Festungsbau

Der Wunsch nach Sicherheit im Zeitalter des Terrorismus verändert die Städte

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Die Terror-Anschläge von London, Madrid und New York zeigen deutlich die Verwundbarkeit der großen Metropolen. Immer neue Maßnahmen sollen die Sicherheit in den Städten gewährleisten. Der Erfolg ist zweifelhaft.

US Botschaft Berlin

Im Herzen Berlins wird ab 2008 ein viereinhalb Stockwerke hohes Gebäude die letzte Lücke in der historischen Front am Pariser Platz füllen. Unter strengen Sicherheitsauflagen entsteht hier, in Steinwurfweite zum Brandenburger Tor, zurzeit das neue Botschaftsgebäude der USA.

12 Jahre lang stritt man um diesen Bau, William R. Timken ist bereits der siebte US-Botschafter, der sich mit dem Standort für die neue Repräsentanz der USA in Berlin beschäftigen muss. Nach den Anschlägen in Kenia und Tansania im Jahre 1998 hatte die Regierung in Washington die Sicherheitsanforderungen so hochgeschraubt, dass ein Kompromiss unmöglich schien. Der geforderte 30 Meter breite freie Bereich vor der Botschaft hätte den quadratisch angelegten Pariser Platz verzerrt; aus Sicht der Stadtplaner eine ästhetische Unmöglichkeit.

Die massiven Stahlpoller, welche einen Durchbruch von mit Sprengstoff beladenen Autos verhindern sollen, sind schon heute zu sehen. Die Baustelle ist mit einem 2,20 Meter hohen Gitterzaun umgeben, von Kameras überwacht und damit besser gesichert als die Dependance des Bundesnachrichtendienstes während der Bauphase.

Vor kurzem musste auch der Entwurf des "Freedom Tower" in New York geändert werden, er genügte den Sicherheitsanforderungen nicht mehr. Die New York Times befürchtet die Entstehung eines "vertikalen Bunker", ein "Monument einer Gesellschaft, die jeglicher Vorstellung von kultureller Offenheit den Rücken gekehrt hat" (Hochsicherheitsklotz statt Freiheitsturm). 1000 Kilometer weiter westlich, in Chicago, sind mittlerweile nicht nur 2000 Überwachungskameras installiert, 250 Kameras sind zusätzlich mit Mikrofonen ausgestattet - zur Erkennung von Schusswechseln, wie es heißt. Zudem sind biologische, chemische und radiologische Sensoren in Planung.

Die Tendenz ist klar: In den Zeiten der potenziellen Gefahr durch terroristische Anschläge schützt man symbolträchtige Immobilien. Die Aktionen gehen aber weit über das Aufstellen von Schutzwällen hinaus und betten sich in eine Zeit ein, in der amerikanische, britische und nun auch deutsche Städte verstärkt Maßnahmen der inneren Sicherheit planen und durchsetzen. Um möglichst viele Terror-Risiken auszuschließen, behilft man sich der Technik und des Rechts.

"Bitte recht freundlich"

Seitdem die Bilder der sogenannten Londoner "Rucksackbomber" um die Welt gingen, sind die Möglichkeiten der Videoüberwachung noch einmal deutlich geworden (Update: Verdächtige auf Bildern von Überwachungskameras). Obwohl die Kameraaufnahmen die Anschläge nicht verhindern konnten, so wurden einige der mutmaßlichen Täter später aufgrund der Aufnahmen gefasst. Dass die Überwachung einer Millionenstadt mehr als schwierig ist, bewies die Flucht von Osman Hussain, der nach den Anschlägen mit dem Eurostar nach Rom reiste und erst dort verhaftet wurde.

In Großbritannien, so wird geschätzt, überwachen mittlerweile über vier Millionen Kameras die neuralgischen Punkte der urbanen Zentren, allein in London sollen es nahezu 2000 Stück sein. Im Schnitt wird ein Londoner heute 300 Mal am Tag von einer Kamera aufgenommen. Seit den Erfahrungen mit den Bomben der IRA gilt London als Vorreiter einer "fortress architecture", einer Festungsarchitektur.

Eingang zur Downing Street (London)

Der Eingang zur gesamten Downing Street, in der sich der Amtssitz des Premierministers befindet, ist seit 1989 mit einem Eisenzaun gesichert, die US-amerikanische Botschaft gleicht einer stahlummantelten Burg. Nach dem Vorbild Belfasts wurde 1993 ein "ring of steel" rund um den Finanzbereich Londons etabliert, der Zufahrten über nur noch sieben Kontrollpunkte zulässt. An diesen Stellen sind zudem Kameras installiert, die die Nummernschilder erfassen, an eine Datenbank senden und binnen vier Sekunden Rückmeldung an die Kontrollstellen senden. Ironischerweise dienen diese Kameras heute vor allem der Überprüfung der seit 2003 eingeführten City-Maut: Wer nicht gezahlt hat, wird gebührenpflichtig verwarnt.

In den Londoner Docklands kam es nach einem Bombenanschlag 1996 zu Zugangsbeschränkungen zum "Canary Wharf"-Komplex. Unter dem Motto "design out terrorism" wurden Personenschleusen und Überwachungskameras installiert. Ein Gebiet, das ohnehin schon der finanziellen Elite der Stadt vorbehalten war, wurde so endgültig zum abgeschotteten Sektor. Jon Coaffee schlussfolgert über den Kernregion Londons und die Docklands: "Beide Bereiche sind von Rest der Stadt physikalisch wie technologisch abgetrennt."1

Überzeichnet man noch, wenn man das Bild wie Hartmut Böhme malt?2 In den geschützten Kernbereichen der neuen Global Cities operieren die Eliten, außerhalb der konkreten und virtuellen Mauern agieren die von ihnen abhängigen Dienstleister, die an den Rändern der Städte "ethnisch multiple, permanente und chancenlose Unterklassen gebildet haben". Aus Böhmes Sicht bildet sich in den großen Städten das Verhältnis von eingegrenzter erster und ausgegrenzter dritter und vierter Welt ab. "Neben hochkomfortablen, effizienten, mit enormen Kapitaldurchsatz versehenen, disziplinär gereinigten Stadtarealen befinden sich urbanistisch aufgegebene Zonen mit verwahrlosten Infrastrukturen, äußerst konfliktträchtigen Ethnien, ohne Instrumente der Steuerung und ohne städtischen, staatlichen oder ökonomischen support."

In Deutschland ist die Anzahl der Überwachungskameras unklar, weil viele der Anlagen im privaten Besitz von Shopping-Malls, Tankstellen und Altersheimen sind und statistisch nicht erfasst werden. Noch sprechen selbst Kritiker nicht von einer flächendeckenden Überwachung, aber die Verbreitung der Technik schreitet schnell voran. Heute sind in mindestens 30 Großstädten Kameras installiert, alleine rund um den Potsdamer Platz in Berlin sind es 34, in den Bahnhöfen laut Berliner Verkehrsbetriebe rund 700. Der Hamburger Verkehrsverbund stattet nach den Anschlägen von London sukzessive alle der über 800 verkehrenden Busse mit Kameras aus. In der Hansestadt sind Teile des westlichen Alsterufers seit Jahren für den Autoverkehr gesperrt, weil dort das Konsulat der USA sitzt. Zäune und Polizeikontrollen gehören hier zum Stadtbild.

US Botschaft im zentralen London

Öffentliche Plätze, Bahnhöfe, Einkaufszentren, Universitäten, U-Bahnstationen, Verkehrsknotenpunkte: Es gibt zwar keinen staatlichen "Big Brother", bei dem alle Fäden zusammenlaufen, aber private und öffentliche Institutionen kontrollieren die Teile des urbanen Raumes, über den sie jeweils die Rechtshoheit besitzen. Alles im Namen der Terrorismus-Sicherheit. "Ein Totschlagargument", wie Nils Zurawski, Leiter des DFG-Projekts Stadt, Raum, Überwachung sagt:

Gegen Terror der neuen Art lässt sich auf der Ebene des Überwachung nicht wirklich etwas machen. Er ist in seiner Wirkung aber so monströs, dass das Verlangen nach Schutz besonders groß ist. Konzepte, die versprechen etwas zu tun sind einfach unschlagbar in ihrer Argumentationsstärke.

Ob die Kameraüberwachungen wirklich präventiv wirken und Kriminalität reduzieren ist nicht sicher. Das britische Innenministerium legte 2002 und 2005 eine Studie3 über die Wirkung von Videoüberwachung vor (Videoüberwachung reduziert Kriminalität nicht). Danach führen die Kameras im öffentlichen Raum weder zum Rückgang der Kriminalität, noch schaffen sie bei den Menschen ein höheres Gefühl der Sicherheit. Sie führen vielmehr zu einem doppelten Problem: Die meisten Menschen nehmen die Kameras nicht wahr oder ignorieren sie. Wer allerdings auf die Kameras reagiert sind Gruppen, die die Freiheiten der Großstadt nutzen und daher verstärkt beobachtet werden. Sie sollen sich beobachtet fühlen und ihr Handeln der polizeilichen Ordnung anpassen, sieht man genauer hin, sollen sie noch mehr: Nämlich erst gar nicht mehr an die Orte kommen.

Dies deckt sich mit den in den letzten Jahren schleichend novellierten Ordnungsgesetzen, die das Trinken von Alkohol in der Öffentlichkeit, das Liegen und Lagern oder das Betteln betreffen. In den meisten deutschen Städten gelten mittlerweile solche Gesetze. In Hamburg St. Georg beispielsweise sprach die Polizei in den neunziger Jahren rund 50.000 Tausend Platzverweise aus. Das Viertel war als offener Drogenumschlagsplatz verrufen, die verdachtsunabhängigen Kontrollen nahmen stetig zu. Jan Werheim4 spricht von einem Paradigmenwechsel im deutschen Rechtsverständnis: "An die Stelle der Unschuldsvermutung tritt ein pauschaler Verdacht, der lediglich im Aufenthalt an einem Ort der Stadt begründet ist."

Defensible space

Es steht zu vermuten, dass die ohnehin fortgeschrittene soziale und räumliche Spaltung der Gesellschaft durch Überwachungs- und Anti-Terror-Maßnahmen weiteres Futter erhält. Das, was die Soziologen "Segregation" nennen, ist schon lange kein akademisches Gespinst mehr. In Städten werden pennersichere Bänke aufgestellt, die Einsehbarkeit von Plätzen wird baulich erleichtert, Passagen und Zonen werden mit exklusiven Baumaterialien so ästhetisiert, dass ihre Symbolik ausgrenzend wirkt. Sie sollen die unter Deliquenzverdacht stehenden, sozial Schwächeren abstoßen und die unter Konsumverdacht stehenden, kaufkräftigen Zielgruppen anziehen. Arm und Reich werden räumlich getrennt.

Um der Verelendung und Unsicherheit mancher Stadtteile Einhalt zu gebieten, experimentieren die Stadtplaner mit dem sogenannten "defensible space", einem verteidigungsfähigen Raum, der reale und symbolische Barrieren aufbaut, um Bewohnern eine bessere Kontrolle über ihr soziales Umfeld zu geben. CPTED (ausgesprochen: "Septed") heißt das Zauberwort, "Crime Prevention Through Environmental Design". Überschaubare Wohnviertel werden dabei nach vier Kriterien gestaltet5:

  1. Durch Abgrenzungen wird der private, halbprivate, halböffentliche und öffentliche Raum zoniert. Das schafft Barrieren gegenüber Fremden und erleichtert die soziale Kontrolle des Raumes durch die Bewohner.
  2. Aufmerksamkeit füreinander soll durch planerische Mittel erzeugt werden. An vorderster Stelle steht dabei die Ausrichtung der Fenster Richtung Straße und der Einsatz von Erkern.
  3. Architektonische Mittel sollen das Image des Stadtteils fördern. In einem Wohngebiet mit einem guten Image wird, so die Hoffnung, nicht nur das private Investment stimuliert, sondern auch das soziale Engagement der Bewohner.
  4. Möglichst viele Fenster sollen auf den Bezugsraum der Nachbarschaft ausgerichtet sein und es soll ein Verhältnis von wenigen Haushalten je Hauseingang bestehen.

Das Ziel der Mühen ist die Sensibilisierung der Wahrnehmung über die Grenzen der Privatsphäre hinaus. Die Voraussetzung für Sicherheit in Städten, so sind sich die Förderer des CPTED sicher, sind auf der baulichen Seite Übersichtlichkeit und Helligkeit der Stadträume und auf der sozialen Seite die Anwesenheit von Menschen und eine kontinuierliche Nutzung des öffentlichen Raumes. Das Credo: Räumliche Zeichen schaffen Hemmschwellen für Täter und sozial-informelle Kontrolle hat eine Schlüsselfunktion bei der Erzeugung von Ordnung in einer komplexen Gesellschaft. Glaubt man den Forschungsberichten, so lassen sich durch eine so orientierte Stadtplanung ganze Quartiere befrieden.

Die spannende Frage bleibt nun, ab wann diese Ziehung von Grenzen zwischen und innerhalb der städtischen Räume Personengruppen ausschließt, die weniger kriminell als vielmehr einfach nur anders sind. Für Wohnungslose und untere Einkommensschichten ist der öffentliche Raum wichtig, weil sie entweder über keinen adäquaten privaten Raum verfügen oder der öffentliche Raum ihr primärer Ort für soziale Kontakte ist. So nie intendiert könnten Förderungsmaßnahmen wie CPTED die schon lange aus den luxuriösen Innenstädten verdrängten Gruppen weiter an den Rand der Gesellschaft drücken.

Wie lenken Videoüberwachung und bauliche Sicherheitsmaßnahmen die Gesellschaft in die Zukunft? Zum einen wohnt ihnen das Potenzial inne, die Gesellschaft weiter aufzuspalten, zum anderen können sie an kriminalitätsgefährdeten Orten (Bankautomaten, Tiefgaragen, Bahnhöfen) einen bedingt präventiven und repressiven Sicherheitseffekt erfüllen. Nur eine relative kleine Gruppe lässt sich von dem Maßnahmenkatalog nicht abschrecken: Dies sind die zu allem entschlossenen Selbstmord-Attentäter. Eine schreckliche Ironie kommt noch dazu: Es ist Teil des Plans der Terror-Netzwerke wie "Al-Qaida", dass die Länder mit immer mehr kostenintensiven Sicherheitsarchitekturen ihre Staatshaushalte belasten - den Bombenexplosionen sollen Kostenexplosionen folgen.

Ein Leben in der Stadt ist prinzipiell verunsichernd, nirgends sonst trifft man auf so viele Fremde und Fremdes. Das ist der Reiz des Urbanen, setzt aber zugleich Ängste frei, denn man weiß nie genau, welche Absichten die anderen verfolgen. Städte leben von dieser Unsicherheit, und das anonyme Bleiben ist eine Bedingung für die Freiheit zur Abweichung. Wer in der Stadt wohnt, muss Differenz mögen lernen. Wenn nun Angst gegenüber Fremden und eine stete Unterstellung krimineller Absichten sich als Normalzustand in den Köpfen und den Bauten etablieren, dann berauben sich die urbanen Zentren ihrer integrativen Kraft.