Schnell mal eine Webseite abschalten

Die Schließung der Machinima-Seite "RPG-Films" und der Fall FFII zeigen, wie einfach es ist, aufgrund voreilenden Gehorsams den Betrieb einer Webseite zu blockieren oder lahm zu legen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Über Boing Boing wurde kürzlich verbreitet, die Recordings Industry Association of America (RIAA) hätte eine Seite mit Machinima-Filmen schließen lassen, weil die Musikstücke dort vermutlich ohne Genehmigung der Urheber genutzt werden. Die Problematik des Urheberrechtes in Bezug auf Machinimafilme wird bereits seit längerem diskutiert, bisher griff jedoch die Fair Use Doctrine. Diese Bestimmung soll es Künstlern und Forschern ermöglichen, Teile von kopiergeschützten Werken zitieren und diese dann z.B. für Satire oder Forschung nutzen zu können.

Nun jedoch schien sich die RIAA entschlossen zu haben, dieses Prinzip nicht mehr auf Machinimafilme anzuwenden. RPG-Films ist weiterhin offline und die Fans der Filme haben kurzerhand eine Onlinepetition initiiert, in der sie sich gegen das Vorgehen der RIAA aussprechen. Auch in diversen Mailinglisten und Foren wurde der Fall heftig diskutiert, verbunden mit den mittlerweile typischen Verbalentgleisungen gegnüber der Verwertungsindustrie, namentlich der RIAA.

Ebenfalls auf Boing Boing sorgt nun die Folgemeldung für Wirbel: Jenni Engebretsen von der RIAA dementierte, dass die Aufforderung, RPG-Films wegen Urheberrechtsverletzungen vom Netz zu nehmen, durch die RIAA versandt wurde. Im Gespräch mit einem Blogger sagte Jenni Engebretsen, es seien keinerlei rechtliche Schritte gegen die Webseite unternommen worden. Die RIAA-Aufforderung sei vermutlich durch Zufall in fremde Hände gelangt und dort mit den Informationen der Webseite vervollständigt worden.

The RIAA has not initiated any communication or legal action against RPG Films. It appears as though someone may have found and copied an old RIAA notice and filled it in with RPG Film web site information [...]

Seite xy konnte nicht gefunden werden ...

Unabhängig davon, wie dieser konkrete Fall ausgeht, zeigen sich hier Macht und Ohnmacht der Webseitenbetreiber, Provider und Domainverwalter. Als Zugangsvermittler (im Falle der Provider) und diejenigen, die entscheiden können, welche Webseiten aufgerufen werden können, wohin der Nutzer geführt wird wenn er eine URL eingibt oder ob eine Webseite überhaupt erreichbar ist, sind Provider für die Rezipientenfreiheit im Internet eine tragende Säule. Aber sie scheinen sich eher selten dieser Verantwortung bewusst zu sein.

Geradezu mit spielerischer Leichtfertigkeit beugt man sich Sperrungsverfügungen oder schaltet Webseiten komplett ab, darauf vertrauend, dass diejenigen, die derartige Begehren versenden, schon wissen, was sie tun. Ähnlich wie bei der Suchmaschine Google (Vorauseilender Gehorsam als Standard - Google entfernt erneut Seiten aus dem Index, ohne es auf eine gerichtliche Auseinandersetzung ankommen zu lassen) reicht auch bei vielen Providern ein einfaches Anschreiben, um sie zur Mitarbeit zu bewegen. Obgleich es im Sinne der Kunden wäre, solchen Schreiben skeptisch zu begegnen und sie zumindest zu überprüfen, wählt man die einfachste Option und kommt dem Ansinnen nach - was fatale Folgen für die Funktionen des Netzes haben kann.

Werden die DNS-Einträge willkürlich "verbogen", so tritt für den Netznutzer eine Unsicherheit ein, die durch die Intransparenz vieler Maßnahmen noch verstärkt wird. Die Browsermeldung: "Seite xy konnte nicht gefunden werden. Bitte überprüfen Sie die Schreibweise und versuchen Sie es erneut." kann nämlich nicht nur bedeuten, dass der Betreiber die Seite nicht mehr ins Netz gestellt hat (oder aus finanziellen Gründen nicht mehr konnte) oder dass es technische Schwierigkeiten gibt. Sie kann auch bedeuten,, dass der Provider (aus welchen Gründen auch immer) den Eintrag der Webseite gelöscht hat, so dass dieser nicht mehr aufgelöst wird und die Seite nur noch unter ihrer IP-Nummer erreichbar ist.

Bei bekannteren Seiten wird sich die Lösung des Rätsels schnell genug durch Mailinglisten oder Newsartikel verbreiten, was jedoch letztendlich meist den Webseitenbetreibern zu verdanken ist. Wie im Fall FFII.org kann man somit also lediglich dann wissen, weshalb eine Seite nicht zu erreichen ist, wenn die Betreiber ein genügend großes Interesse der Netznutzer auf sich ziehen können. Ein Streit zwischen dem Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur e.V. (FFII) und der Firma Nutzwerk hat dazu geführt, dass Ende letzter Woche eine Abschaltung der FFII-Webseite noch abgewendet werden konnte. Nun aber hat der Provider auf Druck von Netzwerk verhindert, dass die Webseite ffii.org im DNS aufgelöst werden kann.

Wirtschaftliches Kalkül als Blockade für freie Meinungsäußerung

Im Fall FFII hat der Domain-Verwalter Teamware sich offen zu den wirtschaftlichen Gründen der Abschaltung bekannt.

Der Teamware-Geschäftsfuehrer Thomas Kuppec präsentierte mir ein sehr schlichtes Kalkül: 39 Euro im Jahr für Domain-Hosting sind ein netter Zuverdienst, den man mal einstecken kann, aber eine Stunde Rechtsberatung kostet viel mehr, und Abmahnverfahren können jahrelange Folgekosten verursachen. Deshalb muss ein Kunde von Kuppec sicher stellen, dass er einem Abmahner auch nicht den geringsten Anschein eines Angriffspunktes bietet. Dieses betriebswirtschaftliche Kalkül ist durchaus plausibel. Auch unser Angebot, die Rechtskosten für Teamware zu uebernehmen, überzeugte Kupec nicht, denn auch das hätte fuer ihn Kosten nach sich gezogen. Und, wer weiß, vielleicht kommen ja noch strafrechtliche Risiken hinzu, die sowieso kein Dritter abdecken kann.

Hartmut Pilch vom FFII

Die nüchterne Betrachtung Pilchs zeigt deutlich, welch wichtige Rolle die Provider und Domain-Verwalter in Bezug auf freie Meinungsäußerung im Web spielen und wie sehr sie dies lediglich aus wirtschaftlicher Sicht betrachten.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung hat im real existierenden System der Haftung für Internet-Inhalte eine so nachrangige Bedeutung, dass es nur von Akteuren wahrgenommen werden kann, die sich eine unbegrenzte Zahl von Gerichtsverfahren mit hohen Beweislasten zuzüglich Haftungsfreistellung für unbegrenzt viele "Mitstörer" leisten können.

Hartmut Pilch

Tatsächlich sind sowohl Verleumdungs- wie auch Marken- oder Domainrechtsklagen bzw Abmahnungen aus den gleichen Gründen mittlerweile fast an der Tagesordnung. Bevor sich ein privater Webseitenbetreiber auf eine langwierige und kostenintensive Auseinandersetzung mit einem Konzern, einem berühmten Sportler oder einem anderen finanziell besser gestellten Kontrahenten einlässt, streichen viele gleich die Segel. Eine durchaus verständliche Reaktion, bedenkt man, dass die Rechtsschutzversicherung Fälle des Marken- oder Domainrechts in den meisten Fällen nicht abdeckt.

Die daraus entstehenden Folgen können jedoch weitreichend und für das Netz als Kommunikationsmedium fatal sein. Viele Webseitenbetreiber verpassen sich mittlerweile schon prophylaktisch einen Maulkorb und üben sich in Selbstzensur, um jegliche Abmahnmöglichkeit zu vermeiden, andere wiegen sich in trügerischer Sicherheit, wenn sie nur auf möglichst zensurresistente Netze wie Freenet ausweichen. Hierbei ignorieren sie, dass diese Netze schon durch die fortwährend verbreitete Meinung, es handele sich um Systeme, die primär von Kriminellen genutzt werden, weiter ein Nischendasein führen und nicht als Alternative zum derzeitigen WWW gesehen werden können. Viel zu gering ist ihr Verbreitungsradius in Bezug auf Informationen.

Diejenigen, die hinter den Abmahnungen stehen, leisten somit ganze Arbeit, wenn es darum geht, das Netz als freies Kommunikationsmedium endgültig zu Grabe zu tragen. Die Angst vor dem finanziellen Aus oder jahrelangen Prozessen lässt nicht selten eine wahre Behauptung aus dem Netz verschwinden. Die stets wiederholten Forderungen der Politiker, dass Provider bestimmte Webseiten sperren sollen, Filter einbauen müssen etc., leisten dabei einen effektiven Beitrag , was man auch an der derzeitigen Diskussion um Bombenbauanleitungen im Internet sehen kann. Die freie Meinungsäußerung und auch die Rezipientenfreiheit (oft als Informationsfreiheit bezeichnet) sind zwar im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert, finden dort jedoch auch ihre Grenzen. Diese Grenzen sind mittlerweile im Internet viel enger gesetzt als offline.

Es gibt bekanntlich Regierungen, die mit "streng rechtsstaatlichen" Mitteln sich jahrzehntelange Alleinherrschaft sichern. Dabei spielen regelmäßige Verleumdungsprozesse eine wichtige Rolle. Kaum merkliche Details wie die Verteilung der Beweislasten machen den "Rechtsstaat" weniger "freiheitlich". Durch das Internet veränderte sich die öffentliche Kommunikation, aber die ueberkommenen Regeln wurden nicht darauf angepasst sondern nur verhärtet. Von unserem jetzigen Zustand zum Singapurer oder Moskauer Modell des Rechtsstaates scheint mir der Weg nicht sehr weit zu sein.

Hartmut Pilch

Dem lässt sich wenig hinzufügen. Dem einfachen Abschalten kritischer Webseiten ist also weiterhin freie Fahrt eingeräumt.