Britische Wissenschaftler staunen über Superunkraut

Gentechnisch veränderter Raps brachte unerwünschten GV-Wildsenf hervor

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In Großbritannien werden derzeit keine gentechnisch veränderten Pflanzen (GVO) kommerziell angebaut. Allerdings zeigte eine groß angelegte Feldstudie auf der Insel bereits negative Auswirkungen von herbizidresistenten GVOs auf die Biodiversität. Weniger Wildkräuter und weniger Insekten bei HR-Raps und HR-Rüben, so das ernüchternde Ergebnis. Und - obwohl es kaum ein Wissenschaftler für möglich gehalten hätte - fand sich jetzt sogar ein Superunkraut, das bei diesen - inzwischen beendeten - Freilandversuchen mit herbizidresistentem Raps entstanden war. Das Erstaunliche: Der Wildsenf enthält das Genkonstrukt des herbizidresistenten Raps.

Etwa 8,5 Millionen Euro hatte sich die britische Regierung eine weltweit einzigartige Studie kosten lassen, die herausfinden sollte, wie sich der Anbau von herbizidresistenten GV-Sorten auf die Agrarökosysteme auswirken könnte. Dafür wurden 273 Versuchsfelder quer über das Land verteilt mit Mais, Raps und Rüben bepflanzt. Eine Ackerhälfte bestellten die Farmer mit konventionellen Sorten, die andere mit herbizidresistenten GV-Sorten.

Gentechnisch veränderte Pflanzen mit dem Merkmal Herbizidresistenz (HR) werden dahingehend verändert, dass sie Unkrautvernichtungsmittel besser vertragen, was im wesentlichen agroökonomische Vorteile für den Landwirt bringt. Die bei den GV-Sorten eingesetzten Spritzmittel basierten je nach System auf dem Wirkstoff Glufosinat (etwa LibertyLink-System) oder Glyphosat (etwa RoundupReady-System von Monsanto).

Drei Jahre lang beobachtete ein unabhängiges Konsortium die Entwicklung auf den Versuchsäckern. Oktober 2003 schließlich wurden die ersten Ergebnisse bekannt gegeben. Der Anbau herbizidresistenter GVO-Pflanzen könnte sich negativ auf die Artenvielfalt der Agrarökosysteme auswirken, lautete die Kernaussage der Untersuchungen. Insbesondere bei HR-Raps und HR-Rüben hatten sich Probleme gezeigt. Biodiversität blieb nicht gleich, sondern nahm bei den GV-Sorten ab. So wurde ein Rückgang von 34% bis 44% bei Blütenpflanzen, Blüten und Samen festgestellt.

Die geringere Menge an Wildkräutern bedeutet wiederum ein geringeres Nahrungsvorkommen für Insekten. Auf den GV-Feldern wurden wesentlich weniger Schmetterlinge und Bienen beobachtet. Der Anbau von HR-Mais brachte hingegen größere Vielfalt. Gentech-Kritiker führten die positiven Ergebnisse bei Mais allerdings, auf den Einsatz des inzwischen von der EU-Kommission verbotenen Herbizids Atrazin zurück.

Die leitende Dachorganisation, das Departement for Environment, Food and Rural Affairs (DEFRA), bestätigte damals auch, dass das Auskreuzungspotential von Mais, Raps und Zuckerrüben unterschätzt worden war. So wurden Raps-Fangpflanzen noch in einer Entfernung von 26 km mit transgenen Pollen bestäubt (Kaum zu kontrollieren). Ergebnisse einer Folgeuntersuchung lassen nun erneut aufhorchen. So fanden Wissenschaftler des staatlichen Centre for Ecology and Hydrology ein Jahr nach Beendigung der Versuche auf einem Feld Wilden Senf (Sinapis arvensis) der herbizidresistent war. Weitere Untersuchungen ergaben, dass die Pflanze die genetische Eigenschaft des herbizidresistenten Raps aufwies:

In the year after the trial, a sub-set of fields was revisited and wild relatives growing in or around the subsequent crop were tested by herbicide application. A single plant of Sinapis arvensis showed no reaction to the application and a leaf of this plant was taken for PCR analysis. The gene construct was found to be present.

Das Ergebnis erstaunt, zumal eine Auskreuzung auf entfernt verwandte Arten selbst von Gentech-Kritikern als relativ unwahrscheinlich eingestuft wurde. So schreibt Daniel Ammann von der kritischen Schweizerischen Arbeitsgruppe Gentechnologie (SAG) noch 2003 in einem Fact Sheet zur Unkrautproblematik bei HR-Raps, dass der "Pollenflug auf verwandte Wildkräuter bisher noch nicht festgestellt werden" konnte. Die Befürchtung bestehe aber, dass sich transgene Sorten die Herbizidresistenz auf verwandte Wildpflanzen übertragen, "womit die Wildpflanzen zu schwer kontrollierbaren Unkräutern würden", so Ammann.

Diese Gefahr sieht auch der britische Wissenschaftler Brian Johnson. Gegenüber dem Guardian betont Johnson, der auch dem unabhängigen Expertengremium angehört, welches die englischen Feldversuche beaufsichtigt, die Signifikanz der jüngsten Entdeckung. Einmal genetisch verändert, könnte sich der ungewollt entstandene Wildsenf schnell ausbreiten:

You only need one event in several million. As soon as it has taken place the new plant has a huge selctive advantage. That plant will nill multiply rapidly.

Die Entdecker des "Superunkrauts" sehen die möglichen Auswirkungen nicht ganz so dramatisch, räumen aber dem Fund ebenfalls erhebliche Bedeutung ein. Die Angelegenheit sei so ungewöhnlich, dass weitere Forschungen zu den potentiellen Risiken des Gen-Transfers dringend empfohlen werden:

The frequency of such an event in the field is likely to be very low, as highlighted by the fact it has never been detected in numerous previous assessments. Furthermore, the conditions where the hybrid was found appear to be quite unusual, restricted as it was to a case where Sinapis was sufficiently abundant in a crop to act as a significant conspecific pollen donor. The consequences of the transfer of the herbicide tolerance trait on the fitness and persistence of Sinapis arvensis were not assessed in this study but are presumed to be negligible (Hails & Morley 1 ). Nevertheless, this unusual occurrence merits further study in order to adequately assess any potential risk of gene transfer.

Bisher wurden sogenannte "Superunkräuter" beobachtet, die durch Selektionsdruck entstanden waren. Das heißt diese Unkräuter "lernten" quasi selber, sich gegen die eingesetzten Totalherbizide wie Glyphosat zu verteidigen. Ein Fallbeispiel dafür ist das "Kanadische Berufskraut", das im US-Bundesstaat Delaware bereits nach zweijähriger Anwendung von Glyphosat - jenem Spritzmittel, das bei Roundup Ready Sojabohnen von Monsanto eingesetzt wird - resistent wurde und heute auf den Feldern wuchert. Jede Resistenz aber fordert wiederum neue Unkrautmanagement-Methoden. Meistens werden dann andere - oftmals problematischere - chemische Substanzen eingesetzt.