"Schwache Briten, harte Franzosen"

Null-Toleranz-Maßnahmen

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Wer die Polemik zwischen den USA und Frankreich zu Anfang des Irak-Krieges verfolgt hat, reibt sich erstaunt die Augen. Galten die Franzosen in den Augen vieler Amerikaner doch als eine Art Nation von "Warmduschern", die sich vor ihrer Verantwortung im "War on Terror" drückten – ganz im Gegensatz zu den Freunden von der britischen Insel.

Doch nun rühmt einer der prominentesten amerikanischen Frontkämpfer gegen den "radikalen Islam", Daniel Pipes (vgl. Neue Aufgabe für den "führenden Islamophobiker") Frankreich plötzlich als die "unerschütterlichste Nation im Westen" im Kampf gegen den militanten Islam:Weak Brits, Tough French". Und tatsächlich macht das Land derzeit Schlagzeilen mit seiner Null-Toleranz-Politik gegen radikale Hetzer. Am Freitagabend wurde ein junger Algerier, der den Dschihad in einer Pariser Moschee predigte, nach kurzem Prozess ausgewiesen.

"Während London Terroristen beherbergt, hält sich Paris ein Top-Secret-Counterterrorism-Center"", polemisiert Pipes. Gut möglich, dass Pipes nach den jüngsten Fahndungserfolgen der englischen Ermittler sein Urteil über die "glücklosen Briten" revidiert; die Tatsache aber, dass in England notorische Hassprediger, wie Abu Hamza al-Masri (vgl. Die Schurken von London) von der berüchtigten Finsbury Park-Moschee, erst nach langer Zeit vor Gericht gebracht werden, indes in Frankreich mit extremistischen Predigern "kurzer Prozess" gemacht wird, untermauert Pipes überraschendes Lob für die Nation, über die man sich in Amerika in der ersten Zeit des Irakkrieges gerne als alternde Melodramatiker lustig gemacht hat.

Was London jetzt fürchtet, nämlich die Fortsetzung der Bombenanschläge, hat Paris als Erfahrung schon hinter sich. In diesem Sommer ist es genau zehn Jahre her, seit die französische Hauptstadt von einer Serie von Bombenanschlägen heimgesucht. Am 25.Juli 1995 wurden bei einem Anschlag auf einen Pariser Vorortzug acht Menschen getötet und 117 verletzt: tödlicher Auftakt einer Serie von insgesamt acht Anschlägen bis zum Oktober jenes Jahres. Die Anschläge auf U-und S-Bahnstationen, die zum Glück keine weiteren Todesopfer mehr forderten, versetzten Frankreich damals in einen Ausnahmezustand:

30000 Polizisten und Soldaten wurden mobilisiert. Im September 1995 fanden die Beamten auf einem Sprengsatz die Fingerabdrücke eines jungen Algeriers. Der 24-jährige wurde nach einer Großfahndung von der Polizei erschossen, brachte die Ermittler aber auf die Spur seiner Mitverschwörer. Mehr als 200 Menschen wurden festgenommen, einige erhielten bis zu lebenslange Haft.
Hinter der Anschlagserie steckte die algerische Fundamentalistenorganisation Bewaffnete Islamische Gruppe (GIA). Sie hatte einen ”heiligen Krieg” gegen Frankreich geführt, weil die ehemalige Kolonialmacht das Regime in Algier weiter unterstützte.

Die Gefahr, welche von algerischen Extremistengruppen ausgeht, ist laut französischer Anti-Terror-Experten zwar noch nicht gebannt, aber die Erfahrungen, die man seither in der "Destabilisierung von Terrornetzwerken" gemacht habe, könnten für einen "gewissen Vorsprung" in der Terror-Bekämpfung gesorgt haben:

Uns ist es gelungen, sie zu destabilisieren, indem wir sie an der Basis angegriffen haben, an den Netzwerken, die Papiere fälschen, Waffen liefern und ihnen Finanzen beschaffen.

Stéphane Berthomet

Dieser Erfolg ist sicher einer der Gründe, weshalb es in der französischen Bevölkerung keine nennenswerte Opposition gegen die "Null-Toleranz-Maßnahmen" von Innenminister Nicolas Sarkozy gibt. Zwar weiß man, dass Sarkozy mit dieser resoluten Politik auch seinen eigenen Interessen dient - Sarkozy will Präsident werden und mit solcher Entschiedenheit lassen sich einige Wähler vom rechten Rand abfischen –, aber Einsprüche gegen die verstärkte Überwachung von radikalen Predigern, die schnelle Abwicklung der eventuellen Ausweisung werden nicht laut.

Am 23.Juli wurde ein "gelegentlicher Imam", der Algerier Abdelhamid Aissawi, ausgewiesen, am vergangenen Freitag ebenfalls ein Algerier, Reda Ameurud, der in einer Pariser Moschee zum Dschihad ausgerufen hatte, bis Ende August sollen zehn weitere Ausweisungen folgen, kündigte der Innenminister in einem Interview an.

Den Maßnahmen selbst wird nicht widersprochen auch nicht der Kompetenz der Behörden; Beobachter der religiösen Extremisten, wie Bruno Etienne, haben einen ganz anderen Einwand, der ähnlich auch von den bekannten französischen Islamismus-Experten Olivier Roy und Gilles Kepel geteilt wird (vgl. Sportfreunde Terror):

Es sind nicht (die Imame), welche die wahre Gefahr repräsentieren. Die Gefahr erreicht uns über das Internet. Über das Netz kommen die jungen Salafisten mit Saudi-Arabien in Kontakt. Saudi-Arabien verbreitet dort Dokumente und antisemitische Propaganda. Es sind diese Web-Seiten, die gefährlich sind und ihnen sagen, was zu tun ist.