktionspraxis an der Hochschule Mittweida (FH), Fachbereich Medien