Vom Keimzellenpatent zur Konsum-Eugenik

Mit der Geschlechtsselektion ohne medizinische Indikation könnte die Ära des Designer-Babies für alle anbrechen

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Für die Fortpflanzungsmedizin könnte der sozial bestimmte Wunsch nach Geschlechtsselektion eines künftigen Kindes einen der am rasantesten expandierenden Märkte der Zukunft entstehen lassen. Mit kinderwilligen Paaren, die weder unfruchtbar sind, noch andere gesundheitliche Probleme haben, erschließt sich der Reproduktionsmedizin ein völlig neuer Kundenstamm. Eine ursprünglich für medizinische Zwecke erfundene Technologie wie die In-Vitro-Fertilisation könnte in Verbindung mit der Geschlechtsselektion schon bald den Bereich der Konsumkultur erobern. Wer ein Patent auf die entsprechende Technologie besitzt, kann auf große Profite hoffen. Während das in bioethischen Fragen wenig restriktive Belgien die Geschlechtsbestimmung aus nicht-medizinischen Gründen verboten hat, gibt es in Großbritannien derzeit Bestrebungen, das geltende Verbot zu lockern. Droht in der Reproduktionsgenetik eine Entwicklung wie bei der Schönheitschirurgie?

Wie die Umweltschutzorganisation Greenpeace in der letzten Woche bekannt gab, erteilte das Europäische Patentamt (EPA bereits im Februar 2005 ein Patent auf die Auswahl des Geschlechts von Kindern, die durch eine künstliche Befruchtung gezeugt wurden.

Patentinhaber ist das 1996 gegründete Unternehmen XY Inc. mit Sitz im US-Bundesstaat Colorado, das sich auf die Geschlechtsselektion bei Kühen, Pferden und Schweinen spezialisiert hat. 1998 produzierte die Firma das weltweit erste Fohlen, dessen Geschlecht künstlich festgelegt wurde und nannte es "Call Me Madam". Laut der Patentschrift mit der Nummer EP 1257 168 B werden bei dem Verfahren Samenzellen nach den Geschlechts-Chromosomen getrennt. Dabei umfasst das Patent nicht nur das technische Verfahren, sondern auch die Samenzellen selbst. Der Ethikexperte Professor Dietmar Mieth von der Universität Tübingen weist darauf hin, dass das Patent auch zur Auswahl anderer Merkmale verwendet werden kann: Damit sei die Methode zur "Menschenzüchtung" nutzbar.

Greenpeace prüft nun einen Einspruch gegen das Patent, das mehrere europäische Gesetze verletzt: Die Patentierung menschlicher Keimzellen ist in Europa nicht erlaubt, auch Verfahren zur Geschlechtsselektion sind in den meisten europäischen Ländern verboten - außer bei bestimmten geschlechtsgebundenen Krankheiten. Selbst die Biomedizin-Konvention des Europarates von 1997 verbietet die Geschlechtswahl aus nicht-medizinischen Gründen (Art. 14). Greenpeace fordert deshalb eine Neuordnung des Patentrechts, um der schrankenlosen Patentierungspraxis des EPA Einhalt zu gebieten. 2005 hat das Amt bereits etwa 100 Patente auf Gene, 50 Patente auf Saatgut und Pflanzen sowie 20 Tierpatente vergeben.

Das Spermasortierverfahren Microsort

Im Gegensatz zu Europa gibt es in den USA keine Gesetze, welche die Geschlechtsselektion verbieten. Dort hat die technologische Entwicklung auch ihren Anfang genommen. Das 1984 gegründete US-amerikanische Genetics & IVF Institute in Fairfax, Virginia, vertreibt unter dem eingetragenen Markennamen Microsort ein bereits 1992 patentiertes Verfahren zur Geschlechtsselektion beim Menschen.

Das Unternehmen greift vor der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle im Reagenzglas in den Prozess der Geschlechtsentstehung ein: Grundsätzlich tragen die Eizellen der Frau ausschließlich das X-Chromosom, während die männlichen Spermien entweder das X oder das Y-Chromosom besitzen. Trifft ein X-Spermium auf die Eizelle, wird neun Monate später ein Mädchen geboren (XX Chromosomensatz). Wenn es ein Y-Spermium ist, wird es ein Junge (XY-Chromosomensatz). Das Microsort-Verfahren setzt am männlichen Sperma an: Zunächst werden die Spermafäden mit einem fluoreszierenden Farbstoff markiert. In einer Spermasortiermaschine werden die Geschlechtschromosomen dann per Laser zum Aufleuchten gebracht. Da die weiblichen X-Chromosomen etwas mehr DNA in sich tragen als die Y-Chromosomen, leuchten sie intensiver - und die Maschine kann beide voneinander trennen. Anschließend werden der künftigen Mutter je nach Wunsch nur männliche oder nur weibliche Embryonen injiziert.

Ursprünglich wurde die Methode nur bei geschlechtsgebundenen Krankheiten wie der Bluterkrankheit eingesetzt, die ausschließlich bei männlichen Genträgern ausbricht. Mit dem Microsort-Verfahren konnten die Repromediziner dann dafür sorgen, dass nur Mädchen gezeugt werden. 1995 wurde das erste mit diesem Verfahren ausgewählte Kind in den USA geboren. Seit 1998 bietet das Genetics & IVF Institute die Technologie aber auch gesunden Paaren in den USA an. Diese Entwicklung weckt auch in einigen europäischen Ländern Begehrlichkeiten.

Belgien: Vorstoß bei Geschlechtsbestimmung gestoppt

In Europa wird über die Geschlechtsbestimmung ohne medizinische Gründe heftig gestritten: 2003 legte der belgische Repromediziner Frank Comhaire aus Gent mit dem oben skizzierten Microsort-Verfahren erstmals in Europa das Geschlecht eines Kindes vor der künstlichen Befruchtung fest.

In Belgien war die Geschlechtsselektion aus nicht-medizinischen Beweggründen bis dahin nicht verboten. Wer 6.300 Euro aufbringen konnte, sich verpflichtete, im Falle des Misslingens keine Abtreibung vorzunehmen und bereits ein Kind des jeweils anderen Geschlechts vorweisen konnte, dem stand die Methode offen. Eine breite öffentliche Skandalisierung führte aber dazu, dass diese Methode gesetzlich verboten wurde, sagte Katrin Grüber, Leiterin des Instituts für Mensch Ethik und Wissenschaft gegenüber Telepolis. Nun ist auch in Belgien "die Geschlechtswahl, ob an Spermien oder im Rahmen der PID verboten, wenn sie nicht bezogen auf die Aussonderung von Embryonen mit Krankheiten oder Behinderungen durchgeführt wird." Mit dieser Regelung wurde dem "social sexing" des Repromediziners Comhaire ein Riegel vorgeschoben.

Großbritannien: Parlamentsausschuss für Zulassung der Geschlechtsselektion

In Großbritannien machte 2003 ein schottisches Paar mit drei Jungen und einem Mädchen Schlagzeilen, deren Tochter bei einem Unfall starb. Der Antrag, die "weibliche Dimension" der Familie per Präimplantationsdiagnostik (PID) wiederherzustellen, wurde von der Human Fertilization and Embryology Authority (HFEA abgelehnt.

Diese Behörde wurde im August 1991 als Bestandteil des Human Fertilisation and Embryology Act von 1990 eingerichtet. Ihre Aufgabe ist es, Kliniken zu überwachen, in denen In-Vitro-Fertilisation (IVF), Samenspenden und Embryonenforschung durchgeführt werden. Im Dezember 2003 sprach sich die HFEA in einer Empfehlung ausdrücklich gegen die Geschlechtsselektion aus nicht-medizinischen Gründen aus. Laut britischem Recht dürfen Familien das Geschlecht ihres Kindes nur aus medizinischen Gründen auswählen lassen - bei geschlechtsgebundenen Krankheiten. Seit einigen Monaten gerät diese Position in Großbritannien aber immer stärker unter Druck.

Ende März 2005 legte der parlamentarische Ausschuss für Wissenschaft und Technologie dem Unterhaus einen Bericht vor, in dem die Aufhebung des Human Fertilisation and Embryology Act gefordert wird. Eine Opposition gegen das reproduktive Klonen basiere "mehr auf Tabus als auf schlüssigen Argumenten". Auch die Entscheidung über eine Präimplantationsdiagnostik (PID) soll nicht mehr reguliert, sondern den Eltern überlassen werden. Nach dem Willen des Ausschusses soll es auch erlaubt werden, aus nicht-medizinischen Gründen das Geschlecht eines Embryos zu bestimmen, der aus künstlicher Befruchtung hervorging. Der Ausschuss möchte das Verfahren allerdings auf Familien beschränkt sehen, die bereits mehrere Söhne haben und nun eine Tochter möchten oder umgekehrt.

Es bestehen gute Chancen, dass das grundsätzlich sehr biowissenschaftsfreundliche Land Großbritannien als erstes europäisches Land die Geschlechtswahl eines Embryos aus sozialen Gründen zulassen könnte - selbstverständlich mit strengen Auflagen. Dennoch wird es kaum möglich sein, dann die Wahl weiterer Merkmale wie Augenfarbe oder Körpergröße zu unterbinden, kritisierte die biotechnologiekritische Organisation GeneWatch in einer Erklärung. Paare, deren erstes Kind braune Augen hat, könnten dann argumentieren, aus Gründen der Ausgewogenheit wünschten sie sich für ihr zweites Kind blaue Augen. Kinder werden immer stärker als designbares Produkt aufgefasst, das Qualitätsmanagement und Merkmalsplanung unterworfen werden muss. Hiermit wird der Weg in Richtung einer Konsum-Eugenik beschritten, die Reproduktion analog zum "shopping" begreift.