Flirt mit dem Monster

Arabische Jugend und neue Medien

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Das "Monster" hat längst alle Gesellschaften erreicht, selbst in den ärmsten und technisch rückständigsten Regionen der Welt ist der Einfluss der Massenmedien präsent und verändert die Wahrnehmung der Wirklichkeit. Besonders empfänglich dafür, vor allem für die schädlicheren Einflüsse, so die Sorgen der Alten, sind die Jungen. Ob Massenmedien und neue Informationstechniken positive oder negative Auswirkungen auf das Leben der Jüngeren haben, ist in der westlichen Welt kaum mehr ein brisantes Thema – außer wenn Jugendliche Computerspiele oder so genannte Kultfilme als Scriptvorlage für reale Bluttaten heranziehen – in der arabischen Welt schon. Dort, so hat es den Anschein, wird der Generationskonflikt durch den Einfluss der neuen Medien schärfer akzentuiert und dort gibt es mehr Junge, also mehr Anlass, sich Sorgen über die neue Generation zu machen.

Die saudi-arabische Jugend hat eine neue Flirt-Möglichkeit entdeckt – unter Umgehung der allgegenwärtigen, alles überwachenden, sittenstrengen, übel aus dem Mund riechenden Religionspolizei. Darüber freut sich kein Geringerer als der bloggende "Religious Policeman" (vgl. Die Mission des Religionspolizisten), welcher nach einem Jahr Pause seine giftigen Bemerkungen über seine saudische Heimat nun aus dem sicheren England weiterführt: Via Bluetooth könnten junge saudische Männer mit jungen saudischen Frauen (verbotenen) Kontakt aufnehmen und ungeniert miteinander flirten, ohne dass die Polizisten eine Chance hätten, über die Telefongesellschaft Näheres über die Sünder herauszufinden.

Mirror or Monster?

Kaum ein arabisches Land, das nicht einen für westliche Verhältnisse unglaublich hohen Anteil an junger Bevölkerung unter 35 aufweist. Das Angebot an neuen Medien für die arabische Jugend ist groß und wächst ständig: "Satelliten-TV, FM-Radio, Internetseiten, Chatrooms, Email, Instant Messaging, Mobiltelefone und neuerdings Podcasting", so der bekannte arabische Journalist Rami G.Khouri in einem kürzlich erschienen Artikel: Media in the lives of young Arabs: mirror or monster?.

Khouri war zugegen, als ein von der UN organisiertes Treffen im Jemen mehrere arabische Jugend- und Medienforscher sowie Regierungsvertreter zum Thema "Jugendpolitik" versammelte, und hörte dabei einige Leitmotive heraus, die den Umgang der arabischen Jugend mit den neuen Kommunikationsmitteln bestimmen. Einige dieser Trends dürften die westlichen Lesern wenig überraschen, manche werden in ihrem Konfliktpotential unterschätzt und einiges ist in der vorgebrachten Deutlichkeit erwähnenswert.

So etwa die These eines ägyptischen Universitätsprofessors wonach Partizipation noch lange nicht bedeute, dass man von den Herrschenden dazu ermächtigt werde, an gesellschaftlich-politischen Entscheidungen mitzuwirken. Zwar hätten arabische Länder wie Bahrain, die Vereinigten Emirate, Marokko und Jordanien, mit Jugendparlamenten experimentiert, damit diese die Möglichkeit bekämen, ihre Ansichten in einer organisierten Weise zu äußern, aber diese Bemühungen hätten nur eine Minderheit der Jugendlichen angesprochen, die große Mehrheit sei skeptisch darüber geblieben, welchen Platz man ihnen in der Erwachsenengesellschaft einräumen wolle.

Eskapismus und Erziehung

Der Effekt der Jugendparlamente auf die Politik der nationalen Regierungen war gleich Null, nicht einmal Debatten seien davon beeinflusst worden. Dem entspreche auch der Ansatz der offiziellen Staatsmedien. Dort würden die Jugendlichen nach wie vor wie (unmündige) Kinder behandelt, als ob sich in den letzten Jahren nichts geändert hätte. In dieser Haltung, so der ägyptische Professor, sei ein wichtiger Grund dafür zu finden, warum die oppositionellen Bewegungen von der Jugend dominiert würden und sie ihre bevorzugte Ausdrucksmittel in den neuen Massenmedien suchten.

Die Nutzung der neuen Medienmöglichkeiten beschränkt sich nicht auf rein politische Motive, so Khouri, was sich bei allen Diskussionen deutlich zeigte, sei das Phänomen, wonach arabische Jugendliche in den Medien suchen, was sie ihnen in ihrem realen Leben nicht zur Verfügung steht, weder in ihrer Familie, noch in ihrer Gesellschaft, noch an offiziellen Freizeitangeboten, weder im offiziellen kulturellen Leben, noch in der staatlichen Erziehung.

Die Massenmedien sind nicht nur Mittel zur Information oder Unterhaltung, sie werden zunehmend zu einem Mittel der Sozialisation, des politischen Ausdrucks, des Eskapismus und der Erziehung.

Im Großen und Ganzen seien zwei gegenläufige Trends zu beobachten: die Neigung der arabischen Medien westliche Formate, vor allem News-und Showformate, zu kopieren und zum anderen der dem entgegen gerichtete Stolz auf das Eigene, die Anspruch auf originales Material zurückzugreifen und eigene, typische Formate zu entwickeln. Daraus ergebe sich eine starke Reibung zwischen den starken westlichen Kräften und Einflüssen und eigenen Identitätsansprüchen:

Diese ausländischen Ideen und Konzepte können das Gefühl der Entfremdung unter den Jugendlichen nähren. Gleichzeitig geben sie den jungen Arabern das Gefühl und die Möglichkeit, dass sich selbst auszudrücken können und auf elektronischem Weg an Gruppenprozessen teilnehmen können auf eine Art, die in ihrem täglichen Leben verboten ist.

Entfremdung oder Sozialisierung?

Dass von den neuen Möglichkeiten die größte Gruppe der politisch Verbannten in muslimischen Gesellschaften, die Frauen, besonders profitieren und sich auch neue Arbeitsfelder erschließen können, ist bekannt und noch immer mehr ein Versprechen als Realität. Weniger beachtet werden allerdings die Auswirkungen, welche die Nutzung der neuen Medien (nicht nur von Frauen) auf die Gesellschaft hat: "Email und andere Internet-Aktivitäten" würden nämlich peu à peu, so eine weitere Erkenntnis des UN-Workshops, traditionelle Netzwerke der Sozialisierung ersetzen:

Dieser Trend, so Khouri, wird unausweichlich die starken sozialen Bindungen, welche die arabische Gesellschaft definiert (Familie, Stamm, ethnische Gruppe, Nachbarschaft und Religion), schwächen und könnte in der Folge zu politischen und ideologischen Veränderungen führen. Schon jetzt könne man beobachten, dass SMS und Mobil-Telefone ein wichtiges Mobilisierungs-Tool für große Versammlungen und Demonstrationen gegen Regierungen mehrerer arabischer Staaten waren.

Spekulationen, die sich an der Wirklichkeit aber erst messen müssen. Wie das Beispiel der Wahlen in Iran gezeigt hat, kann man sich über den Einfluss der neuen Kommunikationsmittel auch sehr täuschen (vgl. Wenn die Revolution zweimal klingelt...). Dort hat die Jugend - wenn auch beschränkten - Zugang zu den neuen Massenmedien, dennoch gaben viele dem erzkonservativen Ahmadinedschad ihre Stimme, ein Phänomen, über das sich einige der allseits zitierten iranischen Blogger noch immer den Kopf zerbrechen.

So überließ auch diese UN-Konferenz die Antwort auf die Frage, ob die neuen Medienmöglichkeiten die arabische Jugend positiv oder negativ beeinflussen, der Zeit:

Ob die Massenmedien ein destruktives Monster sind, welches die arabische Gesellschaft mit gefährlichen fremden Ideen und Werten bombardiert oder eine willkommene Möglichkeit zur Befreiung für die Individuen und zur Interaktion mit dem Rest der Welt für die arabische Gesellschaft als Ganze, wird sich erst im Laufe der Zeit herausstellen.

Die Möglichkeiten arabischer Jugendlicher sich auszudrücken, warnt Khouri zuletzt, sei aber nicht auf die Massenmedien beschränkt:

If young Arabs do not feel that their needs or rights are adequately met, they will say so, using mass media outlets as well as other means, including emigration, violence, crime, or passivity.