Von Vögeln, Menschen und Enten, die trojanische Pferde sind

Die Vogelgrippe wird von einem Virus ausgelöst, das auch Menschen erkranken lässt

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Die Vogelgrippe breitet sich aus. Jetzt hat sie möglicherweise die Philippinien und Japan, sicher aber Russland erreicht. In der Region Nowosibirsk sind bisher mindestens 1300 Vögel an der Krankheit gestorben. Unklar ist, ob Zugvögel oder aus Südostasien eingeführtes Geflügel den Erreger eingeschleppt haben. Die transsibirische Eisenbahn fährt durch dieses Grenzgebiet zu Kasachstan. Nach anfänglicher Unklarheit hat sich aber jetzt bestätigt, dass es sich um das Virus H5N1 handelt, das auch für den Menschen äußerst gefährlich ist.

Das US-Center for Disease Control and Prevention und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnen schon seit Monaten vor einer Grippe-Massenepidemie, einer so genannten Pandemie, wenn das Vogelgrippe-Virus mutiert und ein Mensch andere Menschen anstecken kann (Links between human and animal influenza). Die Experten befürchten, dass eine derartige Pandemie ähnlich wie die Grippewelle von 1918/19 international 30 Millionen Menschenleben fordern könnte (Alle Jahre wieder kommt die Grippe). Bereits Ende vergangenen Jahres warnte Klaus Stöhr, der Leiter des WHO-Influenzaprogramms: "Eine Gefahren-Konstellation wie jetzt hat es bisher noch nie gegeben. Alle Bedingungen für eine solche Pandemie sind vorhanden."

Virus H5N1 (goldfarben) (Bild: CDC/C. Goldsmith)

Bekannt ist die Vogelgrippe, die früher eigentlich Geflügelpest hieß, präziser Influenza A-Viren vom Subtyp H5 oder H7, seit mehr als 100 Jahren. Mitte der 90er Jahre tauchte der aggressive Typ H5N1 in Südostasien auf, 1997 erkrankte der erste Mensch (RKI: FAQs zur Geflügelpest). Inzwischen haben sich insgesamt mindestens 111 Personen im Kontakt mit Geflügel angesteckt, 59 kostete die Vogelgrippe das Leben: 40 Vietnamesen, zwölf Thailänder, vier Kambodschaner und erst kürzlich drei Indonesier (Stand 29. Juli 2005, vgl. Two more bird flu fatalities reported in south Vietnam).

Millionen tote Hühner und wachsende Angst

Die Vogelgrippe tobte vor allem auf den Geflügelmärkten in Asien. Millionen Tiere starben oder wurden getötet, um weitere Infektionen zu verhindern. Für Menschen ist vor allem enger Kontakt mit infizierten Vögeln gefährlich. Das Virus wird mit Sekreten und Kot ausgeschieden. Die Krankheit beginnt mit ähnlichen Symptomen wie eine normale Gruppe. Dann können Magen-Darm-Beschwerden oder Erhöhungen der Leberwerte auftreten, auch eine starke Verminderung der Blutkörperchen und Plättchen. Manche Patienten bekommen Lungenentzündungen, oder Nierenschäden bis hin zum Nierenversagen. Am Ende steht oft der Tod durch Multiorganversagen. Derzeit gibt es noch keinen Impfstoff für Menschen, der gegen diese Viren zugelassen ist. Es wird aber daran gearbeitet, ein Vakzin ist gerade in der Phase klinischer Studien in Frankreich und den USA, wie die Ärztezeitung meldete (Die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Vogelgrippe geht zügig voran).

In Deutschland haben die Bundesländer kürzlich beschlossen, in Vorbereitung auf eine Pandemie Vorräte an antiviralen Medikamenten für mehrere Millionen Euro zu kaufen (Kauf von Grippemitteln für 200 Mio. Euro geplant).

Russland

In Westsibirien tauchten am 11. Juli die ersten toten Vögel auf. Zuerst starben die Wildvögel, dann die Zuchtvögel in insgesamt 13 Dörfern der Region. Es wurde von den Behörden in vier Bezirken eine Quarantäne verhängt und alle toten Zug- und Hausvögel wie Hühner, Enten, Gänse und Puten verbrannt, die Ställe desinfiziert. Der stellvertretende Gouverneur der Region, Alexej Bespalikow, versicherte der russischen Nachrichtenagentur Itar-Tass, die Situation sei unter Kontrolle: "Die Zahl der toten Vögel auf den Farmen steigt praktisch nicht mehr."

Bislang ist kein Mensch erkrankt und die Ärzte vor Ort gehen davon aus, dass keine Gefahr mehr besteht. Russische Epidemiologen versuchen jetzt, heraus zu bekommen, ob importierte Nutztiere, bzw. deren Fleisch oder wilde Vögel das Virus nach Russland gebracht haben. In Westsibirien liegen Binnenseen, die Zugvögel auf ihrem Weg nach und von Asien im Sommer besuchen. Durch das Gebiet fährt aber auch die transsibirische Eisenbahn, mit der alle möglichen Güter in die entlegenen Winkel Sibiriens transportiert werden.

China

Bereits im Mai beklagte die Weltgesundheitsorganisation, dass von der Vogelgrippe betroffenen Staaten mauerten und nicht die notwendigen Informationen und Virenproben heraus rückten (Rückschläge bei Vogelgrippe-Forschung befürchtet).

Die Geflügelzucht ist in Südostasien ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Taucht ein Fall von Vogelgrippe in einer Region auf, sind die Folgen fatal. Alles Federvieh wird sicherheitshalber getötet, die Kosten und der volkwirtschaftliche Schaden sind enorm. Kein Wunder, dass die Behörden der betroffenen Gebiete die Angelegenheit gerne herunterspielen und schnell versichern, man habe die Situation voll unter Kontrolle.

Besonders krass wurde das kürzlich wieder in China deutlich. Das Reich der Mitte ist nicht gerade berühmt für seine Informationstransparenz. Ein Beispiel für systematische Verleugnung ist die Immunschwäche AIDS, die lange tot geschwiegen wurde. Es dauerte Jahre, bis die Politik eingestand, dass es chinesische Infizierte gibt und Aufklärungskampagnen einsetzten (Die ausländische Krankheit).

Der hochinfektiöse Virustyp H5N1 tauchte 1997 das erste Mal in Hongkong auf, in der Folge wurden 1,8 Millionen Hühner, Enten und Gänsen geschlachtet, um die Vogelgrippe einzudämmen. Dennoch dauerte es nicht lange und der Erreger fand sich auch in China. Im vergangenen Sommer wurden dort die ersten Fälle von H5N1-Infektionen in Schweinen nachgewiesen (Implications of H5N1 infections in pigs in China). Experten zweifelten, ob die Zentralregierung in Peking wirklich alles so im Griff hatte, wie sie es versicherte und versichert. Im März 2005 verkündete Ministerpräsident Wen Jiabao dem Nationalen Volkskongress vollmundig:

Mit dem Aufbau eines nationalen Systems für die Vorbeugung vor und die Kontrolle von Krankheiten und eines medizinischen Rettungs- und Behandlungssystems für unerwartete Fälle der Gefährdung der öffentlichen Gesundheit als Schwerpunkt wurde das öffentliche Gesundheitswesen beschleunigt entwickelt. (...) Mit resoluten Maßnahmen wurde die Ausbreitung der stark krankheitserregenden Vogelgrippe rechtzeitig gestoppt.

Tätigkeitsbericht der Regierung

Da passt es natürlich gar nicht ins Bild, dass der renommierte Virologe Guan Yi von der University Hongkong Anfang Juli im Wissenschaftsjournal Nature über mit Vogelgrippe infizierte Zugvögel am Qinghai-See in Westchina berichtete. Erste erkrankte Vögel waren Ende April registriert worden, bis Mitte Mai starben 1.500 Wildgänse und Möwen. Genetische Analysen zeigten, dass es sich um verschiedene Varianten von H5N1-Viren handelte (Avian flu: H5N1 virus outbreak in migratory waterfowl und Avian flu moves among wild geese).

Die chinesische Regierung verpasste dem Forscher inzwischen einen Maulkorb. Seine wissenschaftliche Schlüsse seien falsch, verkündete das Landwirtschaftsministerium und drohte Guan Yi ein Verfahren wegen Verrates von Staatsgeheimnissen an, wenn er ohne Genehmigung der Obrigkeit die Testergebnisse rausgebe (Nature bird flu paper 'wrong'). Der Wissenschaftler lässt sich aber nicht so einfach mundtot machen und erklärte der internationalen Presse, die Behörden versuchten das Problem zu vertuschen und blockierten außerdem bereits seit Ende vergangenen Jahres ein Schnelltestverfahren zum Erkennen von H5N1, das er entwickelt habe (Scientist denies state secrets theft).

Als Reaktion auf diese mangelnde Offenheit rief Joseph Domenech von der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) die chinesische Regierung im Kampf gegen die Viruskrankheit zu mehr Transparenz auf.

Enten und Zugvögel

Trotz der Maßregelung von Guan Yi gesteht die chinesische Regierung ein, dass Zugvögel an der bösartigsten Variante der Vogelgrippe erkrankten und in Massen starben – mindestens 6.000 Tiere verendeten inzwischen am Qinghai-See. Darunter waren auch Streifengänse (Anser indicus), die regelmäßig von Westchina nach Indien fliegen. Es erkrankten aber auch Fisch- (Larus ichthyaetus) und Braunkopfmöwen (Larus brunnicephalus).

Seit kurzem ist zudem bekannt, dass Enten infiziert und damit Überträger des Virus sein können, ohne deutlich sichtbare Symptome zu entwickeln. Eine Forschergruppe um das Team um Robert Webster vom St. Jude Children's Research Hospital infizierte Stockenten mit H5N1 und setzte sie mit gesunden Tieren zusammen in einen Käfig, die anschließend ebenfalls an Vogelgrippe litten. Enten könnten sich also als Trojanische Pferde für H5N1 erweisen, da sie weit verbreitet sind und kaum Anzeichen der Krankheit zeigen (Role of domestic ducks in the propagation and biological evolution of highly pathogenic H5N1 influenza viruses in Asia).