Regierungsbildung im Libanon

Libanon nach der "Zedern-Revolution": Nach wochenlangen Verhandlungen gibt es nun eine demokratische Regierung, an der erstmals auch die Hisbollah beteiligt ist

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Nach der „Zedern-Revolution“ (Libanon: die erste "Revolution" im Nahen Osten?), dem Abzug der syrischen Truppen und den ersten freien Parlamentswahlen im Juni hat der Libanon nun seine „demokratische Regierung“. Zum ersten Mal ist die Hisbollah mit zwei Ministern im Kabinett vertreten. Die „Patriotische Freie Bewegung“ von Michel Aoun ging dagegen leer aus. Pro-syrische Minister gibt es nur zwei: Elias Murr ist der alte und neue Verteidigungsminister und Charles Risk führt wie bisher das Informationsministerium.

Seit über drei Wochen versucht der designierte Premierminister Fouad Siniora nun ein Kabinett der „Nationalen Einheit und Versöhnung“ zu bilden. Anfänglich schien alles sehr schnell zu gehen. Saad Hariri verzichte auf seinen Anspruch auf die Ministerien der Justiz und Inneren Sicherheit. Vertreter der „Freiheitlichen Patriotischen Bewegung“ von Michel Aoun sollten die Ämter bekommen. Auch Hisbollah und Amal waren zufrieden, nachdem ein Kompromisskandidat für das Außenministerium gefunden wurde, das die beiden schiitischen Parteien beansprucht hatten.

Dann aber zählte Fouad Siniora, der der „Zukunftsbewegung“ von Saad Hariri angehört, offensichtlich noch einmal die Ministerliste nach. Die anti-syrische Opposition, die bei Parlamentswahlen vom Juni deutlich gewann, verfügte über keine Zwei-Drittel-Mehrheit im 24-koepfigen Kabinett, die eine unumschränkte Entscheidungsgewalt möglich gemacht hätte. Daraufhin stockte Siniora kurzerhand und ohne die anderen Parteien zu konsultieren, auf 30 Minister auf. Michel Aoun, der erst im Mai aus 15-jährigem Exil zurückgekehrte Ex-General, und die Fraktion von Hisbolla und Amal erklärten den Boykott der neuen Regierung.

Danach lag der Entwurf eines 24-köpfigen Kabinetts bei Emile Lahoud. Seit Freitag überlegt der Staatspräsident, der eine Beteiligung von Michel Aouns Bewegung fordert, was zu tun ist. Die USA werfen ihm seit Wochen eine Verschleppung der Regierungsbildung vor, obwohl er erst seit letztem Wochenende etwas zu entscheiden hat. Man sei besorgt über Präsident Lahoud, hieß es aus dem State Departement in Washington, „wie er die Regierungsbildung verhindert, die öffentliche Meinung manipuliert und sich hinter konstitutionellen Privilegien versteckt.

Bisher hatte man Lahoud mit den Bombenanschlägen in Beirut in Verbindung gebracht, bei denen anti-syrische Kritiker, wie der Journalist Samir Kassir und der Ex-Generalsekretär der Kommunistischen Partei George Hawi, ums Leben kamen. Vergangene Woche war nun Emile Lahouds eigener Schwiegersohn Ziel eines Attentats. Elias Murr, der ausscheidende Verteidigungsminister, überlebte den Anschlag auf seinen Autokonvoi nur mit viel Glück. Zum ersten Mal war ein langjähriger pro-syrischer Politiker Ziel eines Bombenattentats. Emile Lahouds Reputation wurde etwas besser, zumindest im Libanon. Niemand will ihm ernsthaft vorwerfen, seinen eigenen Schwiegersohn töten zu wollen.

Außerdem bestätigten die Ergebnisse der UN-Untersuchungskommission zum Attentat auf Rafik Hariri die Theorie des Präsidentenpalastes. Auf einem Kleinlaster befanden sich die rund 400 Kilogramm Sprengstoff, am Steuer saß offensichtlich ein Selbstmordattentäter. Die von der anti-syrischen Opposition so vehement vorgetragene Version von einer unter der Straße deponierten Bombe, die eine libanesisch-syrische Koproduktion vermuten ließ, erwies sich als propagandistische Fata Morgana.

Anti-syrische Stimmung

Anti-syrische Sentiments schlagen zurzeit trotzdem hoch. Seit zwei Wochen sitzen libanesische LKW-Fahrer vor den syrischen Grenzen aus Sicherheitsgründen fest. Am vergangenen Wochenende wurden neun Fischer verhaftet, als sie in syrischen Hoheitsgewässern ihre Netze auswarfen. „Das ist eine Blockade des Libanons“, erklärte Walid Jumblatt, der Vorsitzende der „Progressiven Sozialistischen Partei“.

Die syrischen Behörden rechtfertigen ihre langen Grenzkontrollen mit „Sicherheitsbedenken“. Auf einem LKW habe man Sprengstoff gefunden. Vor zwei Wochen war es an der syrischen-libanesischen Grenze zu Schießereien zwischen Grenzbeamten und radikalen Islamisten gekommen, die die Grenze Richtung Syrien illegal überschreiten wollten. Die Lage ist gespannt, nachdem syrische Schmuggler am Wochenende wiederum auf eine libanesische Grenzpatrouille geschossen hatten. Vorgestern explodierte ein Munitionsdepot im Bekaa-Tal in der Nähe der Stadt Kosbaya, unweit der syrischen Grenze. Das Depot stand unter der Kontrolle der „Palästinensischen Öffentlichen Front“, die dort auch ein Trainingscamp unterhalten soll und früher wiederholt das Angriffsziel israelischer Kampfflugzeuge war.

Amnestie und die Hisbollah als politische Kraft

Nachdem bei der langwierigen Regierungsbildung kaum von einer „nationalen Versöhnung“ gesprochen werden kann“, zeigte sich das Parlament am Montag von einer ungewohnten Einigkeit. Es verabschiedete ein Amnestie-Gesetz, das speziell für die Freilassung von Samir Geagea zu Recht gebastelt worden war. Nach 11 Jahren Haft kommt der 52-jährige Führer der „Libanese Force“ (LF) nun in ein paar Tagen frei. Geagea war 1994 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Der einzige Milizenführer aus der Zeit des libanesischen Buergerkriegs, der zur Verantwortung gezogen wurde. Das Gerichtsverfahren entsprach nicht internationalen Rechtsgepflogenheiten und das Urteil war politisch motiviert, entsprechend syrischen Wünschen. Obwohl es keine ausreichenden Beweise für Samir Geageas Beteiligung an der Ermordung des libanesischen Präsidenten Rachid Karami 1978 gab, saß der LF-Führer nicht umsonst im Gefängnis. Wie alle anderen Milizen-Führer des Buergerkriegs war auch er ohne Zweifel an Massakern an Zivilisten und an der Ermordung von Politikern beteiligt.

Mit seiner Freilassung ist er wieder in bester Gesellschaft mit seinen ehemaligen nicht minder blutrünstigen Gegnern, wie dem Drusen Walid Jumblatt oder dem Schiiten Nahib Berri. Beide heute wohlhabende Würdenträger des Libanons.

Vor der Abstimmung über das Amnestie-Gesetz im Parlament verließen die 14 Abgeordneten der Hisbollah demonstrativ den Plenarsaal. Samir Geaga ist und bleibt für sie ein Kriegsverbrecher und Verräter, da er ein Bündnis mit dem israelischen Militär während der Invasion des Libanons 1982 eingegangen war. Hisbollah ist im neuen Kabinett zum ersten Mal mit zwei Ministern vertreten. Mohammed Fneish übernimmt das Energieministerium, Tarrad Hamadeh wird Arbeitsminister.

In Brüssel traf sich unterdessen der UN-Gesandte für den Libanon Terje Roed-Larsen mit den Außenministern der Europaeischen Union. Thema die UN-Resolution 1559 und die damit verbundene Entwaffnung der Hisbollah. „Wenn die Hisbollah Ministerposten übernimmt, kann sie als Miliz nicht weiter bestehen“, meinte Roed-Larsen. Der militärische Flügel müsse in die libanesische Armee integriert werden.

Für die Hisbollah ist das ein weiterer Versuch des Westens, „den Widerstand zu entwaffnen“. Vom momentanen Status Quo will man nicht abweichen. Hisbollah fühlt sich bestärkt, nachdem sie bei den Parlamentswahlen zusammen mit Amal, alle schiitischen Mandate errungen haben.

Außerdem soll es Garantien von Saad Hariris „Zukunftsbewegung“ geben, dass die neue Regierung das Thema „Hisbollah“ als interne Angelegenheit betrachtet. Mit dem Schiiten Fawzi Salloukh als Außenminister deutet alles daraufhin. Er ist auch ein Kandidat von Hisbollah und Amal. Das mag wohl kurzfristig funktionieren, aber auf Dauer kann diese Position weder den Forderungen der UNO, noch dem Druck der USA standhalten. Die Integration des „bewaffneten Widerstands“ in die libanesische Armee ist sicherlich eine realistische Perspektive.