Teure Lebensenergie

Von Orgon-Strahlern und anderen skurrilen Geräten

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So manche Errungenschaft der Esoterik verursacht nicht nur massive Kopfschmerzen bei Naturwissenschaftlern und Skeptikern, sondern kostet auch eine Stange Geld. Da gibt es "aktivierte" Ziegelsteine für 170 Euro oder den abschaltbaren Orgon-Limes, der auch "im Bücherregal eine gute Figur macht und nicht zu indiskreten Fragen anregt", bis hin zum individuellen Orgon-Akkumulator in Form eines WC-Häuschens zum Preis eines Gebrauchtwagens.

Als dem Autor vor einigen Wochen bei einer Wohnungsauflösung ein sonderbarer Metallzeiger in die Hände fiel, wäre dieser vielleicht schnell im Abfall gelandet, hätte er nicht die Neugier des Naturwissenschaftlers geweckt. Schließlich fanden sich in der gleichen Wohnung Rechnungen für die bereits erwähnten Ziegelsteine sowie mehr oder weniger dubiose Büchlein wie zum Beispiel "Außerirdisches Wissen" von "Ezra und Elias". Dies alles legte die Befürchtung nahe, dass irgendjemand einer alten, krebskranken Dame eine Menge Geld für zweifelhaftes Zeug abgeknöpft hatte. Eine Recherche im Netz führte schnell zu mehreren Online-Shops, in denen das silberfarbene Gerät angeboten wurde. Die Angaben in den Preislisten bewegten sich alle im gleichen Rahmen. Oder besser gesagt: Oberhalb des erwarteten Rahmens.

Der Orgon-Strahler in "Aktion" (Foto: Uwe Post)

Wer das Gerät in letzter Zeit in der Wohnung des Autors vorfand, fragte meist als erstes: "Was ist das?" Der übliche Fortgang des Gesprächs: "Ein Orgon-Strahler." "Ein ... was?" "Ein Orgon-Strahler. Und jetzt rat man, was sowas kostet."

Ehrlich gesagt kam kaum jemand auf 340 bis 380 Euro (siehe z.B. hier.) Was wird für das viele Geld geboten?

Auf den ersten Blick handelt es sich um ein paar verschraubte Metallteile mit einer einpoligen Kabelverbindung zu einem Töpfchen, in das laut Anleitung mitgelieferte Ampullen mit Salzlösung gestellt werden können. Der Orgon-Strahler, so das Handbuch, funktioniere aber auch ohne ganz prima - dann nimmt der Körper eben nur Orgon-Energie auf, und nicht auch noch die Schwingungen der Ampullen. Auf den zweiten Blick findet man zwei Quarzkristalle in der verschraubten Röhre des Strahlers, die je nach Neigung der Röhre nach vorn oder hinten purzeln.

Auffälliges Merkmal vieler esoterischer Geräte ist, dass sie mehrere Funktionen gleichzeitig erfüllen, und das ganz ohne Nebenwirkungen. Der Strahler fungiert laut Anbieter zum einen als "orgonomisches Gerät zur Energieaufladung", ferner als "radionisches Gerät" sowie als "Bioresonanzgerät". Ach ja, "bipolar" ist das Ding auch noch - es gibt "je nach Bedarf links- oder rechtsdrehende Energie" ab. Einen Umschalter findet man freilich nicht. Der Körper nimmt nach dem Bioresonanzprinzip sowieso nur die Schwingungen auf, die er gerade benötigt, wird man belehrt.

Wer nach den Wurzeln des Orgon-Strahlers sucht, stößt schnell auf einen Namen: Wilhelm Reich (1897-1957). Er war ein Schüler Freuds, zerstritt sich mit ihm, emigrierte 1939 in die USA und "entdeckte" dort 1940 die Orgon-Energie.

Dr. Wilhelm Reich (Foto: Wikipedia)

Laut Reich soll "Orgon" eine Art Lebensenergie sein, die überall in der Atmosphäre vorhanden ist. Er konstruierte den Orgon-Akkumulator, der diese Energie verdichten und an einen darin befindlichen Organismus abgeben soll. Es handelt sich im Wesentlichen um einen Kasten mit mehrschichtigen Wänden aus unterschiedlichen Materialien.

Diese Kästen waren es auch, die Reich ins Gefängnis brachten: Sie wurden Mitte der 50er Jahre als medizinisch nutzlos und sogar "gefährlich" eingestuft und verboten. Reich zog daraufhin die Kompetenz des Richters in Zweifel und wurde prompt wegen Missachtung des Gerichts ins Gefängnis gesteckt, wo er schließlich starb.

Dabei sind die Resultate von Reichs Experimenten sogar nachvollziehbar - so spürt man beispielsweise eine deutliche Erwärmung, wenn man im Orgon-Akkumulator sitzt. Allerdings lassen sich alle Resultate auch ohne Orgon allein mit physikalischen und chemischen Effekten erklären - die Temperaturzunahme beispielsweise mit der eigenen Körperwärme. Vermeintliche, durch Orgon verursachte Belichtungen von Filmmaterial erwiesen sich als einfache Reaktionen von Säure mit lichtempfindlichen Stoffen (wie in der Aurafotografie), die gleichermaßen in Orgon-Akkumulatoren wie außerhalb auftraten. Der Forscher Bernhard Harrer kam in den 90er Jahren nach einer Versuchsreihe zu dem Ergebnis:

Im baugleichen Nachvollzug der Experimente konnten tatsächlich die selben Phänomene beobachtet werden, wie sie von Reich beschrieben wurden. Die Analyse der Versuchsdesigns und der Einsatz moderner Messtechnik zeigte jedoch, dass alle auftretenden Phänomene durch klassische physikalische Effekte erklärbar sind. Ein Hinweis auf eine spezifische Lebensenergie konnte nicht gefunden werden.

In der Nachbetrachtung stellt sich heraus, dass heutige Orgon-Produkte nicht mehr viel mit Reichs Ideen zu tun haben. Den Nachweis der zugehörigen Energie ist er ohnehin schuldig geblieben - seine körperorientierte Psychotherapie aber wird durchaus als wirkungsvoll angesehen. Was es an Esoterik-Produkten unter dem Schlagwort "Orgon" zu kaufen gibt, leitet sich eher aus Marketing-relevanten Gründen ab als aus Reichs Ideen. Man muss offenbar nur Begriffe wie "Radionik" und "Orgon" hernehmen, mit Rosenquarz hantieren, und schon hat man ein Produkt, das sich zu exorbitanten Preisen verkaufen lässt.

Während einem im Zusammenhang mit der "Orgonomie" unter anderem das Orgoninstitut Deutschland begegnet, das sich recht genau an Reichs Psychotherapie-Ideen zu orientieren scheint, geht anderen Orgon-Fanatikern ein wenig die Fantasie durch. Jürgen Fischer bietet beispielsweise Orgon-Akkumulatoren zu vierstelligen Preisen an. Erscheint dazu der Material- und Herstellungsaufwand der klobigen Geräte noch in angemessener Relation, so zieht man spätestens bei der Erklärung zum deren Aufbau die Augenbrauen weit hoch: Herr Fischer behauptet nämlich allen Ernstes, er habe in Gesprächen mit Wilhelm Reich die genauen Bauanweisungen erhalten.

Dass die beiden Herren keine Zeitgenossen sind, tut der Sache keinen Abbruch - das Gespräch mit dem verstorbenen Reich fand nämlich durch ein Medium statt. Dank einer engen Zusammenarbeit mit Engeln im Jenseits habe Reich den Akkumulator außerdem stark verbessern können, so Fischer weiter. Dabei geht es unter anderem um die korrekte Anordnung von acht Rosenquarzen in den Ecken des Akkumulators - eine Konstruktion, die Fischer sich nach eigenen Angaben als Gebrauchsmuster schützen ließ. In seinem Buch "Der Engel-Energie-Akkumulator nach Wilhelm Reich" wird übrigens nicht nur der verstorbene Reich zitiert, sondern auch der Erzengel Raphael sowie Jesus Christus höchstpersönlich kommen zu Wort.

Titelbild des Buches mit dem medialen Interview mit Herrn Reich

Immerhin verweisen die meisten Anbieter derart dubioser Geräte darauf, dass die Schulmedizin nichts von ihnen hält und dass es keine Beweise für deren Wirkung gibt. Allein der Placebo-Effekt kann natürlich in dem einen oder anderen Fall zur Steigerung des Wohlbefindens beitragen. Vermutlich bringen Misstrauen in die Schulmedizin, eine Portion Gutgläubigkeit und schiere Verzweiflung in Verbindung mit mangelhafter naturwissenschaftlicher Bildung Menschen dazu, Hunderte von Euro in Geräte zu investieren, die vermutlich nicht viel mehr tun als skurril aussehen.

Dass der Orgon-Strahler der verstorbenen Besitzerin nicht das Leben retten konnte, ihr aber vielleicht Hoffnung verschafft hat, die ihr die Ärzte nicht mehr geben konnten, ist möglicherweise die 380 Euro wert. Ich werde das Gerät jedenfalls in Ehren halten und jedem, der es bei mir sieht und mich darauf anspricht, einen Vortrag darüber halten. Falls Sie es mir gleichtun wollen: bei ebay kriegt man schon für günstige 189 Euro ein Ausstellungsstück - selbstverständlich "unbenutzt".

Der Autor ist Diplom-Physiker und Mitglied der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) und deren Regionalgruppe Rhein-Ruhr.