Vision einer Landschaft: Vom Kohlerevier zur Seenkette

Wo einst Bagger die Erde umwühlten, segeln Boote über das Wasser vorbei an schwimmenden Häusern

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Wenn die letzten Tagebaue geflutet sind, wird im Lausitzer Braunkohlerevier die größte künstlich geschaffene Seenlandschaft Europas liegen. Die 25 Gewässer breiten sich auf einer Fläche von 140 Quadratkilometern aus. Aber statt die Kohlegruben in idyllische Seen zu verwandeln, setzen die Planer der Internationalen Bauausstellung (IBA) auf eine Verbindung von Naturräumen, Architektur und Industriedenkmälern.

Wüstes Land: der Tagebau Meuro. Bild: IBA Fürst-Pückler-Land

Einen See findet man in Großräschen noch nicht, eine Seestraße schon. Und die führt geradewegs an jene Kraterlandschaft, die Ende des Jahres geflutet wird. Dann werden im Tagebau Meuro die Pumpen abgestellt, die bisher den Grundwasserspiegel künstlich drücken und das Absaufen der Schlucht verhindern. Viel Wasser muss in die in die Grube fließen, viele Jahre lang, bis um 2015 der Ilse-See entstanden ist. Surfer und Segler tummeln sich dann über dem Kohleflöz, wenn die Vision der Planer aufgeht.

Eine Anlegestelle für Boote gibt es schon. Und eine Uferpromenade auch, die IBA-Terrassen aus Sichtbeton, auf der sich drei Häuser-Würfel aufreihen. Hier stellt die IBA Fürst-Pückler-Land ihre Projekte vor und zieht mit der Ausstellung „Bewegtes Land“ eine Halbzeitbilanz auf der „größten Landschaftsbaustelle Europas“. Erstmals steht mit der Lausitz eine Landschaft im Mittelpunkt einer IBA. In dem brandenburgischen Landstrich hofft man so den Übergang von einer von Braunkohleabbau und Industrie geprägten Region in die Dienstleistungsgesellschaft zu bewältigen.

Blick über die IBA-Terrassen in Großräschen in die Grube Meuro. Bild: IBA Fürst-Pückler-Land

Fazit nach einem Blick in die Ausstellung: Bei der Vision von einer neuen Landschaft ist es nicht geblieben. Koordinierend und beratend wirkt die IBA bei 24 Projekten mit, die von den Gemeinden vor Ort getragen werden. Ein Bergwerk entwickelt sich zum Besuchermagnet. Die Baugenehmigungen für schwimmende Häuser sind erteilt. Aus dem Kraftwerk Plessa wird eine Brauerei mit Erlebnisgastronomie. Zusammen haben die IBA und die Kommunen viel bewegt. Und gestalten den Umbau weiter mit Wasserwelten, Industriedenkmälern und Landschaftskunst. An einigen Stellen bleibt es auch der Natur überlassen, den Tagebau zu überwachsen.

Landmarken setzen

Unmengen von Erde verschieben Bagger, um rund um den zukünftigen Ilse-See, den Bergheider See und den anderen Gewässern Uferwege und Böschungen anzulegen. Der Umbau der Landschaft vom „Dreckloch“, wie die Lausitzer die Tagebaugebiete bezeichnen, ist im vollen Gange. Und vielmehr als leere Kohlegruben und Felder soweit das Auge reicht, gibt es in der Lausitz auch nicht. Erst zerfraß der Tagebau das Land. Nun stellen die schwarzen Löcher eine Chance für die Region da, Touristen in die Lausitz zu locken. So wird der ökonomische Wandel zum Vehikel eines Landschaftsumbaus, mit dem die Planer aus Großräschen um den früheren Bauhausdirektor Rolf Kuhn auch architektonische Akzente setzen wollen.

Die IBA-Terrassen sind ein erstes Beispiel dafür. Das unauffällig in die Abbruchkante der Kohlegrube gesetzte Betonband ist bereits mit dem Brandenburgischen Architekturpreis ausgezeichnet worden. Auf der 275 Meter langen Promenade sind die drei Häuser-Kuben, auf denen das blaue IBA-Logo „See“ schon die Zukunft ankündigt, als Module konstruiert. Sie können innen und außen flexibel stets neu angeordnet werden. Damit wurde ein Bau verwirklicht, der mit seinem Sichtbeton sich gegen eine folkloristische Variante aus Backstein durchsetzte. Von den Terrassen kann man das Werden der neuen Seenlandschaft beispielhaft verfolgen. Bis das der Ilse-See geflutet wird, starten hier noch Besichtigungstouren durch den Krater zu einer „Reise zum Mars“.

Der Bergheider See läuft voll, im Hintergrund der F 60. Bild: IBA Fürst-Pückler-Land

Dass in der Lausitz einmal eine Seenlandschaft mit ambitionierten architektonischen Ensembles entstehen würde, war vor fünf Jahren, als die IBA begann, noch nicht klar. Dafür bedarf es mehr als der bergrechtlich vorgeschriebenen Sanierungen der Gruben und Industrieareale, zu der die Kohleunternehmen verpflichtet sind. Die einfachste Lösung für die Tagebaulöcher wäre gewesen, sie einfach voll laufen zu lassen und samt der angrenzenden Flächen zu rekultivieren. Das wäre die Minimallösung gewesen, die in der Region auch viele Fürsprecher fand. Entstanden wären so 20 bis 25 Badeseen und weitläufige Naherholungsgebiete. Aber eine zweite Mecklenburger Seenplatte, erklärt IBA-Sprecher Rainer Müller, könne hier nicht auch noch funktionieren. Gegen dieses wenig originelle Szenario wandte sich Rolf Kuhn mit seiner Forderung, die industrielle Vergangenheit der Landschaft nicht zu verleugnen. Der IBA-Geschäftsführer argumentierte, dass erst die Industierdenkmäler der Lausitz ihr eigenes Profil geben. Als „Alleinstellungsmerkmale“, so Rainer Müller weiter, stellen sie die eigentlichen Landmarken in der Seenkette dar.

Unübersehbar markiert der F 60 eine dieser Marken. Ein Bergwerk auf Rädern, das nach der Wende für nur 13 Monate die Erde von Klettwitz umwühlte und Kohle förderte. Dann wurde dort der Tagebau eingestellt. Die größte bewegliche Abraumförderbrücke der Welt wäre 1998 fast verschrottet worden, bevor sie unweit bei Lichterfeld zum Stillstand kam. Davor stehend, lässt sich das Bauwerk kaum in seiner Gesamtheit in den Blick fassen. Eine gigantische Konstruktion aus Stahlstreben mit 500 Meter Breite, die bis zu 74 Metern hoch ist. Das hat seinen eigenen Reiz, mutet der F 60 doch tatsächlich wie der liegende Eifelturm an. Mittlerweile zieht das mobile Bergwerk 90.000 Besucher jährlich an. Der Künstler Hans-Peter Kuhn zog Lampenbänder und eine Klanginstallation entlang der Stahlseile. Nachts erscheint der F 60 als eine tönende Lichtskulptur.

Die schwimmenden Häuser auf dem Geierswalder See (M). Bild: IBA Fürst-Pückler-Land

Schwimmende Häuser

Seit vier Jahren lässt sich hier die Idee der IBA anschaulich nachvollziehen, wie aus dem Zusammenspiel von Industriekultur und den Kratern des Tagebaus eine neue Landschaft entstehen kann. In unmittelbarer Nähe des F 60 pflastern Bauarbeiter die Uferpromenade, die die Besucher zum zukünftigen Hafen führt. Noch ist der Bergheider See, wie die 2001 geflutete Kohlegrube nun heißt, nicht ganz vollgelaufen mit Wasser. Dort lag einmal der gleichnamige Ort Bergheide, bevor der F 60 alles umpflügte. Hoch oben auf dem grauen Koloss erläutert Olaf Umbreit, Leiter des Besucherbergwerks, die Neugestaltung. Auf der einen Seite des 330 Hektar großen Wasserbeckens entsteht ein Sandstrand. Unweit des Hafens ist ein schwimmendes Restaurant geplant, das gegenüber dem sich im Wasser spiegelnden Industriegiganten ankert. Schwimmen, Surfen, Segeln. Eine Veranstaltungsbühne im Hafenbecken, die im Winter zu einer Eisfläche für Schlittschuhläufer umgebaut werden kann. Der Bergheider See steigt als ein multifunktionaler Freizeitpark aus der grauen Erde auf.

Direkt aus der Haustür in den See springen oder ins Boot steigen, im Gräbendorfer und dem Geierswalder See soll es möglich sein. Mit dem Projekt „Wasserwelt“ setzt sich die IBA auch von der Konkurrenz in Mecklenburg-Vorpommern auf eigensinnige Weise ab. Die Baugenehmigung für ein erstes Haus ist erteilt. „Ein privater Investor eröffnet auf dem Gräbendorfer See eine Tauchschule im April nächsten Jahres“, berichtet Rainer Müller. Die wird in einen der Kuben aus Holz ziehen, die auf einem Beton-Ponton gebaut werden. Für die geplanten Domizile am Geierswalder See ließen sich die Architekten etwas Besonderes einfallen, um der Situation auf dem Wasser und den Wettereinflüssen gerecht zu werden. Ebenfalls auf einem Ponton schwimmend bilden gebogene Stahlträger einen zweigeschossigen Raum. Die Häuser sehen eher wie Zelte aus und sind so den Windverhältnissen angepasst. Die Stirnseiten öffnen sich mit Glasfassaden zur Seeseite. Die Außenhaut kann variiert und mit Vorrichtungen für Sonnenenergie ausgestattet werden.

Die neuen Landschaften nehmen Gestalt an. Dass die IBA damit einen Wandel angestoßen hat, in dem sich architektonische Visionen mit wirtschaftlichen Entwicklungschancen für die Lausitz verbinden, dafür spricht nicht nur eine Machbarkeitsstudie. Die darin vorhergesagten Touristenscharen sind schon auf dem Weg ins einstige Kohlerevier. Was die Besucher suchen, scheint genau dieses einzigartige Zusammenspiel zwischen industrieller Vergangenheit und der Krater-Seenlandschaft zu sein.