"Evil Ideology"

Der mutmaßlichen Terrorgruppe fehlt der typische Hintergrund von Selbstmordattentätern, zudem hätten sie für die Anschläge ihr Leben gar nicht opfern müssen

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Nach einer Studie der Universität Tel Aviv über Selbstmordattentate in Nahost sind solche Anschläge weder mit dem Hinweis auf suizidgefährdete Täter noch mit dem radikalen Islam hinreichend zu erklären. Entscheidend seien der Gruppendruck und die persönliche Verpflichtung der Freiwilligen gegenüber Brigaden wie Al-Aksa, Hamas oder Dschihad. Was bisher über die vier britischen Bomber des 7.7. bekannt geworden ist, gibt noch keinen wirklichen Hinweis, welche Gruppe bei ihnen diesen Druck erzeugt haben könnte. Sir Ian Blair, Chef der Metropolitan Police, beschreibt die Gruppe als Fußvolk, das irgendwie mit al-Qaida in Verbindung stand. Derweil versucht Tony Blair den Menschen zu versichern, dass die Anschläge nichts mit dem Krieg im Irak zu tun haben. Sie seien lediglich durch eine "böse Ideologie" (evil ideology) motiviert gewesen, die man nicht verändern, sondern nur "mit den Wurzeln" vernichten könne.

Die vier Freunde in Luton

Dass es der ominösen "Geheimorganisation der Al-Qaida in Europa", die das erste "Bekennerschreiben" (Die Website des Bekennerschreibens) zu den Bomben veröffentlichte, auch gelungen ist, diesen mittelständischen und dem Anschein nach unpolitischen jungen Briten den Tod im Heiligen Krieg schmackhaft zu machen, scheint derzeit schwer vorstellbar. Noch weiß man nicht wirklich, wer die jungen Männer beeinflusst haben könnten. Allerdings waren zwei der Gruppe in Pakistan, wo man Reste von Bin Ladens al-Qaida vermutet, manche scheinen auch mehrmals an Pilgerfahrten nach Mekka teilgenommen zu haben. In Pakistan wurden vier Männer, darunter ein Geistlicher, aufgrund von Informationen der britischen Polizei festgenommen, aber es ist völlig ungewiss, ob das irgendetwas mit den Attentätern von London zu tun hat.

Überdies werden Verbindungen in die USA berichtet, deren Zusammenhang mit dem Terrorismus aber höchst spekulativ sind. So soll Mohammed Sidique Khan mit einer Person in Queens telefoniert haben, die dort wiederum in Verbindung mit einer Moschee stünde. Unterstellt wird in den Medien, dass dieser Terroristen rekrutiere. Und Lindsay Germaine hat Verwandte in Ohio besucht. Daraus wird dann der Titel London Bombers Have Ties to United States.

Magdy El Nashar

Zudem hat Magdy El Nashar, der vor kurzem in Ägypten festgenommen wurde und angeblich den Attentätern beim Bauen der Bomben behilflich gewesen sein soll, in den USA Chemie studiert, bevor er an die Universität von Leeds gegangen ist. Nashar war zwei Wochen vor den Anschlägen nach Ägypten gereist - angeblich, um Urlaub zu machen. Er bestreitet jede Beteiligung. In einem von ihm angemieteten Haus wurde Sprengstoff gefunden und soll eine "Bombenfabrik" gewesen sein. Zunächst hatte es geheißen, der von den Attentätern benutzte Sprengstoff käme aus Militärbeständen, möglicherweise aus Bosnien.

Mittlerweile heißt es, dass ein selbstgemischter Sprengstoff benutzt wurde und sich Spuren in der Wohnung des Chemikers gefunden hätten. Dabei soll es sich um eine hochexplosive Acetonperoxid-Mischung (APEX) oder Triacetontriperoxid (TATP). gehandelt haben. Die Ausgangsmaterialien wie Abflussreiniger, Mittel zum Haarebleichen oder Nagellackentferner lassen sich ohne Probleme kaufen und sind natürlich kein Indiz für irgendwelche Terrordaten. Gleichwohl sucht man weiterhin verzweifelt nach Indizien, die auf al-Qaida hinweisen.

So hat die britische Times in Dokumenten, die man in al-Qaida-Lagern in Afghanistan gefunden hatte, unter vielen anderen Anleitungen zur Herstellung von Sprengstoff auch eine solche für TATP entdeckt, auch "Mutter des Satans" genannt. Ein großes Geheimnis ist das allerdings nicht. Weil aber auch der zum Islam konvertierte britische Schuhbomber Richard Reid einen solchen Sprengstoff bei sich hatte, werden so Verbindungen suggeriert, die womöglich gar nicht bestehen. Reid hatte übrigens den Sprengstoff nicht richtig hergestellt. Überdies hätte man auch die "Frankfurter Islamisten" erwähnen können, die einen Sprengstoffanschlag in Straßburg geplant haben sollen. Bei ihnen wurden ebenfalls, wie der Generalsbundesanwalt 2001 berichtete, die leicht in Apotheken zu haben sind:

Bei der Durchsuchung der von den Angeschuldigten in Frankfurt am Main genutzten beiden konspirativen Wohnungen wurden große Mengen von Oxidationsmitteln ( etwa 29 Kilogramm Kaliumpermanganat) und Brennstoffen (Aluminiumpulver und Schwarzkümmel) sowie Grundstoffe zur Herstellung des Explosivstoffes Triacetontriperoxid (Aceton, Wasserstoffperoxyd, Natriumcarbonat und Batteriesäure) sichergestellt.

Man muss nur kurz im Internet suchen, um ganz al-Qaida-freie Hinweise zur Herstellung von Peroxiden zu erhalten, die allerdings nicht einfach ist, zudem ist die Handhabung des hochexplosiven Sprengstoffs sehr gefährlich:

gebraucht wird (fürAcetonperoxid): - 500 ml Wasserstoffperoxid, 30%ig (Apotheke, Schlecker, Müller) Aber nur 30%iges Wasserstoffperoxid kaufen, da das 3% und 10% Zeug nichts taugt!

- 350ml Aceton ( Baumarkt [5Liter ca. 8 €], Apotheke )

- 100ml Salz- oder Schwefelsäure 20-30%ig (Apotheke)

Von den palästinensischen Selbstmordbombern etwa ist bekannt, dass sie in den letzten Tagen vor ihrem Anschlag rund um die Uhr von einem Team betreut werden, um ein Abspringen in letzter Minute zu verhindern, ihr Bekenntnis zum Dschihad wird zuvor für die Helden-Annalen auf Video festgehalten. Von all diesen der Gehirnwäsche und Abrichtung des Täters dienenden Maßnahmen, ohne die ein Selbstmordbomber kaum zu "programmieren" ist, gibt es bei den "Brit Bombers" bis dato keine Spur. Vielmehr unterhielten sie sich auf dem Bahnhof Kings Cross, wo sie mit ihren Rucksäcken auf Video festgehalten wurden, nach Angaben der Polizei locker "wie auf einem Wanderausflug".

Hasib Hussain in Luton

Dazu passt, dass erst eine besorgte Mutter, die sich nach dem Verbleib ihres Sohnes erkundigte, die Fahnder auf die "heiße Spur" brachte. Was ebenfalls nicht gerade für den "klassischen" Selbstmordterroristen auf seiner geplanten letzten Mission spricht.

Noch merkwürdiger aber scheint, dass von den Tätern an den Explosionsorten Ausweise bzw. Kreditkarten gefunden worden sind, die die Ermittler schnell auf die Spuren in Leeds brachten Die Daily Mail interpretiert diese als Absicht und finale Trotzreaktion:

While some suicide bombers destroy all evidence of who they are, the fact that the four made a point of carrying identification documents was seen by investigators as a final act of defiance - and intent.

Warum ein echter Selbstmordbomber mit Absicht seine Familie, Freunde, sein "Netzwerk" in Gefahr bringt, harrt allerdings ernsthaft der Klärung durch Psychologen und Motivforscher - bei einem falschen Selbstmordbomber indessen, der etwa für eine Übung mit falschen Sprengstoff angeheuert wird, würde diese Elefantenspur unmittelbar einleuchten: er hat seine Papiere dabei, weil er nichts von seiner wirklichen Mission weiß... und verhält sich "wie bei einem Wanderausflug". Wenn es da etwas spät wird, ruft dann natürlich auch Mutti bei der Polizei an, wo ihr Junge bleibt - aber bei einem zum Selbstmord getrimmten Bomber sorgen seine Gehirnwäscher und Masterminds noch nicht einmal für ein Alibi im "Hotel Mama", und führen so die Polizei schnurstracks zu ihrer "Bombenfabrik"?

Aber natürlich könnten da auch willige und abenteuerlustige junge Männer gefunden worden sein, die ideologisch getrimmt, aber wie auf einem Abenteuerausflug loszogen, um Anschläge auszuführen - womöglich geadelt durch den Auftrag Bin Ladens selbst, der sich ja irgendwo im Grenzgebiet von Afghanistan und Pakistan aufhalten soll. Wollten sie selbst mit in die Luft fliegen, wäre ihnen womöglich alles egal, vielleicht wollten sie auch nur die Sprengladung deponieren und wurden unfreiwillig zu Opfern, weil diese ferngezündet wurden, um sie beiseite zu schaffen und gleichzeitig vorzugeben, dass nun Selbstmordattentäter auch Europa heimsuchen. Für alle Versionen ist Hasib Hussain ein Rätsel, der in den Doppeldeckerbus gestiegen sein soll, in dem erst eine Stunde später die Bombe explodierte. Kein Wunder also, dass die britische Polizei vor allem hier nach weiteren Informationen sucht.

Mittlerweile wurde bekannt, dass die vier mutmaßlichen Attentäter nicht nur alle ihre Ausweise bei sich führten, sondern für die Bahn Rückfahrkarten gekauft hatten. Ordentlich hatten sie auch die Autos in Luton geparkt und Parkscheine bezahlt. So verdichtet sich auch beim britischen Geheimdienst und bei der Polizei die Vermutung, wie der Mirror schreibt, dass es sich gar nicht um Selbstmordattentäter handelte, sondern dass die vier Attentäter vielleicht in dem Glauben gehandelt haben, noch rechtzeitig entkommen zu können, die Hintermänner aber vielleicht ihre naiven "Instrumente" getötet haben, damit sie nichts verraten können.

The theory that they were not a suicide squad is gathering pace. They were the weakest link. We think it's possible they were told that when they pressed buttons to set off timers they'd have a short time to abandon the bombs and get away before the blast. Instead, the bombs exploded immediately.

Informant des Mirror

Indirekt wurde nun auch von einem Sprecher von Scotland Yard bestätigt, dass man sich unsicher ist, ob es sich wirklich um Selbstmordattentäter handelt:

Wir haben niemals den Begriff 'Selbstmordattentäter' benutzt. Uns war immer bewusst, dass zu den Fragen, die wir klären mussten, stets gehörte zu erkennen, ob diese Menschen sterben oder eine Bombe zur Explosion bringen wollten.

Da im aktuellen öffentlichen Diskurs ein irgendwie gearteter al-Qaida-Hintergrund favorisiert wird, hat die am vergangenen Donnerstag auf BBC 5 gesendete Nachricht, dass am Morgen des 7.7. zeitgleich mit den Anschlägen eine Anti-Terrorübung in der Londoner U-Bahn stattfand, bisher noch nicht den Weg in die Mainstreammedien gefunden.

Der ehemalige Scotland Yard-Mann und Mitarbeiter der privaten Sicherheitsfirma Visor, Peter Power - ein in den britischen Medien durchaus bekannter "Anti-Terror-Experte" - hat seine Aussagen in BBC 5, dass es bei dieser Übung um eine Simulation simultaner Bombenanschläge auf das U-Bahn-Netz ging, inzwischen mehrfach bestätigt:

In short, our exercise (which involved just a few people as crisis managers actually responding to a simulated series of activities involving, on paper, 1000 staff) quickly became the real thing and the players that morning responded very well indeed to the sudden reality of events.

Beyond this no further comment will be made and based on the extraordinary number of messages from ill informed people, no replies will henceforth be given to anyone unable to demonstrate a bona fide reason for asking (e.g. accredited journalist / academic).
Peter Power

London Underground Exercises: Peter Power Responds

Seine Firma hatte offenbar zahlreiche Mails erhalten, in denen sie bezichtigt wurde, an dem Bombenplot beteiligt zu sein - was insofern etwas kurz gedacht scheint, als Mr. Power dann sicher nicht im Radio auftreten und erzählen würde, dass "ihm die Nackenhaare zu Berge" standen, als die Übung plötzlich in Realität umschlug.

Natürlich kann es ein verrückter Zufall sein, dass zeitgleich mit den Anschlägen eine Übung stattfand, bei der genau solche Anschläge simuliert werden sollten - ähnlich wie am Morgen des 11.9. 2001, als in den USA "wargames" (Die Wargames des 11. September) abliefen , bei dem das Hijacking von Zivilflugzeugen simuliert werden sollte.

Bei keinem der vielen schweren IRA-Anschläge in England handelte es sich jemals um ein Selbstmordattentat. Merkwürdig ist auch, dass bei den Anschlägen auf die Züge in Madrid sich keiner der Täter in die Luft sprengte. Warum? Es war gar nicht notwendig, sein Leben zu opfern, um die Tat durchzuführen, zudem waren angeblich noch mehr Anschläge geplant. Erst als einige der mutmaßlichen Attentäter von Madrid umzingelt waren, brachten sie sich durch Bomben um. Und nach allem, was wir bisher wissen, bestand auch in London keine Notwendigkeit für einen Selbstmordanschlag. Wenn die vier Männer über den Zeitpunkt der Detonation informiert waren oder ihn mit einem Timer selbst einstellen konnten, hätten sie nur eine Station zuvor aussteigen müssen.

Aber wie auch immer man es dreht und wendet und die offenen Fragen deutet, so bleibt mysteriös. warum der jüngste der mutmaßlichen Attentäter erst eine Stunde nach den anderen im Doppeldeckerbus die Bombe gezündet hat oder sie eine Stunde später explodierte. Um einen größtmöglichen Schaden anzurichten, hätte er sich mit seiner Sprengladung auch anders platzieren müssen. Die Bombe explodierte nicht in der Mitte, sondern hinten. Überdies scheint es auch noch keine DNA-Analyse zu geben, die beweist, dass die mutmaßlichen Attentäter tatsächlich umgekommen sind. Bislang war nur von den Ausweisen die Rede, die gefunden wurden.