Gott wählt Schröder

Eine Merkel im Angesicht der Apokalypse

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Es regnet. Es regnet in Strömen schon seit Tagen. Vom Himmel hoch da kommen sie her die Wassermassen, und seit einigen Stunden dringen sie auch aus der Erde. Nun ist es so weit, der Himmel ward schwarz und seine Schleusen öffnen sich und hervor brechen Sturm und Gewitter gleich den Reitern der Apokalypse: Garmisch ist von der Außenwelt abgeschnitten, Bad Tölz kurz davor, Katastrophenalarm im absolut unproletarisierten blau-weißen Bible-Belt der Republik - ausgerechnet das schöne Bayern, wo, wie wir seit neuestem wissen, die klügeren Deutschen hausen, wird heimgesucht von Wassermassen, wie es sie seit 100 Jahren nicht gab zu dieser Jahreszeit.

Wer gläubig ist, und das sind, nimmt man die "mitmenschliche Zusammenkunft" (Peter V. Brinkemper) von Köln zum Maßstab, ja viele, für den muss nun - nach der Heimsuchung durch die biblische Heuschrecken-Plage vom Frühjahr, nach der noch längst nicht ausgestandenen Drohung tausendjähriger Apokalypse durch Atomwaffen in den Händen gottloser Nordkoreaner und heidnischer iranischer Götzendiener - endgültig klar sein: Gott möchte uns ein Zeichen geben.

Fragen wir uns also, was genau Gott sagen möchte: Ist die vom Herrn in diesen Stunden gesandte Sintflut nun die Strafe für die Anmaßungen des selbstgerechten Bayernfürsten, schickt Gott die Wassermassen, um die Sünden der Bayern hinwegzuspülen? Und folgt auf die Naturkatastrophe nun der Polit-Tsunami, die perfekte Welle für die SPD, auf der Kanzler Schröder nach der Umfrage-Ebbe nun doch noch zum Triumph reitet?

Man kann nicht anders, als hierbei auch ans Elbhochwasser von 2002 zu denken. So oder so - die Union kann nun nur Fehler machen. Tut sie nichts, belegt sie den Eindruck von 2002: Ihr fehlt der direkte Kontakt zum Wähler, sie ist auf plötzliche Ereignisse, vor allem Umweltkatastrophen nicht vorbereitet. Kalt erwischt.

Tut sie aber etwas, eilen Merkel und Stoiber jetzt per Hubschrauber flugs zum neu entstandenen Garmischer See, um diesmal noch vor Schröder/Fischer für die Fotografen der Republik und damit vor dem Wählervolk Handlungsfähigkeit und Tatendrang zu demonstrieren, wird man ihnen bald Opportunismus, eine nachholende Polit-Pose vorwerfen. Stellen wir uns gar für einen Augenblick vor, Merkel rutschte in ihren jüngst erstandenen gelb-blauen FDP-Gummistiefeln auf dem Lehmdamm aus, hätte - nix Deichgräfin - plötzlich proletarisch braune Flecken auf dem apricot-farbenen Wahlkampf-Camouflagekostüm - das Öffentlichkeitsdesaster könnte nicht schlimmer sein. Überhaupt haben ja Wahlforscher kürzlich festgestellt, die Darstellung auf Fotos sei der große Schwachpunkt im Wahlkampf der CDU-Spitzenkandidatin. Kohls Mädchen kann auf keine echte persönliche Erfahrung zurückgreifen. Und beim Sandsäcke-Vollschaufeln kann man sie sich auch nicht gut vorstellen.

Kanzler Schröder dagegen kann jetzt erstmal sagen, dass Überschwemmungskatastrophen nicht für den Wahlkampf missbraucht werden sollten. Und dabei möglichst viel über die Überschwemmung reden und das möglichst laut, damit es auch jeder hört. Dann kann er, falls es wirklich eine Katastrophe wird, immer noch hinfliegen und damit klar machen, dass Angie und Edi die gurgelnden Ereignisse erwartungsgemäß nicht in den Griff kriegen. Gut ist schließlich immer der Politiker, der zuzupacken versteht, der hilft in der Not. Wozu gibt es sie sonst? Katastrophen sind die Stunde der Exekutive.

Die Themenmischung des Wahlkampfs hat sich damit schon jetzt verändert. Und Kanzler Schröder kann die Emotionen der Wähler allemal besser bedienen kann als seine Herausforderin. Die Krise ist seine Chance, sie ist konstitutiv, gibt ihm Authentizität. Die Krise - weder die Partei noch ihr Programm - legitimiert seine Kanzlerschaft. Die Katastrophe als Spielraum für Wille und Vorstellung. Das hat er von den Rechten gelernt. Schröder ist der Meister der Selbstentfesselung der deutschen Politik, und es wird ihm auch diesmal mit Gottes Hilfe wieder glücken. "Wir werden die Menschen nicht allein lassen." Wetten?

Die Entfaltung der Initiative durch die Zerstörung der Welt und die Rettung der Kanzlerschaft durch die Demonstration der eigenen Handlungsfähigkeit und der Ohnmacht der anderen. Wie Moses die Ägypter brauchte und Jesus die Pharisäer, braucht Schröder eine Merkel im Angesicht der Apokalypse. Denn die Flut wird jetzt die überlebenswichtigen Fragen der Politik nach oben spülen und uns daran erinnern, dass Politik es in erster Linie mit der Sicherung unserer Lebensbedingungen zu tun hat. Wenn sich in den letzten Jahren die Flutkatastrophen vermehrt haben, dann liegt das auch daran, dass die Erwärmung unserer Atmosphäre solche Ereignisse begünstigt. Auf dem wichtigen Gebiet der Senkung des CO2-Ausstoßes hat Rot-Grün die Bundesrepublik weit nach vorn gebracht.

Letzte Woche hat man viel über den Finanzexperten im CDU-Wahlkampfteam geredet und darüber, dass er doch nicht wirklich etwas zu sagen hat, weil im CDU-Programm etwas ganz anderes steht. Aber - Quizfrage - wer war gleich noch mal im Wahlkampfteam der CDU für Umweltbelange zuständig? Naa? Richtig!

Die Wähler haben das noch nicht erkannt, Gott schon. Darum sendet er uns jetzt ein erstes Zeichen. Weitere können folgen. Ganz klar: Gott wählt Schröder!