Abbas' letzte Prüfung?

Wegen einer neuen Serie der Gewalt hat Israel die Übergabe von Bethlehem an die Palästinensische Autonomiebehörde abgesagt

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Bei einem Gipfeltreffen vor einem Monat hatte Israels Ministerpräsident Ariel Scharon dem palästinensischen Präsidenten Machmud Abbas viel versprochen. Doch dann kam eine neue Welle der Gewalt dazwischen. Kernstück der Zusagen war die als Zugeständnis gedachte Übergabe der Sicherheitsverantwortung über Bethlehem in der unmittelbaren Nachbarschaft Jerusalems gewesen. Weil es in der Geburtsstadt Jesu Christi in den vergangenen Monaten ruhig war, gilt die offizielle Rückgabe des Ortes an die palästinensische Autonomiebehörde in israelischen Sicherheitskreis schon seit Langem als unbedenklich. Eine Woche darauf sollte dann Kalkiliya übergeben werden. Außerdem stellte Scharon die Wiedereröffnung des Flughafens Gaza und die volle Kontrolle über die Land- und Seegrenzen zum Gazastreifen in Aussicht. Die erwartete Gegenleistung: absolute Sicherheit für Israel.

Der Abzug aus dem bekannten Touristenziel Bethlehem lässt weiterhin auf sich warten: Am Dienstag sagte Israels Regierung die eigentlich für diese Woche geplante Übergabe kuzfristig ab, nachdem palästinensische Extremisten in der Nacht zuvor verstärkt israelische Siedler und Soldaten angegriffen hatten. Am Abend riss zudem ein Selbstmordattentäter in einem Einkaufszentrum in der Küstenstadt Netanja vier Menschen mit sich in den Tod. Schon Minuten nach dem Anschlag bekannte sich der Islamische Dschihad zu dem Anschlag, bei dem zudem mehr als 90 Menschen verletzt wurden. Das israelische Kabinett traf sich am Abend zu einer außerplanmäßigen Sitzung um über Vergeltung zu sprechen. Einen Beschluss gab es aber nicht. Stattdessen wurden überall in Israel und den besetzten Gebieten die Sicherheitsvorkehrungen verschärft.

“Sicherheitszaun“ bei Kalkiliya

Damit ist die Aufgabe Bethlehems nun in die Ferne gerückt: „Erst wenn die palästinensische Seite ihren Teil tut, wird es weitere Zugeständnisse geben“, sagte ein Regierungssprecher am Abend. So ist von einer Übergabe des nördlich von Jerusalem gelegenen Kalkiliya, einer Stadt, die direkt an der Grünen Linie liegt und völlig von der israelischen Sperrmauer umgeben ist, mittlerweile überhaupt keine Rede mehr– eigentlich hatte der Ort genau eine Woche nach Bethlehem übergeben werden sollen: „Wir fühlen uns an alte Zusagen nicht mehr gebunden“, so der Sprecher: „Wir erwarten, dass die Palästinenser umgehend und uneingeschränkt ihr eigenes Haus aufräumen; falls notwendig, werden wir sie dazu zwingen.“

Sicherheit war in der Tat schon vor den Ereignissen am Dienstag ein Dauerbrennerthema gewesen: Nur einen Tag nach dem spannungsgeladenen Treffen zwischen Scharon und dem palästinensischen Präsidenten Machmud Abbas in Jerusalem versank ein Auftritt von Premierminister Achmed Kureia im Flüchtlingslager Balata im Chaos, als außerhalb des Gebäudes Schüsse abgefeuert wurde. „Die Art und Weise, wie die palästinensischen Sicherheitsorgane mit der Situation umgegangen sind, sollte uns zu denken geben“, sagte kurz darauf Regierungssprecher Ra’anan Gissin. Und BBC-Korrespondent Matthew Price, der bei der Sitzung anwesend gewesen war, kommentierte: „Szenen wie diese lassen kein besonders großes Vertrauen in die Fähigkeit der Palästinenser aufkommen, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen.“

Scharon hatte darauf gehofft, Abbas durch weitreichende Angebote, wie zum Beispiel die Wiedereröffnung des Flughafens in Gaza und die Aussicht auf volle Kontrolle über die Land- und Seegrenzen des Gazastreifens, zu ungewöhnlichen Schritten bewegen zu können. Doch dies ist leichter gesagt als getan: „Die Extremistengruppen sind gut ausgerüstet und wild entschlossen,zu zeigen, dass es sie gibt“, sagt Ze’ew Schiff von der Zeitung HaAretz. Und sein Kollege Aluf Benn wertete den Anschlag am Dienstag abend als direkten Angriff auf die Authorität von Machmud Abbas: „Der Islamische Dschihad hat ihn vor der ganzen Welt und seinem eigenen Volk bloßgestellt und gezeigt, dass die Organisation nicht dazu bereit ist, sich der Führung Abbas’ unterzuordnen. Abbas muss nun seinen möglicherweise letzten Test bestehen.“

In der Tat sind seine Bekräftungen, er werde gegen die Extremisten vorgehen, selten und leise geworden; sein Versprechem am Dienstag Abend, er werde die Hintermänner des Anschlags zur Rechenschaft ziehen, wurden von der israelischen Regierung nur noch mit einem müden Lächeln zur Kenntnis genommen. „Die palästinensische Führung hat dem Extremismus wenig entgegen zu setzen – ihre Polizeikräfte haben ja noch nicht einmal genug Waffen“,sagt HaAretz-Kommentator Ze’ew Schiff. Aviv Buntman von der Zeitung Jedioth Ahronoth ist sich derweil sicher, dass die palästinensische Führung ohenhehin nicht bereit wäre, für die Übergabe der Sicherheitsverantwortung gewaltsame Ausschreitungen zu riskieren: „Bei diesen Aktionen werden ein paar Kontrollpunkte aufgegeben, ein paar Flaggen ausgetauscht und danach bleibt alles beim Alten: Israelische Uniformen sind auch jetzt schon nur selten in israelischen Städten zu sehen; palästinensische Polizisten sind dort auch jetzt schon im Einsatz.“

Dass es der israelischen Regierung dennoch schwer fällt, diesen nach Ansicht des Sicherheitsapparates weder strategisch noch sicherheitspolitisch besonders gefährlichen Schritt zu gehen, liegt vor allem an der Öffentlichkeitswirkung einer solchen Aktion: „Vor allem jetzt, kurz vor dem Beginn der Siedlungsräumung, kann eine Übergabe trotz Gewalt schnell viel Unterstützung kosten“, sagt BBC-Mann Matthew Price. Die Gegner des Trennungsplanes werfen dem Premierminister schon seit Langem vor, er setze die Sicherheit des Staates aufs Spiel.

Dennoch hatte auch am späten Dienstag abend niemand einen Zweifel daran, dass es dennoch zu Übergabe kommen wird: „Beide Seiten müssen derzeit das Bild erzeugen, dass sich in der Region etwas bewegt“, erklärt HaAretz-Kommentator Ze’ew Schiff. „Abbas wird deshalb versuchen, die Extremisten durch stärkere Einbindung in Schach zu halten; Scharon wird daraufhin Bethlehem und Kalkiliya übergeben. Beide sind zum Fortschritt verdammt.“