Kernkraftwerke in Zeiten des Terrorismus

Der TV-Film „American Meltdown“ durchbricht scheinbar ein Tabu

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In den 80er Jahren setzte die Reagan-Administration den Kampf gegen den „internationalen Terrorismus“ ganz oben auf die Tagesordnung. Bereits damals warnten Experten, Kernkraftwerke seien ein mögliches Ziel für Terror- und Militärangriffe. Auch nach dem 11.9.2001 erinnerten einzelne Stimmen daran, dass die zivile Nutzung der Kernenergie für Terroristen potentielle „Atombomben“ in vielen Ländern bereitstellt. Wirkliche Dringlichkeit konnte das Thema im öffentlichen Gespräch auch diesmal nicht erringen. Kino und Informationsmedien stürzten sich lieber auf die Bedrohung durch sogenannte „schmutzige Bomben“ in Terroristenhand. Die allenfalls mittelmäßige TV-Produktion „American Meltdown“ (USA 2004) von Jeremiah Chechik bricht mit dem Tabu und verdient deshalb Beachtung.

Die deutsche Fassung Angst über Amerika (ZDF 2005) ist inzwischen als DVD im Handel erhältlich. Der Tabubruch, einziger stichhaltiger Grund dafür, diesem Terror-Thriller überhaupt Aufmerksamkeit zu schenken, bleibt in den meisten kommerziellen Rezensionen merkwürdig unterbelichtet. Das kalifornische Kernkraftwerk San Juan zwischen Los Angeles und San Diego wird – mit Hilfe einer Fallschirmoperation – von Terroristen besetzt. Die Elefantenspuren sind überdeutlich: Gefunden werden ein Koran mit gekennzeichneten Suren über das heilige Martyrium und den „Tag des Zorns“ sowie ein Führerschein mit arabischem Namen. Untereinander, welche Überraschung, verständigen sich die Kernkraftwerkbesetzer in einem arabischen Dialekt. Sehr schnell bringen die US-Ermittler Intimes über die Terroristen in Erfahrung. Der mutmaßliche Anführer Khalid hat z.B. – trotz seiner islamistischen Konfession – ein Verhältnis mit einer Bar-Tänzerin.

Das Ausmaß der Gefahr wird öffentlich verschleiert

Der Film bedient zunächst alle Klischees des Antiterrorkrieges. Auf den Straßen im Nahen Osten jubeln die Menschen. Der pakistanische Diktator Musharraf sichert den USA jede nötige Hilfe zu. Israel schickt Pakete mit Kaliumjod-Tabletten, die als wirksamer Schutz gegen Radioaktivität gelten. Ein muslimischer US-Techniker im Atomkraftwerk schimpft auf die Fundamentalisten und ihren Missbrauch des Korans. Erstmalig seit seinem Bestehen gibt das US-Ministerium für Heimatschutz landesweit die höchste Terror-Alarmstufe Rot aus.

Im Radius von fünf Meilen um das Kernkraftwerk werden die Menschen evakuiert. An sich müssten 25 Millionen Bewohner in Sicherheit gebracht werden. Je nach Windlage ist im schlimmsten Fall mit 750.000 unmittelbaren Todesopfern zu rechnen. Doch die Öffentlichkeit darf nicht erfahren, dass die Terroristen so viele Menschen bedrohen können. Der Heimatschutzminister versichert in Fox News, es gäbe keine Gefahr einer Kernschmelze. Gleichwohl kommt es im Land zu Plünderungen und kriegsähnlichen Zuständen. Die Märkte in Europa und Asien sind geschlossen. Befürchtet werden auch negative Folgen für die Atomwirtschaft.

Der wirkliche Hintergrund der Besetzer

Der erfahrene FBI-Einsatzleiter Tom Shea merkt sehr bald, dass etwas faul ist. Die Spuren sind zu offensichtlich. Warum vermummen sich die mutmaßlichen Selbstmordattentäter? Warum zögern sie, das Atomkraftwerk sofort explodieren zu lassen? Nichts deutet auf einen typischen „Al Qaida-Anschlag“. Die Lösung ist überraschend: Die Entführer sind in Wirklichkeit durchweg US-Soldaten, Mitglieder einer Delta-Force-Einheit, die in Afghanistan eingesetzt war. Sie beklagen einen vorzeitigen Abbruch ihrer Antiterror-Operationen. Mehr noch erbost es sie, dass der Militärdienst ihnen ein Krankheitssyndrom eingebracht hat.

Nach Kontakt mit der seit 1990 auf allen US-Kriegsschauplätzen eingesetzten Uran-Munition wurden sämtliche Soldaten der Eliteeinheit krebskrank. Das abgereicherte Uran in den Geschossen stammt aus zivilen Kernkraftanlagen. Mit ihrer Operation wollen die Besetzer ihre Mitbürger in den Vereinigten Staaten nur warnen: Die Pläne der Atomkraftwerke waren bis zum 11.9.2001 quasi öffentlich zugänglich. Während für die Regierung unterirdische Bunker zur Verfügung stehen, gibt es bei einem Anschlag kein Schutzkonzept für die Bevölkerung. Die Antiterror-Einheiten der USA sind lediglich ausgebildet für Angriffe auf „Al-Qaida-Basen“ im Ausland. Der vermeintliche Chefterrorist, ein hochdekorierter US-Offizier, will die Öffentlichkeit hinsichtlich der Verwundbarkeit der Kernkraftwerke aufrütteln: „Es ändert sich gar nichts, solange niemand Angst bekommt!“ Doch die Ausstrahlung seines TV-Statements wird durch die US-Regierung abgebrochen.

Eine Atomexplosion ist also nicht wirklich vorgesehen. Einer der krebskranken Delta-Force-Soldaten weicht allerdings von diesem Plan ab und bringt an den Uranbrennstäben heimlich Sprengsätze an. Im Gegensatz zum besonnenen FBI-Mann wollen Militär und Regierung das Atomkraftwerk gewaltsam stürmen. Im Weißen Haus wird sogar ein atomarer Vergeltungsschlag der USA gegen „die arabische Welt“ erwogen.

Die offizielle Schlussversion

Das Ende vom Lied: Das Militär tötet in einer wilden Gewaltaktion sämtliche Besetzer der Kernkraftanlage. Öffentlich wird nicht bekannt, dass es sich um krebskranke US-Soldaten mit Uran-Syndrom handelt. Die Nachrichtenversion bei Fox: Die erledigten Atomterroristen gehörten zu einer islamisch-fundamentalistischen Splittergruppe auf den Philippinen. Der US-Präsident versichert, er sei jederzeit bereit, den American Way of Life zu verteidigen. Von der echten Botschaft der Besetzer dringt nichts zu den Menschen. Immerhin meint ein Experte am Fernsehbildschirm, man könne nun nicht länger die Augen davor verschließen, dass Kernkraftwerke ein mögliches Angriffsziel für Terroristen sind. Die naheliegendste Forderung nach einem Abschalten der mehr als 100 Kernkraftwerke in den USA wird allerdings nicht laut.

Der ganze Plot von American Meltdown erinnert an The Rock (USA 1995) und ähnliche Vorbilder: ehemalige US-Soldaten greifen aus an sich edlen Motiven zur Waffe des vorgeblichen Terrors. Denkwürdig an dieser TV-Produktion, die mit ihrem Angstszenarium keineswegs einem progressiven Drehbuch folgt, sind allein die beiden Tabubrüche. Das Uranmunition-Syndrom bei US-Soldaten taucht sonst nur in wenigen Filmen auf (z.B. Courage Under Fire 1996; Thanks Of A Grateful Nation 1998; Y2K 1999). Seit dem aufsehenerregenden Streifen The China Syndrome (USA 1978), dem sehr bald die reale Fast-Katastrophe von Three Mile Island folgte, werden die Gefahren der zivilen Kernenergienutzung im Kino kaum thematisiert. Terroranschläge auf Reaktoren erwägen einzelne Filmtitel wie Honor & Duty: Failure Is Not An Option (USA 2000) oder Air Panic (USA 2001). Potentielle Täter sind Rechtsextremisten aus den Vereinigten Staaten und im zweiten Beispiel ein US-Computerspezialist aus der Flugzeugbranche.

Am Ende verlangt die Filmbotschaft von American Meltdown nur, dass bereits angelaufene Sicherheitsprogramme viel schneller umgesetzt werden. An ein „Aus“ für die Atomindustrie ist nicht gedacht. So bleibt beim Neubau von Atomkraftwerken in Zeiten des Antiterrorkrieges und bei Laufzeitverlängerungen für Uralt-Reaktoren ein Protest der Weltöffentlichkeit aus. Die nächste Meldung über eine schmutzige Kofferbombe kommt aber bestimmt.

American Meltdown (Angst über Amerika), USA 2004 (FX-Networks), Regie: Jeremiah Chechik, Drehbuch: Larry Barber, Paul Barber (deutsche Fassung für das ZDF 2005; Redaktion: Doris Schreuner, Buch & Dialogregie: Jürgen Neu, Film & Fernseh Synchron FFS).