Sicherheitsphantasien und das allmähliche Verschwinden des Rechtsstaats

In Deutschland wird die präventive Sicherungshaft ausgetüftelt, die britische Regierung will eine globale Liste mit zahlreichen Kriterien für "nicht-akzeptables Verhalten" erstellen, um Personen abzuschieben oder nicht ins Land zu lassen

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Im Wettlauf um die Gunst verängstigter Wähler und um das Image, sich für die Sicherheit der Menschen am stärksten einzusetzen, testen Politiker nach jedem Anschlag neue Ideen aus. Sie versprechen zwar in aller Regel, angefangen von biometrischen Ausweisen über Überwachungskameras oder Jahre langer Speicherung von Verbindungsdaten bis hin zum Einsatz des Militärs, kaum einen größeren Schutz, gehen aber Schritt für Schritt in die Richtung eines Überwachungsstaats, in dem alles, was technisch möglich ist, auch eingesetzt wird. Und in aller Regel tun die Politiker so, als ob ein demokratischer Rechtsstaat eine ewige Einrichtung sei und als ob sich nicht auch schon Demokratien zu totalitären Systemen entwickelt hätten: eine wahrscheinlich gefährliche Illusion. Zudem sind neue Maßnahmen schnell eingeführt, wieder rückgängig gemacht werden sie kaum.

Gerade hatte Bundesinnenminister Schily, stets angetrieben von Bayerns Scharfmacher Beckstein und wohl auch im Hinblick auf die Bundestagswahl, einmal wieder einen Vorschlag gemacht. Um Gefahren vorzubeugen, könne man doch, natürlich nur als letztes Mittel und ganz selten, verdächtige Personen schon einmal für eine gewisse Zeit in Sicherungshaft nehmen. Die "vorübergehende Freiheitsbeschränkung" sollte dann eingesetzt werden, "wenn eine tödliche Gefahr für die Gesellschaft nicht auf andere Weise abgewendet werden kann".

Beweise für eine Tatabsicht aber müsste nach den Vorstellungen des Innenministers für die Anordnung einer solchen Schutzhaft nicht vorliegen. Man sperrt sicherheitshalber mal Personen, die etwas vorhaben könnten, auch wenn die Erkenntnisse für ein Ermittlungsverfahren nicht ausreichen. Und wenn sie nichts Böses im Sinn haben, kann man sie auch irgendwann mal wieder freilassen. Mit einem Rechtsstaat hat das nicht mehr viel zu tun. Schily führt als Beispiel für eine Person, die man wegsperren dürfe, an, dass sie in einem Ausbildungslager in Afghanistan gewesen sei und Verbindungen zu Bin Laden habe. Wie man auch an den Prozessen in Deutschland gegen Mzoudi und Motassadeq sehen konnte, ist das nur schwer nachprüfbar und würde auch schon in solch einem eingeschränkten Rahmen der Willkür Tür und Tor öffnen. Einmal vorhanden, kämen sicherlich noch schnell andere Begründungen für eine Sicherungshaft auf.

Noch weiter ging der bayerische Innenminister Günter Beckstein, auf dessen "Vorschläge" hin Schily möglicherweise mit der Idee einer Sicherungshaft reagiert hatte. Beckstein bedient denn auch gleich die Ausländerfeindlichkeit mit, wenn er sagte, dass die Polizei dazu berechtigt sein müsse, vorbeugend möglicherweise gefährliche Ausländer in Deutschland fesztunehmen und einzusperren: "Potenzielle Terroristen dürfen bei uns nicht frei herumlaufen." Gerade die Anschläge in London haben aber gezeigt, dass derartige Ausländer durchaus auch britische bzw. deutsche Bürger sein können. Mit dem Schielen auf die Überbietung der anderen konkurrierenden Sicherheitspolitiker scheinen Manche nicht mehr recht zu wissen, was sie eigentlich machen und ob sie noch auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.

Die von Schily gegenüber Beckstein eingeschränkte Variante will die CDU/CSU aufgreifen, sollte sie an die macht kommen. Eingeschränkt auf Ausländer, die nicht ohne weiteres abgeschoben werden können, wolle man, wie Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach sagte, "die Sicherungshaft für ausreisepflichtige Terrorverdächtige" einführen, von denen eine "besondere Gefährlichkeit" ausgehe.

Währenddessen denkt auch die britische Regierung darüber nach, wie sie weitere Maßnahmen durchsetzen kann. Zwar ist es in Großbritannien bereits möglich, Personen, die eine Gefährdung für die Sicherheit darstellen, nichts ins Land zu lassen oder abzuschieben. Bislang sei dies schwierig gewesen, wenn die Person in dem Land, in das abgeschoben wird, Todesstrafe oder Folter droht. Das scheint nun nicht mehr so wichtig zu sein. Der britische Innenminister Clarke will eine globale Datenbank mit Terrorverdächtigen und Menschen mit "nicht-akzeptablem Verhalten" aufbauen, die nicht mehr ins Land gelassen werden.

Aber man würde auch gerne noch weiter gehen und selbst diejenigen abschieben können, die in irgend einer Form Terroranschläge provozieren. Der britische Innenminister will so auch "indirekte Aufrufe zum Terrorismus" unter Strafe stellen. Ministerpräsident Blair versteht darunter das Schüren von Hass, die Befürwortung, Legitimierung oder Rechtfertigung von Gewalt, um die Überzeugung einer anderen Person zu beeinflussen. Clarke gab beispielsweise als Kriterien für das nicht-akzeptable Verhalten von nicht-britischen Bürgern in und außerhalb Großbritanniens an, mit dem diese auf Liste kämen und abgeschoben bzw. bei der Einreise abgewiesen werden können. Für die Liste werden auch "extremistische Websites, Buchgeschäfte, Zentren, Netzwerke und Organisationen" erfasst. Ist jemand an diesen aktiv beteiligt, so ist auch eine Abschiebung möglich.

Die Liste des nicht-akzeptablen Verhaltens betrifft alle nicht-britischen Personen in Großbritannien oder im Ausland, die irgendein Mittel oder Medium verwenden, einschließlich das Schreiben, Herstellen, Veröffentlichen oder Vertreiben von Material, das Sprechen in der Öffentlichkeit wie Predigen, das Betreiben einer Website, die Ausübung einer verantwortlichen Position wie die eines Lehrers oder eines Verantwortlichen in der Gemeinde- oder Jugendarbeit, mit dem Ansichten zum Ausdruck gebracht werden, die die Regierung erachtet:

  1. als Unterstützung des Terrorismus oder als Versuch, andere zu terroristischen Taten zu provozieren;
  2. als Rechtfertigung und Verherrlichung von Terrorismus;
  3. als Unterstützung von anderen schweren Verbrechen oder als Versuch, andere zu schweren Verbrechen anzustiften;
  4. als Schüren von Hass, was zur Gewalt zwischen Bevölkerungsschichten in Großbritannien führen kann;
  5. als das Befürworten von Gewalt, um bestimmte Überzeugungen durchzusetzen.

Zudem sollen unter das Verdikt Äußerungen fallen, die die Regierung als "extreme Ansichten" versteht und die "in Konflikt mit der britischen Kultur der Toleranz" stehen. Diese würde freilich mit der Durchsetzung einer solchen Liste ungebührlichen Verhaltens nicht mehr als sonderlich tolerant dastehen. Für britische Bürger sollen, so Ministerpräsident Blair, die Sicherheitsauflagen verschärft werden. Bei Verletzung soll schnell Haft drohen. Blair wünscht sich, dass die Maßnahmen, die auch die Einbürgerung verschärfen und die Integration verstärken sollen, schon nach dem Ende der Parlamentsferien diskutiert und möglichst schnell umgesetzt werden.

Selbst wenn tatsächlich sicher gestellt werden könnte, dass mit den Maßnahmen nicht auch politisch Oppositionelle in Großbritannien oder in anderen Ländern verfolgt und damit die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird, scheint diese Art der "Terrorabwehr" kaum geeignet zu sein, langfristig etwas zu bewirken. Die Maßnahmen selbst dürften bei unschuldig von ihnen Betroffenen wiederum Wut aufgrund ungerechter Behandlung schüren, zudem wird durch Abschiebung ins Ausland das Problem nicht gelöst, das – wie beispielsweise die Teilnahme am Irak-Krieg – mit verantwortlich ist. Und die Abgeschobenen könnten im Ausland ihren Zusammenhalt und ihre extremistischen Ansichten verstärken, haben aber wohl gleichzeitig noch Verbindung zu Verwandten oder Freunden in Großbritannien.

Wie Gewalt re-importiert werden kann, zeigt das Beispiel der USA. Dort wurden Tausende von lateinamerikanischen Gang-Mitglieder in ihre Heimatländer wie Honduras, Guatemala oder Mexiko abgeschoben, in denen sie sich mit kriminellen Organisationen und Drogenbanden zusammenschlossen, auch weil sie sich dort, aufgewachsen in der amerikanischen Kultur, nicht integrieren und keine Arbeit finden konnten. In einigen mittelamerikanischen Staaten sind schon ganze Städte und Regionen in die Hand dieser Gangs gelangt, die mit großer Grausamkeit ihre Macht durchsetzen, und werden die Länder zu "failing states", da die Regierungen immer weniger Kontrolle ausüben können und die Korruption überhand nimmt (Krieg in den Städten). Da die abgeschobenen Gang-Mitglieder aber weiterhin Kontakte in die USA hatten, wanderten manche wieder illegal zurück und wurden die Gangs wie MS-13 zu internationalen Verbrechensorganisationen. In den letzten Jahren dringen sie auch wieder vermehrt in die USA ein und sorgen für eine ansteigende Kriminalität. Michael Chertoff, US-Heimatschutzminister, bezeichnete unlängst diese Gangs als "Bedrohung der nationalen Sicherheit".