Neuroprothesen ziehen in die Gehirne der Menschen ein

In Brasilien soll in drei Jahren erstmals einem Menschen ein Chip implantiert werden, um künstliche Arme neuronal zu steuern

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Brasilien will in der Anwendung der Neurotechnologie voranpreschen. In drei Jahren soll in einem brasilianischen Krankenhaus das erste Mal ein Chip in das Gehirn eines Menschen implantiert werden, mit dem eine Armprothese durch Abanhme von neuronalen Impulsen in einem Areal des motorischen Kortex gesteuert wird. Die Technik wurde von Miguel Nicolelis, der aus Brasilien stammt und gegenwärtig das Neurowissenschaftliche Institut an der Duke University leitet, entwickelt.

Getestet wurde der Chip bislang an Rhesus-Affen (Mit neuronalen Signalen direkt einen Roboterarm steuern). Vor zwei Jahren hatten Wissenschaftler unter der Leitung von Miguel Nicolelis berichtet, dass zwei Rhesus-Affen, denen Elektroden im frontoparietalen Kortex implantiert worden waren, gezielt einen Roboterarm mit ihren Gedanken über ein visuelles Feedback steuern konnten. Eine spätere Analyse der neuronalen Daten aus dem Versuch hat ergeben, dass die Affen den Roboterarm nicht nur wie ein Instrument gesteuert, sondern dass das Gehirn in der Lage war, diesen als dritten Arm zu übernehmen (Das Selbst und der erweiterbare Körper).

Bei den Rhesus-Affen wurden neuronale Impulse zahlreicher Zellen durch Elektroden abgenommen und von einem Computer analysiert, um Muster für die Bewegung der Hand zu identifizieren. Zunächst lernten die Affen einen Joystick zu steuern, um einen Cursor auf einem Bildschirm zu einem Ziel zu bewegen. Dann wurde in die Bewegung des Cursors die Dynamik eines Roboterarms, der sich in einem anderen Raum befand, mit seiner Trägheit und seinem Schwung integriert. Als die Affen beherrschten, den Arm gezielt zu bewegen und mit einer angemessenen Kraft etwas zu ergreifen, lernten sie überraschend schnell, den Cursor auch ohne die Hilfe des Joysticks mit ihren Gedanken zu bewegen.

Für Nicolelis war dies eine Bestätigung, dass vermutlich auch Menschen neue und zusätzliche künstliche Gliedmaßen ohne große Probleme aufgrund der Plastizität der Neuronen in ihren Körper integrieren könnten. Und das soll nun in drei Jahren erstmals in Brasilien an einem Menschen demonstriert werden. Zumindest hat das Institut für Lehre und Forschung des Syrisch-Libanesischen Krankenhauses in Sao Paulo dies mit Nicolelis vor kurzem vereinbart. Einem Menschen, der beide Hände verloren hat, soll die Neuroprothese implantiert werden, um mit neuronalen Impulsen die Bewegung seiner künstlichen Armprothesen zu steuern.

Bis zur ersten Operation am Menschen wird am Institut in einem neu eingerichteten neurowissenschaftlichen Labor die Technik an weiteren Versuchstieren erprobt. Auch das Chirurgen-Team, das die Operation durchführen wird, muss sich auf diese intensiv vorbereiten, d.h. an Affen üben. Ob die Implantation der Gehirn-Computer-Schnittstelle in einen Menschen bereits von der brasilianischen Gesundheitsbehörde genehmigt wurde, geht aus der Mitteilung nicht hervor.

Offenbar dient das Projekt auch als Eintrittskarte in Internationale Neurowissenschaftliche Institut mit 15 Forschungslabors, einer Schule, einem medizinischen Znetrum für Kinder und Jugendliche, einem Wissenschaftsmuseum und einem Naturpark dienen, das in Macaíba, im brasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Norte, gebaut werden soll und an dem das Syrisch-Libanesische Krankenhaus als erstes nicht-staatliches Krankenhaus beteiligt ist. Damit will Brasilien im Bereich der Neurowissenschaften an der Spitze mitspielen und brasilianische Forscher aus dem Ausland wieder zurückholen. Miguel Nicolelis steht an der Spitze des Wissenschaftsrats des Instituts.

Zudem schläft die Konkurrenz nicht. Beispielsweise hat John P. Donoghue von der Brown University, u.a. gefördert von der Darpa, eine ähnliche Gehirn-Computer-Schnittstelle entwickelt und die Firma Cyberkinetics gegründet, die bereits mit BrainGate und NeuroPort die ersten Produkte für die medzinische Forschung anbietet. Implantiert wurden sie bereits in motorische und sensorische Areale von Affen, Katzen und Ratten. Ende des letzten Jahres wurde einem ersten Patienten in den USA ein BrainGate mit hundert Elektroden einen Millimeter tief in den motorischen Kortex implantiert. Damit kann er einen Computer oder einen Fernseher mit seinem Gedanken bedienen. Andere Versuche laufen.

Das Defense Sciences Office (DSO) der Darpa ist weiterhin an Neurotechnologien interessiert, um künstliche Gliedmaßen zu steuern. Ausdrücklich auch aufgrund der im Irak verletzten Soldaten, die häufig Amputationen erleiden müssen, schrieb die Forschungsabteilung des Pentagon im April ein Forschungsprojekt für eine neuronale Steuerung von künstlichen Gliedmaßen, die "vollständig die motorischen und sensorischen Kapazitäten von Patienten wiederherstellen, denen Arme amputiert wurden". Die Prothese soll, so die Ausschreibung der gerne futuristischen Darpa, so perfekt sein, dass die Soldaten auch wieder in den Militärdienst zurückkehren könnten.

Die Neurotechnologie stellt allgemein einen lukrativen Markt dar, weswegen es darauf ankommt, möglichst zu den ersten zu gehören, die Produkte auf den Markt bringen. Nicolelis hat dazu ein internationales Netzwerk neurowissenschaftlicher Institute mit Sitz in Lausanne gegründet, dem neben dem Krankenhaus in Sao Paulo das Neuroengineering Center of Duke University, das Neurocomputation Center of the University of Jerusalem und das International Neurosciences Institute of Natal, Brasilien, angehören.