Großereignis der Spaßgesellschaft

Die Games Convention Leipzig demonstriert den Boom der Spieleindustrie, aber auch deren Trend zur Überheblichkeit

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Wachstum und Penetration

Auf Europas größter „Leitmesse für interaktive Unterhaltung, Info- und Edutainment“, wie sich die Leipziger Games Convention inzwischen nennt, feiert sich die Spieleindustrie noch bis zum kommenden Sonntag. Mit 280 Ausstellern und einer um fast fünfzig Prozent im Vergleich zum Vorjahr angeschwollenen Ausstellfläche ist die erst vor vier Jahren gegründete Spielemesse sprunghaft angewachsen. Größer, schöner und vor allem bunter lautet die Devise. Geld ist ja da wie Heu. Mit Wachstumsraten von über fünfzehn Prozent steht die Games-Branche gut da wie kaum eine andere. Das sorgt für viel Hybris.

Vielleicht sollte man von einer Messe nichts anderes erwarten als grellen Pomp und Bombast. Die Games Convention hat in dieser Hinsicht einiges zu bieten: Knapp zweihundert Produktneuheiten werden dieser Tage in Leipzig vorgestellt, davon 98 Weltpremieren. Alle großen Publisher sind vor Ort und buhlen mit aufwändigen Inszenierungen um die Aufmerksamkeit der Händler und Besucher. Da drehen sich Babes im silbernen Minirock und schwarzen Lackstiefeln auf rotierenden Bühnen. Anderswo führen nicht weniger laszive Girls eine Cheer-Leading-Choreografie im Blitzlichtgewitter der Umherstehenden auf. Eine weiß bestrapste Messehostess verteilt die Visitenkärtchen eines Software-Herstellers auf einem silbernen Tablett - sie kommt beim vorwiegend männlichen Publikum gut an. So viel steht fest: Sex sells immer noch.

'Formula' von Stefan Blass aus dem Casemodding-Wettbewerb

Die Besucher dürfen es sich derweil auf trendigen Sitzmöbeln gemütlich machen, als befänden sie sich in einer Cocktailbar und nicht auf einem Messestand. Für die Illusion, nicht an einer Verkaufsschau teilzunehmen, sondern an einem hippen Großereignis der hier noch lebendigen Spaßgesellschaft, wird einiges geboten. Funsport-Arenen sorgen für körperliche Ertüchtigung bei Beach-Volleyball, American Football oder in der Halfpipe. Beim Casemodding-Wettbewerb wird der spektakulärste PC-Umbau prämiert, und Ebay veranstaltet Charity-Auktionen.

Überall laden Unmengen von PC-Stationen und Spielekonsolen zum Ausprobieren der Messeneuheiten ein. Sony hat eine riesige Spielwiese geschaffen, um den für September angekündigten Europa-Launch der PlayStation Portable (249 Euro) gebührend zu begehen. Microsofts neue Xbox 360 (300 Euro), die erst zum Weihnachtsgeschäft in den Handel gelangt, ist genauso umlagert wie die aktuellen Mobile Games am Vodafone-Stand. Hersteller wie Electronic Arts und Ubisoft zelebrieren den verblüffenden Fotorealismus von Spielen wie „Fight Night“ oder beschwören eine neue Dimension in der Konvergenz von Film und Spiel mit Titel wie „The Godfather“ und „Peter Jackson’s King Kong“.

Die Konvergenz der Wünsche

Was offenbar ebenso konvergiert, das sind die Konsumwünsche und deren schnelle Erfüllung. Wohl kaum eine Branche hat es verstanden, sich so perfekt und unauffällig im Wunschregister der Konsumenten einzunisten und mit einem Sperrfeuer an Attraktionen für unaufhörliche Kaufimpulse zu sorgen. Games und Lifestyle sind ein und dasselbe. Dabei wird die Befriedigung des spontanen Konsumbegehrens immer leichter:

Mit Gamesload hat T-Online zum Messestart ein Spieleportal auf Download-Basis eröffnet, ganz ähnlich seinem Video-on-Demand und Musikload-Angebot. Electronic Arts (EA) will die Idee der Spielemesse zum „Point-of-Sale“, also in die Kaufhäuser bringen, wo Kids auf coolen Games-Inseln ihre Freizeit verbringen können. Großveranstaltungen wie Rock am Ring geraten ebenso ins Visier des Marketings wie die „Zielgruppe der Wartenden“, die man nicht länger unbeaufsichtigt lassen will.

The Godfather

Schon jetzt indessen gibt es keinen Grund zur Klage. Der Branche, die sich in Leipzig selber hochleben lässt, geht es gut. Nach einigen mauen Jahren kann sie erneut mit rasanten Wachstumszahlen renommieren: Laut GfK-Statistik, vorgetragen vom neuen Bundesverband Interaktive Unterhaltungsindustrie (BIU), wurde im ersten Quartal 2005 bei PC-Software 15,1 Prozent mehr Umsatz (235 Mio. Euro) als im Vergleichszeitraum des Vorjahres erzielt und bei Konsolen und Videogames sogar 15,8 Prozent (231 Mio. Euro).

Ein Völlegefühl hat sich aber noch nicht eingestellt, Hunger ist angesichts der vielen an Games desinteressierten Konsumenten noch vorhanden. Daher fallen die Ankündigungen der Marktziele für die nächste Zeit recht großspurig aus. Ubisoft-Sprecherin Odile Limbach verspricht sich 12 Prozent mehr Wachstum bis 2006 und einen verdreifachten Gewinn bis 2010, ohne den geringsten Zweifel an der Validität solcher Kabbalistik erkennen zu lassen. Sonys Commercial Director Uwe Bassendowski sprach in seiner Produktschau so häufig und aggressiv von „Haushaltspenetration“, dass einem die unterversorgten Heime regelrecht Leid tun wollen.

Das Paradox der Spieleindustrie

Eine gewisse Hybris, die die Games-Branche nicht zuletzt im Umgang mit Pressevertretern erkennen lässt, fällt allenthalben auf. Am so genannten Fachbesuchertag kam es zu diversen, als Pressekonferenz getarnten Produktschauen, die auch nur die Möglichkeit einer Nachfrage seitens der versammelten Journalistenschar nicht mehr vorsahen. Sony macht sich nicht einmal die Mühe, schriftliches Material zu veröffentlichen: Journalisten werden zwei CDs in die Hand gedrückt mit den Trailern und Screenshots der neuen Spiele. Alles Weitere erklärt sich offenbar von selbst. Einen spontanen Gesprächstermin im Business-Center zu ergattern, wo alle Hersteller kleine Kabinen für Gespräche unter vier Händleraugen angemietet haben, ist angeblich nur mit mehrwöchiger Voranmeldung möglich. Ohnehin ist die Branche zum großen Teil Hofberichterstattung gewöhnt und keinen Widerspruch. Die Presse wird als verlängerter Arm der Public Relations betrachtet - und man darf wohl auch feststellen, dass einige Games-Magazine dies auch nicht anders praktizieren.

Fight Night

Dabei sticht ein Paradox ins Auge: Auf der einen Seite wird die Presse für das schlechte Image verantwortlich gemacht, das gewisse Spielegenres in Teilen der Öffentlichkeit genießen. Zugegeben wurde hier häufig undifferenziert und sensationsgeil berichtet. Kürzlich erst verlangte Bayerns Innenminister, der notorische Günther Beckstein (CSU), die Entwicklung von Shootern in Deutschland zu unterbinden. Von daher ist es nur verständlich, wenn die Games-Branche der Kulturalisierung von Spielen, ihrem allmählichen Einzug in die alltägliche Kulturpraxis, eilfertig entgegenfiebert. Eine TNS-Infratest-Untersuchung, die den „Mythos vom schlechten Image der Computerspiele widerlegt“, wie es bei Electronic Arts heißt, wird entsprechend bejubelt – wie seinerzeit die Rotwein-Studie seitens französischer Winzer.

Andererseits dürfte es klar sein, dass eine Kulturalisierung nicht allein über Marketing und Kulteffekte zu erzielen ist. Games-Kult, wie etwa bei der neuen Spiele-Suchmaschine Mogelpower, wird genügend zelebriert. Aber zur Kulturalisierung gehört eben auch ein unabhängiger Journalismus, eine Spielekritik mit gesundem Selbstverständnis, die sich nicht durch Häppchen, Geschenke und Gimmicks fernsteuern lässt.

Die Branche sollte erkennen, dass erst eine kritische Berichterstattung das Gefühl von Unabhängigkeit in die Öffentlichkeit trägt und dies rückwirkend das allgemeine Image von Spielen zu ändern vermag. Dazu gehörte beispielsweise die Verfügbarkeit von differenzierten Marktzahlen, die für weite Teile der Branche, etwa den Bereich Online- und Mobile-Gaming, nicht vorliegen beziehungsweise nicht herausgegeben werden.