Keine Eier mehr

Flash-Gag-Cartoonsite ist der Spaß vergangen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es gab mal eine Zeit, da hat das WWW noch Spaß gemacht. Selbst, wenn der Humor manchmal etwas derb war. Inzwischen regieren jedoch die Grey Suits, die Anwälte aus der „Matrix“ dieselbe. Wer das nicht akzeptiert, gilt schnell als Querulant, als Revoluzzer, als Anarchist. Doch auf Dauer hat niemand die Eier für solche teuren Auseinandersetzungen. Weder finanziell noch nervlich.

Der Adventskalender von Ballz.de war selbst denen ein Begriff, die normal Flash als nerviges, CPU-belastendes und dumme Geräusche erzeugendes Werbeformat hassen wie die Pest. Zugegeben Geschmackssache, da das blutspritzende Abtrennen von Körperteilen auch in Cartoons durchaus schwarzer (immerhin nicht roter) Humor ist und so gar nicht in die Weihnachtszeit passen wollte – aber genau das war ja der Gag.

Zu spät… (Bild: W.D.Roth)

Auch Southpark ist für die -zig Variationen von Oh mein Gott, sie haben Kenny umgebracht! Diese Schweine!!! bekannt geworden, ebenso gibt es etliche US-Flashsites mit ähnlichen Inhalten. Und dann wäre da ja noch der Klassiker rotten.com, der allerdings keine Cartoons, sondern echte Derbheiten zeigt.

Rotten.com wird von Juristen sehr gerne zitiert und verlinkt, besonders wenn es darum geht, Hasen und Eier zu plätten. Der Seite ist sogar die Ehre zugute gekommen, vom Düsseldorfer Regierungspräsidenten Büssow in Vorträgen öffentlich vorgeführt zu werden. Der Normalbürger soll sie dagegen tunlichst nicht mehr zu sehen bekommen. Und will dies offensichtlich auch gar nicht mehr, wie ein Leserbrief an Telepolis dieser Tage belegt:

Sehr geehrte Damen und Herren,

würde es ihnen etwas ausmachen, von folgendem Telepolis-Artikel den Link zu rotten.com zu entfernen?

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20731/1.html ; Marcus Hammerschmitt: Man muss nur wollen

Ich bin als 16-Jähriger zwar schon vieles gewöhnt, rotten.com war mir, bis ich diesen Artikel gelesen habe, jedoch noch unbekannt – ebenso wie wahrscheinlich noch weiteren, welche u.U. noch nicht einmal so alt wie ich sind. Vor allem im Interesse der Jüngeren würde ich es vorziehen, wenn ein mir bis dato eigentlich seriös erscheinender Verlag bzw. seine Website nicht auf eine andere Website verlinkt, auf der weder mit Rücksicht auf das Alter des Publikums noch mit Vorwarnung Bilder von Kopfschüssen, Enthauptungen und noch so manch anderen Sachen zu sehen sind.

Mit freundlichen Grüßen
Xxxxxxx Xxxx
21.8.2005; 00:58

Man kann natürlich darum streiten, ob ein Link, der auf dem Wort „Ekel“ liegt, als „ohne Vorwarnung“ einzustufen ist. Aber die heutige Jugend ist halt auch nicht mehr, was sie einmal war, und will nur noch kuschligen Ekel im Netz, auch nachts um 1. Was nun zur Folge hat, dass rotten.com im betreffenden Artikel überhaupt anstelle des Links namentlich erwähnt ist – so wichtig war die Seite dem Autor nämlich gar nicht gewesen. Den Inhabern der amerikanischen Seite kann die Zensur in Good Old Germany jedoch ziemlich egal sein.

Ballz.de hatte dagegen mit der „Bumsebiene“ sogar völlig jugendfreie Inhalte zu bieten. Und hatte auch keinen Ärger mit dem deutschen Jugendschutz. Dafür mit dem organisierten Konzernschutz: In einigen Flashs verwendete Hintergrundmusik brachte böse und teure Post von Sony ein.

Daraufhin hatten die Zeichner von ballz.de bereits nur noch begrenzte Lust. Inzwischen ist ihnen diese völlig vergangen: Nach einem Schreiben der GEMA, die ebenfalls massive finanzielle Interessen anmeldet, ist nun Schluss mit Lustig und alle Cartoons sind offline.

The end of all things to come...
Ballz.de hat ab sofort seine Pforten geschlossen

Warum? Weil es mir reicht, mit meinen harmlosen Cartoons ständig Ärger zu haben. Sei es mit geldgeilen Anwälten, der Musikindustrie oder sonstigen Parteien. Wenn ich eine Idee im Kopf habe, will ich nicht erst 3 Anwälte und 5 Firmen kontaktieren müssen, um ein "okay" dafür zu bekommen. Ich will mir nicht hier und da nen Anwalt suchen müssen, weil sich irgendein Typ auf den Schlips getreten fühlt.

Das verdirbt einem den Spass an der Sache.

Dann geh ich lieber ne Runde um den Block, anstatt mich für mein Hobby mit irgendwelchen Rechtsverdrehern auseinandersetzten zu müssen.

Die GEMA wird demnächst mit einer imensen Forderung vor meiner Tür stehen, keine Ahnung wie hoch die sein wird... und wie ich das bezahlen werde, aber who cares... die werd ich einfach mit meinen Milliardengewinnen, die ich durch ballz.de erwirtschaftet habe bezahlen... ja ne is klar...

Wenn in Deutschland freie Kunst, die die Leute erfreut und sonst nichts, nicht erwünscht ist oder einem unendlich schwer gemacht wird, dann lass ich es eben... Gibt genügend lustige Seiten, ihr werdet eure neue Lieblingsseite schon finden... bis der Autor sie schliessen muss, weil er im Impressum irgendwas vergessen hat... oder sonstirgendwas... böses...

Ich bedanke mich bei den Millionen von Besuchern aufs herzlichste, die Reaktionen von euch, positive wie negative, waren immens über all die Jahre. Wahnsinn.

Wie und auf welche Weise ich mich demnächst im Internet ausleben werde, steht nen bisschen in den Sternen, wir werden sehen. Vielleicht mach ich mit ballz.de auch einen Neuanfang, ich kanns im Moment nicht sagen.

Haut rein, ihr freundlichen Fucker! Das wars erstmal von mir. Wir sehen uns, irgendwann irgendwo! Lasst euch nicht verarschen, von niemandem.

Mit freundlichen Grüssen,
Mr. Eyeballz und Stefan Horn

Im Gästebuch der ehemaligen Cartoonseite buhlen nun einige Schmarotzer darum, dass die Fans von ballz.de auf ihre Seiten abzuziehen, wo sie Kopien der Flashs von ballz.de gelagert haben. Ihnen wird die große Freude unerwarteter geschäftlicher Beziehungen mit Sony und GEMA also noch bevorstehen, die Fans sind über diese Leichenfledderer dagegen jetzt schon empört.

Am Ende werden die Kopisten jedoch besser davonkommen als jene, die selbst etwas auf die Beine stellen wollen und dabei fremde Werke nur zitieren, ohne die harte rechtliche Realität zu kennen. Von denen schließen nämlich immer mehr ihre WWW-Seiten für immer. Oder müssen sie schließen.