Grüne Welle gegen schwarzes Gold

Auf der Insel Sachalin wehrt sich die indigene Bevölkerung gegen ein riesiges Erdölprojekt

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Die Insel Sachalin im äußersten Nordosten Russlands ist eine herbe Schönheit. Das Klima ist hart: lange, kalte Winter und kurze, kühle Sommer. Früher wurden Strafgefangene dorthin verbannt, heute wandert die dort ansässige Bevölkerung ab, weil die russische Regierung die Energie- und Lebensmittellieferungen drastisch zurückgefahren hat. Doch wo für den Menschen die Bedingungen schwierig sind, gedeihen Flora und Fauna. Sachalin ist ein Naturparadies mit ungeheurer Artenvielfalt.

Und vor der Haustüre, im Sachalinschelf, lagert ein weiterer Schatz: Die bedeutendsten noch zu erschließenden Öl- und Gasvorkommen der Welt – mehr als 50 Milliarden Barrel Erdöl und 200 Billionen Kubikfuß Erdgas. Sachalin-1 bis Sachalin-6 werden die Öl- und Gasfelder genannt, die, so heißt es, die größten Investitionen in der Geschichte Russlands anziehen. Insgesamt geht es um zirka 100 Milliarden Dollar, 22 Milliarden davon sind schon geflossen: in Sachlin-1 und Sachalin-2.

Die Macht der Konsortien

Mächtige Firmenverbände haben sich auf Sachalin breit gemacht: Exxon-Mobil (Anteil: 30 Prozent) führt bei Sachalin-1 ein Konsortium an, zu dem die japanische Sodeco (30 Prozent), die russische Gasprom und die indische India's Oil & Natural Gas Corp. (je 20 Prozent) gehören. An Sachalin-2 sind Royal Dutch/Shell (55 Prozent), Mitsubishi (20 Prozent) und Mitsui (25 Prozent) beteiligt.

Wo so viel Geld im Spiel ist, wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Weil Gas und Öl vom Nordosten Sachalins in den einzigen eisfreien Hafen bei Juschno-Sachalinsk im Süden der Insel gepumpt werden müssen, sollen zwei 800 Kilometer lange Pipelines entstehen, die die Insel der Länge nach durchschneiden werden, um von dort Erdöl und Erdgas nach Nordamerika, Japan, Südkorea und vermutlich auch China zu bringen. Geplant ist zudem der Bau einer Pipeline von 200 Kilometer Länge für Sachalin-1 sowie der Bau einer LNG-Station (Liquid Natural Gas Production Plant) zur Verflüssigung von Erdgas sowie eines dazu gehörenden Hafens in der Aniva Bucht.

Folgen für die Umwelt …

So viel Aktivität hat Folgen. Nach einem Bericht der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) haben die Fischer der Insel bereits 1999 als Folge der Ölbohrungen 900 Tonnen tote Heringe im Wasser entdeckt, in ihren Körpern fanden Wissenschaftler Öl und Schwermetalle. Das geplante Röhrensystem wird die Laichgründe von Krabben, Seeigeln und insbesondere Lachsen, aber auch Wildwechsel und die letzten noch zusammenhängenden Rentier-Weidegründe zerteilen. Gefährdet sind darüber hinaus 25 verschiedene Meeressäuger, von denen 11 Arten vom Aussterben bedroht sind. Darunter eine Gruppe von 100 Grauwalen.

Bild: www.sakhalin.ru

… und die Ureinwohner

Auf Sachalin wohnen 3.150 Ureinwohner: Niwchen, Nanai, Oroken und Ewenken. Sie leben größtenteils als Selbstversorger, Fischer, Rentierhirten oder vom Sammeln von Wildpflanzen. Während der Sowjetzeit wurden sie sesshaft gemacht, in die Kollektive gezwungen, ihre Kinder wurden in staatlichen russischen Internaten erzogen und entfremdet. Heute, wo sie sich notgedrungen auf ihre Wurzeln besinnen müssen, weil Russland den ehemals verwöhnten Gebieten im fernen Osten der Russischen Föderation die Versorgung streicht, gefährdet das Großprojekt ihre Lebensgrundlage.

„Früher war die indigene Bevölkerung über das Kolchosensystem und die Fischfangquoten eingebunden. Sie erhielten Geld und Leistungen. Das alles ist zusammengebrochen. Heute leben hauptsächlich Indigene und alte Leute auf Sachalin. Jobs fallen für sie bei den Großprojekten nicht ab, weil sie für Arbeit in der Ölindustrie meist nicht hinreichend qualifiziert sind“, erklärt Sarah Reinke von der GfbV. Geld bleibt also nicht hängen bei den Urbewohnern, dafür hat eine 200.000-Seelen-Stadt wie Juschno-Sachalinsk jetzt 12 Kasinos.

Doch neben solchen „soften“ Einwänden, gibt es auch es andere, „harte“ Fakten: Die Bedingungen im Pazifik sind extrem riskant. Schwere Winterstürme, hoher Seegang – Sachalin ist eigentlich eine Mutprobe für Investoren. Zu allem Überfluss ist das Gebiet stark erdbebengefährdet. Erstaunlich, dass sowohl Shell als auch Exxon-Mobil nach Angaben der GfbV in ihren Projektabschnitten veraltete Technologien zum Bau von Bohrinseln und Pipelines verwenden. An Pannen scheint keiner zu denken.

Bild: GfbV

Widerstand formiert sich

Anfangs haben die Ureinwohner noch auf den Dialog gesetzt, doch Gespräche mit dem Förderkonsortium sind im Herbst vergangenen Jahres gescheitert, da die Einheimischen sich nicht ernst genommen fühlten. Nach Protesten im Januar 2005 erklärten sich Vertreter der Fördergesellschaft erneut zu Verhandlungen bereit – ohne Ergebnis. Seit Ende Juni läuft die Aktion „Green Wave“: zusammen mit RAIPON, dem Dachverband der indigenen Völker Sibiriens, blockieren die Indigenen nun die Zugangsstraßen zu den Ölfördergebieten, begleitet von Solidaritätsprotesten in Moskau.

Bild: www.sakhalin.ru

Doch die Ölmultis bewegen sich nicht. Auf den Seiten von Sakhalin Energy, dem Betreiber von Sachalin-2, finden sich für die Ureinwohner und ihre Forderungen nicht mehr als milde Worte. Dabei sind die Wünsche der Ureinwohner erstaunlich maßvoll: Weil sie wissen, dass sie das Projekt nicht stoppen können, beschränken sie sich auf drei Punkte: unabhängige Umweltverträglichkeitsprüfungen für die geplanten Projekte, die Einrichtung einer Stiftung für die Bewahrung der Lebensweise der Indigenen und die Installation einer ständigen Arbeitsgruppe, die die Probleme bei der Umsetzung der ersten beiden Forderungen bespricht.

Ein kleiner Erfolg zeichnet sich zumindest ab: Gerade hat die Osteuropabank (EBWE) Umweltbedenken gegen Sachalin-2 erhoben und einen neuen Kredit vorerst auf Eis gelegt, weil das Projekt eine Gefährdung für die Ökologie darstelle. Das wäre ein spätes Erwachen: Die erste Bauphase hatte die EBWE mit 170 Millionen Dollar kreditiert.