Papier anstatt digitale Archivierung

Die britische Atomenergiebehörde hat in einem Modellprojekt Informationen über Atomlager auf Spezialpapier archiviert, weil dies als das haltbarste Trägermedium gilt

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Das Atomzeitalter hatte apokalyptisch vor 60 Jahren mit der Vernichtung von Hiroshima und Nagasaki begonnen. Jetzt steht mit der heraufziehenden Ölkrise offenbar nicht nur die zivile Nutzung von Atomenergie vor einem neuen Schub, sondern könnten auch immer mehr Staaten versuchen, Atomwaffen zu entwickeln oder in die Hand zu bekommen. Gleichzeitig müssen alte Atomwaffen und alte Kernkraftwerke abgebaut und das noch Jahrtausende lang radioaktive Material sicher "entsorgt" werden. Dazu müssen geeignete Lagerplätze gefunden und gebaut werden, die Naturkatastrophen oder Kriege überstehen, aber es müssen auch Informationen an die Menschen der kommenden Generationen übermittelt werden, um sie auf die Plätze und Gefahren hinzuweisen, wenn die bestehenden Kulturen längst verschwunden sind. Die britische Atomenergiebehörde, die bereits 14 Forschungsreaktoren komplett abgebaut hat und weitere Reaktoren abbauen wird, hat nun erstmals aus diesen Gründen Informationen über Atomlager auf haltbarem Papier gedruckt und gelagert.

Windscale-Forschungsreaktor. Bild: UKAEA

Das Problem begleitet die Menschheit: Wie lässt sich Wissen über Generationen hinweg verlässlich erhalten? Lange Zeit gab es nur die mündliche Überlieferung, die Weitergabe von Werkzeugen mit ihrem immanenten Wissen, die Archivierung des Wissens in Bildern und Architektur. Mit der Schrift, die mühsam auf Stein eingeritzt und schließlich schnell auf Pergament aufgetragen wurde, gab es eine verlässliche Information auf relativ stabilen Trägermedien. Noch heute, Tausende Jahre nach ihrer Aufzeichnung, sind manche Dokumente noch erhalten und lesbar. Zu bezweifeln ist, dass dies auch mit Informationen möglich sein wird, die digital auf elektronischen Speichermedien archiviert wurden.

Auch Informationen auf Pergament und auf Papier sind nur unter entsprechenden Bedingungen lange haltbar. Die Zerstörung der Bibliothek von Alexandria hat beispielsweise demonstriert, dass auch zentrale Archive riskant sind. Das Feuer, in dem das Wissen unterging, wurde zu einem bleibenden Mal in der weiteren Geschichte. Die Aufklärung setzte so auch mit dem Projekt ein, das gesamte Wissen der Welt in einer Enzyklopädie zu archivieren. Nach der Erfindung der Druckerpresse erschien es den Herausgebern als eine Möglichkeit, dass selbst bei größeren Katastrophen nicht das gesamte Wissen verschwindet und die Menschheit wieder zurück in dunkle Zeiten fällt, wenn die Bücher in größerer Auflage erscheinen. Es würde ja ein erhaltenes Exemplar bzw. eine Ausgabe der Enzyklopädie ausreichen, um die Weitergabe des Wissens sicher zu stellen.

Das Gelände des stillgelegten Windscale-Forschungsreaktors. Bild: UKAEA

Mit den elektronischen Medien und der Speicherung von digitalen Informationen schien nun auch der Engpass allmählich wegzufallen. Nachdem die Speichermedien immer billiger und mit abnehmender Größe gleichzeitig immer mehr Daten aufzeichnen konnten, werden stetig wachsende Datenmengen archiviert und fällt die Selektion wichtig/unwichtig weg. Doch noch ist nicht wirklich bekannt, wie lange Daten auf Trägern wie DVDs oder Magnetbändern auch unter besten Aufbewahrungsbedingungen lesbar bleiben. Noch weitaus schwieriger aber ist, dass sich sowohl Hardware als auch Software permanent verändern und dadurch veralten. So ist beispielsweise die 5 1/4 Zoll-Diskette mitsamt Laufwerken bereits weitgehend verschwunden. Archiviert man mit den Daten nicht die notwendige Software und die Hardware oder transportiert man sie nicht auf neue Hard- und Software, so sind sie möglicherweise in 50 oder 100 Jahren, geschweige denn in 5000 Jahren nicht mehr lesbar, selbst wenn die Daten in guten Zustand sind.

Noch weiß man auch in Großbritannien nicht, wo man endgültig die radioaktiven Bauteile der stillgelegten Kernkraftwerke für die nächsten Jahrtausende sicher lagern kann. So wurden beispielsweise Teile des Reaktorkerns und anderes mittelradioaktiv belastetes Material des Forschungsreaktors Windscale (Advanced gas-cooled reactor) vorerst in Betonbehältern auf dem Gelände untergebracht (schwach belastetes Material wird verbrannt oder in Betonbehältern in Drigg vergraben). Bis 2015 soll der Reaktor weitgehend entsorgt sein, ein nationales Endlager gibt es aber noch nicht. Der Abbau von Windscale gilt als Demonstrationsprojekt für die Leistungsfähigkeit der United Kingdom Atomic Energy Authority, die damit internationale Standards setzen will.

Windscale liegt bei Sellafield, das von BNFL betrieben wird. Bekannt wurde diese Anlage mit Reaktoren zur Plutonium-Gewinnung und zwei Weideraufbereitungsanlagen erstmals 1957, als es zu einem gefährlichen Reaktorbrand und Radioaktivität freigesetzt wurde. In den 80er jahren wurde mit dem Abbau der beiden Piles begonnen. 2005 wurde bekannt, dass über den Verbleib von fast 30 kg Plutonium keine Informationen vorliegen. Im April 2005 entdeckte man in der Wiederaufbereitungsanlage Thorpe ein vermutlich bereits ein Jahr lang vorhandenes Leck, aus dem Radioaktivität entwichen ist.

Das Gelände des Windscale-Reaktors, wie es 2015 aussehen soll. Verschwunden sind die radioaktiven Reaktorteile aber nur von der Oberfläche. Zudem liegt gleich daneben das Sellafield-Gelände. Bild: UKAEA

Trotzdem hat die britische Atombehörde sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie man Informationen über den radioaktiven Abfall über lange Zeit haltbar machen könnte. Die Speicherung auf elektronischen Trägern wurde als zu wenig verlässlich und dauerhaft betrachtet. Daher griff man auf ein speziell entwickeltes Papier zurück, da hier der Beweis vorliegt, dass es Jahrtausende überstehen kann und die Informationen weiterhin lesbar sind, ohne dass dafür wie bei digitalen Daten eine bestimmte Soft- und Hardware notwendig ist. Zu dieser Lösung sei man, so David Gray, der Leiter des Projekts, nach "sorgfältiger Prüfung aller Möglichkeiten" gekommen.

Für die Dokumente wurde "permanentes", säurefreies Papier ohne Lignin verwendet, das sich nicht verfärbt und zerfällt, wie das bei allen heute hergestellten Büchern der Fall ist. Insgesamt 423 Dokumente wurden auf 11.718 Seiten dieses Papiers mit einem speziellen Verfahren kopiert. Dann wurde das Papier in mit Kupfer imprägnierten Beutel gesteckt und in 16 Spezialbehältern gelagert. Auch der Gedanke der "Dezentralisierung" wurde mit aufgenommen. So hat man zwei weitere Kopien der Dokumente angefertigt und diese an unterschiedliche Orte gebracht, um die Informationen so vor Verlust oder einer Katastrophe zu schützen.