Pornos als Triebfeder für Privatsphäre?

Nicht nur der Krieg ist die Mutter alles technischen Fortschritts

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"Techniken wie dezentrale Tauschbörsen oder Anonymisierer werden vornehmlich von Pornoliebhabern genutzt" vermelden Politiker und Strafverfolger immer öfter. Die Vorverurteilung enthält durchaus ein Quentchen Wahrheit – und nicht selten entscheidet sich beim Thema Porno einiges in Bezug auf Meinungs-, Rede- und Informationsfreiheit.

Während man sich in Deutschland beim Thema Sperrungsverfügungen bislang noch auf im Ausland gehostete rechtsradikale Seiten kapriziert, ist in den USA eher Pornographie die Begründung für eine Einschränkung diverser Freiheiten. Gesetze wie der Children Online Protection Act, Children's Internet Protection Act oder der Communication's Decency Act haben es sich zur Aufgabe gemacht, Obszönität im weitesten Sinne nicht nur zu regulieren sondern insbesondere auch Kinder und Jugendliche vor derartigem zu schützen. Es ist bekannt, dass solche Bestrebungen prinzipiell Nebenwirkungen haben, die sich auf andere Themen auswirken.

Die Mehrheit derer, die das Wohl der Kinder im Auge haben, lässt diese Nebenwirkungen, so scheint es, entweder außer Acht, nimmt sie als vernachlässigbar hin oder ignoriert sie schlichtweg. Es ist somit dann an jenen, die entweder Inhalte verbreiten oder konsumieren, die als anstößig oder obszön gelten, sich gegen diese Gesetze zur Wehr zu setzen. Eines der populärsten Beispiele hierfür ist Larry Flint, der als Herausgeber des "Hustler" Klagen gegen diverse Gesetze anstrengte, die sich mit Obszönität beschäftigten. Im Falle des Communication's Decency Act ist es die amerikanische Künstlerin Barbara Nitke, die eine solche Klage erhob. Zwar hatten die ACLU und das Electronic Privacy Information Center sich bereits erfolgreich gegen den CDA gewehrt, die Bürgerrechtsorganisation hatte jedoch nur einen Teilsieg errungen. So war zwar hinsichtlich des Begriffes "obscene" die Klage erfolgreich gewesen, der Begriff "decent" stand weiterhin sozusagen im Raum. Für Barbara Nitke bedeutete diese Bezeichnung jedoch gerade ein Problem. Aber die Implikationen des CDA gehen noch weiter.

Wie stellt man den Herkunftsort eines Webseitenbesuchers fest?

Barbara Nitkes Fotografien sind, das steht außer Frage, nicht für Minderjährige gedacht. Auf ihrer Homepage findet sich denn auch als Allererstes die Frage, ob der interessierte Webseitenbesucher bereits über 18 Jahre alt ist. Weiterhin weist die Künstlerin darauf hin, dass ihre Werke von einigen durchaus als obszön angesehen werden und demzufolge vor dem Besuch der Seite überlegt werden sollte, inwiefern man sich von erotischen Fotografien unter Umständen abgestoßen oder belästigt fühlt.

By entering this site, you are certifying that you are over 18 years of age and are not offended by photographic depictions of the nude human form or of human sexuality.

Unabhängig davon, wie man nun zu Fotografien steht, die SM-Praktiken, lesbische Liebesspiele oder Aufnahmen von Pornodrehs zeigen, bedeutet der CDA für jede Webseite in den USA eines: Sie muss den sogenannten Community Standards entsprechen. Wird beispielsweise der Community Standard Ohios durch Barbara Nitkes Fotografien verletzt weil dieser sie als "indecent" ansieht, so muss dafür gesorgt werden, dass entsprechende Vorkehrungen dafür getroffen werden, Personen aus Ohio vor diesen Fotografien zu schützen. Vereinfacht ausgedrückt müsste Barbara Nitke bei jedem Seitenaufruf zunächst prüfen, von welcher Stadt in den USA dieser Aufruf erfolgt, müsste den Community Standard des Ortes kennen und entscheiden, ob der Besucher nun auf ihre Seite darf oder nicht. Dies wäre durch eine sogenannte "geological software" möglich. Eine ähnliche Problematik kennt man in Deutschland spätestens seit dem Urteil gegen Yahoo.

Die Klage Barbara Nitkes (gemeinsam mit der National Coalition for Secual Freedom) wurde kürzlich erst abgewiesen und die Urteilsbegründung lässt weiterhin viele Fragen offen. Am Beispiel des CDA zeigt sich jedoch deutlich, warum oftmals die Pornoindustrie bzw. deren Kunden es sind, die neue Techniken ausprobieren oder weiter entwickeln, die sich in Bezug auf Privacy als richtungsweisend darstellen. Wobei Pornoindustrie hier natürlich ein dehnbarer Begriff ist, denn was für den einen schon Pornographie ist, kann für den anderen lediglich Erotik sein.

Hilfe für die freie Rede (und die Pornographie)

Bereits die sogenannten freien Netze wie Freenet und Entropy erfreuten sich nicht nur bei Privacyaktivisten äußerster Beliebtheit. Die Tatsache, dass hier weitgehend zensurresistente Kommunikation und der Austausch von Daten ohne Überwachung möglich war, lockte logischerweise auch jene Inhalte an, die von der Politik stets als Begründung für neue Überwachung(stechnik) dienen: radikale Meinungen jeglicher Fasson, menschenverachtende Äußerungen, (Kinder-)pornographie und dergleichen mehr. Dies dient einerseits als willkommenes Einfallstor dafür, die neuen Netze zu kriminalisieren, andererseits schreckt es auch viele ab, so dass die Netze bisher eher klein bleiben.

Auch die Anonymisierer haben eine ähnliche Entwicklung hinter sich. Nicht zufällig drehte sich die umstrittene Behandlung des JAP-Projektes um eine Überwachungsmaßnahme wegen Kinderpornographie. Und auch das TOR-Projekt, das auf Onion Routing basiert und somit die "geological software" ad absurdum führt, stößt auf Skepsis, wenn es um Themen wie Terrorismus oder Kinderpornographie geht.

Es kann kaum bestritten werden, dass zensurresistente Netze, Foren, Chats etc. auch für die Dinge genutzt werden, die eine Mehrheit der Bevölkerung gerne aus dem Netz verbannen würde. Hierbei stellt sich aber wieder die bereits oben angesprochene Frage des "Community Standards" – da eine einheitliche Community im Netz nicht bestehen kann, sind die Ansichten, was wahlweise strafbar, menschenverachtend, ekelhaft oder widerwärtig ist, abhängig von dem Ort, an dem die Information aufgenommen wird, und dem Betrachter. "Beauty lies in the eyes of the beholder" (Schönheit liegt im Auge des Betrachters) heißt ein bekanntes Zitat und dies gilt selbstverständlich auch für "ugliness", "indecency" oder "obscenety". Und bedenkt man, dass von den verschiedensten Regierungen aus den ebenso verschiedensten Gründen Filtermethoden begrüßt werden, so sind Projekte wie TOR, Freenet, Entropy, Jap etc. für Privacyaktivisten unverzichtbar.

In Zeiten, in denen die Privatsphäre der Internetnutzer quasi inexistent ist, in denen nackte Pixelgestalten als Grund für neue Jugendschutzgesetze dienen und die Überwachungstendenzen überhand nehmen, sind es somit nicht selten diejenigen, die mit den nackten Tatsachen zu tun haben, die Bürgerrechtlern Möglichkeiten geben, der freien Meinungsäußerung, Rezipientenfreiheit und unbeobachteten Kommunikation zu frönen, wie nun auch der New Scientist in seiner neuesten Ausgabe berichtet. Doch das macht es auch wieder einfach, diese Techniken zu kriminalisieren – so wie vor 10 Jahren den Zugriff auf das Internet allgemein (Verurteilung als "nationale Geisel").

Diese Strategie ist glücklicherweise davon abhängig, wie vielen Webnutzern es gelingt, hinter die moralische Fassade vieler politischer Aussagen zu sehen und entsprechende Nebenwirkungen der Maßnahmen zu hinterfragen, bevor die Maßnahmen in Gesetzesform gegossen werden. Geht die Strategie der Entscheidungsträger auf, so werden viele Techniken ein Nischen- oder Pariadasein führen. Es bleibt abzuwarten, ob dieses zu neuen Techniken, neuen Gesetzen oder beidem führt.