Der Zauberer von Bush

Ein rhetorisches Lehrstück: die Affäre Rove

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Es ist ein faszinierendes politisches Intrigenspiel mit Überlänge, das derzeit in den amerikanischen Medien und im Weißen Haus aufgeführt wird: die Affäre Rove. Hauptdarsteller sind das Gehirn hinter Bush, der Präsidentenberater, "The Brain" Karl Rove, ein ehemaliger US-Botschafter, Joseph Wilson, eine Handvoll namhafter Journalisten und ein Sonderermittler namens Patrick Fitzgerald. Das Stück dürfte für Rhethorikliebhaber und solchen von trickreichen politischen Manövern ein Genuss sein. Für Irakkriegsgegner ist es ein weiteres Lehrstück über die Kunst der Lüge im Weißen Haus (Karl Rove deserves a prize). Für die Verfechter von Pressefreiheit ein finsteres Drama, denn das einzige Opfer, sieht man mal von der Wahrheit ab, an der bis zur Unkenntlichkeit gezupft, gedreht, gewoben und geknetet wird, ist eine Journalistin, die - ohne dass sie über die Affäre berichtet hat - verhaftet und eingesperrt wurde. An ihrem Fall zeigt sich übrigens auch, wie parteiisch die Solidarität des liberalen Lagers sein kann, selbst wenn es um Grundrechte geht.

Karl Christian Rove ist ein sehr wichtiger Mann im Hintergrund des Machtzentrums um Präsident Bush. Als solcher bewegt und nährt er die Fantasie vieler Amerikaner. Die Macher des Dokumentarfilms Bush's Brain nennen ihn die "mächtigste politische Figur Amerikas, von der man nie gehört hat". Natürlich sind Bücher über ihn verfasst worden, das Wort "Rovian" soll in der politischen Szene bei einigen als Synonym für "machiavellistisch" im Gebrauch sein und Rove hatte als Zeichentrickfigur in der amerikanischen Fernsehshow "American Dad", ausgestrahlt von Fox, einen Auftritt als Dunkelmeister, bei dem ein Wolf heulte, als der Name "Karl Rove" fiel, und sich die Figur, als sie eine Kirche verließ, in einen Schwarm Fledermäuse auflöste.

Große Glaubwürdigkeit bei Top-Reportern

Seit einiger Zeit nun ist der berühmteste Hintermann Amerikas in den Vordergrund der politischen Bühne geraten - ob nolens wie im Valerie Plame Skandal, von dem hier die Rede sein wird, oder volens wie nach seinem kürzlich praktizierten Ellenbogencheck gegen die Demokraten, wonach jene auf den 11.September mit "...Therapie und Verständnis für unsere Angreifer" reagiert hätten - und sieht sich dort dem Kreuzfeuer der amerikanischen Presse ausgeliefert.

Nicht so schutzlos allerdings, wie es der vorige Satz suggerieren mag. Karl Rove verfügt über "große Glaubwürdigkeit" und Unterstützung bei führenden Nachrichtenorganisationen und Top-Reportern, weil er sie oft mit wichtiger Hintergrund-Beratung ("background guidance") versorgen konnte, wie die Los Angeles Times weiß. Darüberhinaus steht der Präsident - noch? - loyal, fest wie ein Felsen vor seinem Berater, dem er die zwei Wahlsiege zu einem erheblichen Ausmaß verdankt.

Das Fragezeichen hinter dem eingeschobenen "noch" verdankt sich einem Statement des Präsidenten selbst. Bush ist - zumindest in der Auslegung des einen Lagers - in der Klemme. Im Juni 2004 hat er auf die Frage, ob derjenige, der für die Enthüllung der CIA-Agentin Valerie Plame verantwortlich ist, gefeuert wird, explizit mit "Ja" geantwortet. Schon im Oktober 2003 hatte Bush verlautbart, dass die Sache ernst sei, die Enthüllung ein "krimineller Akt", die entsprechenden Folgen impliziert. Das Pikante daran: Schon von Anfang an, gab es Gerüchte, wonach sich die Quelle der Enthüllung im Weißen Haus befinden könnte: Bush wusste bei seinen Aussagen, wonach die Enthüllung justitiabel ist, dass dies seinen Berater treffen könnte. Karl Rove wurde von Anfang an als möglicher "Whistleblower" im Fall Plame verdächtigt.

Der Fall Valerie Plame

Worum geht es im Fall Valerie Plame? Der Fall ist durch eine Fülle von Aussagen und Gegenaussagen derart komplex geworden, dass es einen Charles Dickens bräuchte, um ihn in seiner Komplexität anschaulich aufzufädeln, ohne das Wesentliche auszublenden. Aber eine chronologische Folge der wichtigsten Ereignisse mag die Leser mit dem grundlegenden Rahmen und den Spieleinsätzen der "Affäre Rove" versorgen.

Am Anfang stehen die 16 berühmten Worte des US-Präsidenten in seiner Rede an die Nation vom 28.Januar 2003:

Die britische Regierung hat Kenntnis davon erhalten, dass Saddam Hussein vor kurzem eine signifikante Menge an Uran in Afrika zu erhalten suchte.

Wie schlecht die Faktenlage hinter diesen Worten aussah, wie mit allerlei Manövern dennoch an dieser "Erkenntnis" festgehalten worden ist, wie viel sie zu den publizistischen Kriegsvorbereitungen für den US-geführten Einmarsch im Irak beigetragen haben, darauf ist hier bereits ausführlich eingegangen worden (vgl. Yellowcakegate, "Macbeth" und die gefälschten Niger-Dokumente, Niger als Projektionsfläche der Weltpolitik). Für die Geschichte des Valerie Plame-Skandals ist hier zuallererst die Reaktion eines ehemaligen US-Botschafters in Afrika entscheidend: Joseph Wilson publizierte am 6.Juli 2003 einen Kommentar in der New York Times, in dem er beschrieb, was er auf seiner Reise nach Afrika im vorhergehenden Jahr nicht gefunden hatte, nämlich handfeste Beweise für das Geschäft zwischen Saddam Hussein und dem Uranium-Business in Niger:

Ich brauchte nicht lange, um meine Schlüsse zu ziehen, wonach es sehr zweifelhaft war, dass eine solche Transaktion jemals stattgefunden hat.

Wilson behauptete in seinem Kommentar, dass er im Auftrag der CIA in Niger war, und er legt gar eine Spur zu Vizepräsident Cheney:

Ich wurde von Vertretern der CIA darüber informiert, dass das Büro des Vizepräsidenten Cheney Fragen zu einem speziellen Geheimdienstbericht hat. Während ich selbst den Bericht nie vor Augen bekam, wurde mir gesagt, dass er sich auf einen Memorandum beziehe, in dem es um den Verkauf von Uranium-Yellocake von Niger an Saddam Hussein in den späten 90er Jahren geht. Die CIA-Vertreter fragten mich, ob ich in den Niger reisen könnte, um die Geschichte zu prüfen, so dass sie dem Büro des Vizepräsidenten eine Antwort schicken könnten.

Die Diskreditierung einer falschen Botschaft

Acht Tage nach der Veröffentlichung des Artikels widerlegt ein amerikanischer Journalist namens Robert Novak diese Behauptung. Der Wahl Wilsons für diesen Auftrag sei auf "unteren Ebenen der CIA" erfolgt, ohne Wissen des (damaligen) Agency-Chefs Tenet. Der Bericht sei ohnedies fehlerhaft. Wilson, so Novak, sei kein CIA-Mitarbeiter, aber - und damit platzte die Bombe für den Valerie Plame-Skandal - seine Frau, Valerie Wilson, gebürtige Plame, schon. Nach seinen Quellen, zwei ranghohen Regierungsmitarbeitern, sei es Wilsons Frau gewesen, die ihm den Auftrag verschaffte.

Die Presse schnappte nach dieser Enthüllung. Nachdem Novak Wilsons Frau als CIA-Mitarbeiterin öffentlich entlarvt hatte, verrieten auch andere Journalisten, ihnen sei von (ungenannten) Quellen aus der Regierung Bush im Vertrauen gesagt worden, dass Wilson von seiner Frau in den Niger geschickt worden sei. Matthew Cooper folgerte dann aus dieser Enthüllung das naheliegende Motiv, das Weiße Haus führe offensichtlich einen Krieg gegen den missliebigen Wilson mit seinen unpassenden Äußerungen, welche der Regierung in die Parade fahren.

Rache des Weißen Hauses?

Diese Lesart - Rache für Wilsons Äußerungen - wurde naturgemäß von anderen geteilt. Das Weiße Haus reagierte und bestritt jede Verwicklung, während Wilson und CIA-Mitarbeiter erbost darauf hinwiesen, dass die Enttarnung von Valerie Plame auch andere Agenten in Gefahr gebracht habe. Tatsächlich gab es im Oktober mehrere Veröffentlichungen, wonach mit Agent Plame auch eine CIA-Firma, die in Saudi-Arabien unter einem Tarnnamen als Ölfirma operierte, "aufgeflogen" sei.

Am 16.September 2003 erwähnte ein Slate-Artikel, dass in einer Pressekonferenz der Verdacht Wilsons angesprochen wurde, wonach Karl Rove einer der ungenannten Regierungsquellen sei, die Plame enttarnt haben. Zudem sei eine Sonderermittlung in diesem Fall vom Justizministerium auf Forderung der CIA angeordnet worden. Als Chefermittler wurde Ende 2003 Patrick Fitzgerald bestellt.

Die Sonderermittlung

Einige Zeit lang verschwand der Valerie Plame-Skandal dann von den lauten Titelseiten. Seit kurzem ist er wieder dort. Hauptsächlich dafür verantwortlich sind zwei Ereignisse: einmal die Verhaftung der New York Times Reporterin Judith Miller am 7.Juli dieses Jahres, weil sie sich weigerte, ihre anonyme Quelle vor den Sonderermittlern zu offenbaren. Bemerkenswert daran ist, dass Miller bislang keinen Artikel zum Plame-Skandal veröffentlichte. Zum anderen, weil jetzt öffentlich kein Zweifel mehr darüber besteht, dass Karl Rove gegenüber den Journalisten Robert Novak und Matthew Cooper tatsächlich über Valerie Plame "geplaudert" und sie als CIA-Agentin und Wilsons Frau geoutet hat.

Letzte Woche willigte Matthew Coopers in eine Aussage vor den Sonderermittlern ein, nachdem er von seiner Quelle - also von Rove - die Erlaubnis dazu bekam. Im Zuge dessen wurden Emails an seinen Ressortleiter beim Time-Magazine publik gemacht, wonach Rove in persönlichen Gesprächen mit Cooper im Juli 2003 einmal von "Wilsons Frau sprach, die bei der CIA arbeitet und die Reise ihres Mannes autorisiert hat" und zum anderen Cooper davor warnte, in der Wilson-Geschichte nicht allzuweit zu gehen.

Der Journalist, welcher der erste war, der Wilsons Frau enttarnte, Robert Novak, soll, so Newsweek wegen eines "Arrangements" mit dem Sonderermittler Fitzgerald gar nicht erst in Gefahr gelaufen sein, vor Gericht erscheinen zu müssen. Interessanter Hintergrund hierzu: Karl Rove wurde 1992 von dem Vater des gegenwärtigen Präsidenten, George Bush, als Wahlkampfberater gefeuert, weil er Novak Informationen zugespielt hatte.

Clintoneske Volten

Der Name der Quelle also endlich aufgedeckt, dazu die Beteuerung von Präsident Bush, er werde den Enthüller feuern, also alles klar im "Who ist to Plame"-Skandal? Weit gefehlt. In einer Weise, die an Präsident Clintons rhetorische Akrobatik in Sachen oraler Sex erinnert, der kein Sex sei, wird nun darüber spitzfindig argumentiert, ob die Worte "Wilsons Frau" gleichbedeutend sind mit der Nennung des Namens Valerie Plame. Ob diese Worte also den Tatbestand der Enthüllung der CIA-Agentin mit dem Namen Valerie Plame schon erfüllen.

Darüberhinaus gibt es noch die Diskussion darüber, ob der CIA-Status von Plame tatsächlich ein geheimer war, so dass auch nach diesem Argumentationsstrang noch nicht feststeht, ob die Enthüllung überhaupt eine war, die notwendigerweise strafrechtlich geahndet werden muss. Die Kriterien dafür sind ziemlich hoch angesetzt.

So wartet der Präsident in Ruhe und Vertrauen in Rove ab, was die "Ermittlungen ergeben", worauf sein Sprecher Scott McClellan dieser Tage unermüdlich hinweist. Doch der Druck auf den Präsidenten wächst, Umfragewerte sinken, und natürlich werden die Forderungen nach dem Rücktritt Roves täglich lauter. Aber für Beobachter der politischen Szene in Washington ist Rove eine Art politischer Supermann, ein Mastermind, der alle Taktiken und Manöver beherrscht wie kein zweiter und deswegen auch aus dieser Klemme herausfindet.

"Das ist mehr ein rhethorisches Spiel als ein Skandal", so der Tenor der Experten, für die der günstige Ausgang für Rove/Bush schon feststeht. Obendrein dürfen Rove und sein loyaler Beschützer Bush auch auf Rückenwind aus der Presse hoffen, die manches hübsch auf den Kopf stellen kann, so dass, wie ein gestriger Kommentar im Wall Street-Journal zeigt, am Ende Rove der wahre Held ist, da er die Journalisten vor der "mangelnden Glaubwürdigkeit" Joseph Wilsons gewarnt habe.

Fehlende Solidarität aus dem liberalen Lager

Währenddessen geben manche aus dem linken Lager keine gute Figur ab, was die Solidarität mit der verhafteten Journalistin Judith Miller angeht. Was auf dem Spiel steht ist klar: Für die Pressefreiheit hat es enorme Konsequenzen, wenn Journalisten, die aufgrund ihrer Weigerung, anonyme Quellen preiszugeben, was unbestritten notwendiger Bestandteil der Arbeit sein kann, inhaftiert werden. Schon jetzt wurde bekannt, dass der Herausgeber einer großen Zeitung in Ohio eine Geschichte als Reaktion auf diese Praxis zurückgezogen hat.

Eigentlich ein Thema, dass für liberale Wächter der Demokratie wie geschaffen sein müsste, doch erstaunlicherweise, so zu lesen in einem Artikel des amerikanischen Online-Magazins Salon, zeigt sich im Falle Millers kaum Solidarität mit der inhaftierten Frau, die ihre Quelle nicht verraten will. Im Gegenteil: Die Redaktion würde Dutzende von Leserbriefen bekommen, welche die Meinung ausdrückten, dass es Miller ganz recht geschehe. Einer forderte sogar die Todesstrafe.

Und warum? Judith Miller hat sich einen zweifelhaften Ruhm mit Artikeln für die New York Times erworben, wo sie zu Anfang des Irak-Kriegs Informationen aus einer geheimen Quelle veröffentlichte, die große Sympathien für den Einmarsch der US-Truppen äußerte (was sich in ihren entsprechenden Artikeln bemerkbar machte). Die New York Times stand u. a. deswegen zeitweise im Ruf, eine verlängerte Pressestelle des Weißen Hauses zu sein, wofür sie sich später in einer Aufsehen erregenden Art entschuldigte (vgl. Seltene Selbstanzeige). Grund für wenig Sympathien gegenüber Judith Miller im Lager der liberalen Kriegsgegner gibt es also. Aber ist das genug, um, was Grundpfeiler der Demokratie betrifft, mit zweierlei Maß zu messen?