"Die Solarenergie, die Geothermie und die Gezeitenkraft verstärkt nutzen"

Energiepolitik in der Bundestagswahl 2005: Ein Interview mit Wolfgang Methling (Linkspartei.PDS)

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Wolfgang Methling ist stellvertretender Vorsitzenden der Linkspartei.PDS, gleichzeitig Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Umwelt, Energie, Verkehr und Umweltminister in Mecklenburg-Vorpommern (PDS).

Herr Methling, in den Unterlagen zur Energiepolitik der neuen Linkspartei, die Sie mir freundlicherweise haben zukommen lassen, lese ich, dass Ihre Partei unsere Energieversorgung bis 2050 zu 100% auf erneuerbare Energien umgestellt haben will. Ist das überhaupt realistisch?

Wolfgang Methling: Wenn Sie genau lesen, betrifft das die Stromversorgung und die Wärmeversorgung, aber nicht den Verkehr. Wir halten das für ein realistisches Ziel, wir brauchen auf jeden Fall eine Trendwende. Das Potenzial ist da, es ist eine Frage der gesellschaftlichen Mehrheiten.

Wir sind der Auffassung, dass die fossilen Ressourcen vor allem für die stoffliche Verwertung genutzt werden sollten, wo die regenerativen Ressourcen die Lücke momentan nicht schließen können. Es wird sicherlich in den nächsten Jahren einen Mix geben, aber wir wollen den Anteil der Erneuerbaren erhöhen.

Aber selbst die Grünen sind mit ihren Zielen in den letzten Jahren, ja, sagen wir mal: realistischer geworden. Ein Herr Trittin spricht sich stark für die Nutzung von Erdgas-Turbinen aus, was ja auch umwelttechnisch sinnvoll ist. Trotzdem stellt sich die Frage, ob diese hohe Forderung - Sie schreiben ja auch: 80% erneuerbare Energien bis 2025 - nicht deshalb gestellt werden kann, weil Sie sich nicht an einer Regierungskoalition beteiligen wollen. Sie sehen sich ja nur als Oppositionspartei.

Wolfgang Methling: Nein, keinesfalls. Aber wenn Sie von Zielen und Zeiträumen sprechen, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass die fossilen Energien - unabhängig davon, ob sie noch 40, 60, oder 80 Jahre reichen - erschöpflich sind. Wir brauchen ohnehin neue Perspektiven, und die solaren Alternativen sind nach menschlichem Ermessen unerschöpflich. Die Verfügbarkeit und die Preisentwicklung der fossilen Energien werden genügend Anlass dazu geben, in diese Richtung zu gehen.

Ich denke, es ist realistisch, diesen Weg zu gehen, und möglich, wenn die Gesellschaft sich darauf verständigt, die Solarenergie, die Geothermie und die Gezeitenkraft als die drei regenerativen Energien verstärkt zu nutzen. Es ist ja im Übrigen nicht nur realisierbar, sondern alternativlos, denn auch die nuklearen Ressourcen sind begrenzt. Ich habe mal die Zahl 240 Jahre gehört, aber selbst wenn sie 300 Jahre reichen, ist das in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft und der Geschichte der Erde ein Zeitraum, den man gar nicht zur Kenntnis nimmt.

Wir werden aus einer neuen Oppositionsrolle heraus agieren

Stimmt es, dass Sie sich nur als Oppositionspartei sehen, oder würden Sie an einer Koalition teilnehmen?

Wolfgang Methling: Selbstverständlich gehen wir davon aus, dass wir im neuen Bundestag nur aus einer neuen Oppositionsrolle heraus agieren werden. Das hat damit zu tun, ob es Koalitionspartner geben kann. Wir schätzen das so ein - und im Übrigen die anderen auch -, dass eine Koalition mit der Linkspartei.PDS nicht zustande kommen kann. Das ist sowohl vom Programm ablesbar als auch von den Kommentaren der anderen Parteien.

Sie wollen als Linkspartei für mehr Arbeitsplätze sorgen. Welche Rolle spielt dort die Energiepolitik?

Wolfgang Methling: Es gibt sicherlich Verschiebungen in diesem Bereich. Laut Berechnungen der Bundesregierung hat die Nutzung der Windkraft und der Biomasse 120.000 Arbeitsplätze geschaffen. Es gibt eine Verlagerung in andere Bereiche wie die Solarenergie. Auf jeden Fall generiert unsere Energie- und Umweltpolitik Arbeitsplätze.

Wenn Sie in den nächsten Jahrzehnten die Kohlekraftwerke neben der Kernkraft abbauen wollen, gehen Arbeitsplätze verloren. Können auf dem erneuerbaren Sektor genügend Arbeitsplätze entstehen?

Wolfgang Methling: Ich bin davon überzeugt, dass sowohl in der dezentralen als auch in der zentralen erneuerbaren Energieversorgung genug Arbeitsplätze entstehen werden. Das bringt eine Neuorientierung mit sich, selbstverständlich.

Braunkohle: Wärme und Strom können auch anders erzeugt werden

Da Sie im Osten sehr stark vertreten sind: Wie steht die Linkspartei zur Braunkohleindustrie, die gerade im Osten sehr viel Potenzial hat - rund 200 Jahre Reserven bei gleich bleibendem Konsum.

Wolfgang Methling: Auf jeden Fall bleiben diese Ressourcen begrenzt. Aber auch wenn die Effizienz bei den Braunkohlekraftwerken steigt: Jeder Bergbau stellt einen Eingriff in die Natur dar. Und auch wenn die Braunkohle weiterhin genutzt wird, muss eine Neuorientierung auf die stoffliche Nutzung erfolgen. Das richtet sich nicht gegen die Nutzung der einheimischen Rohstoffe, sondern sie sollen verstärkt der stofflichen Nutzung zugeführt werden.

Wir müssen darauf achten, dass wir die fossilen Ressourcen dort verbrauchen, wo sie unersetzlich sind: in der chemischen Industrie und als Rohstoff. Wärme und Strom können auch anders erzeugt werden. Nur durch die Biomasse können fossile Rohstoffe ersetzt werden, was in Anfängen bereits praktiziert wird.

Beim Braunkohleabbau müssen wir außerdem bedenken, dass kommunalpolitische Fragen eine große Rolle spielen, weil dies große Eingriffe sind. Es ist schwieriger, hier einen gesellschaftlichen Konsens zu finden, als in anderen Bereichen, denn es sind großflächige Eingriffe.

Im Gegensatz zur Steinkohle, meinen Sie.

Wolfgang Methling: Ja.

Wie steht die Linkspartei zu den neuen Gerüchten über Pläne, neue Braunkohlegebiete in Mecklenburg-Vorpommern zu entwickeln?

Wolfgang Methling: Wir haben eine sehr skeptische bzw. ablehnende Haltung. Die Braunkohlevorräte dort sind sehr begrenzt, da sie bereits im vorigen Jahrhundert ausgebeutet wurden. Der Abbau wurde eingestellt, weil die Effizienz zu gering war. Im Moment zielen die Pläne eher darauf, diese Diatomeenkohle nicht energetisch, sondern stofflich zu verwerten.[Diatomeenerde - auch Kieselgur und Diatomit - wird seit langem als Trägersubstanz in Dynamit verwendet; heute wird Diatomit aufgrund seines Absorptionsvermögens auch in Filtern verwendet - CM]

Wir sind der Auffassung, dass es zu einem nicht vertretbaren Eingriff in das Ökosystem kommen würde. Im Übrigen hat die Mitteldeutsche Braunkohlegesellschaft ("Mibrag" - die Betreiberfirma der Braunkohleabbaugebiete, Anm. d.Verf.) kein wirtschaftliches Konzept vorgelegt.

Große gemeinsame Schnittmenge mit Grünen, Unterschiede zur SPD

Ich sehe viele Gemeinsamkeiten zwischen Ihrer Energiepolitik und der von Rot/Grün. Warum sollte man die Linkspartei wählen, wenn man von der Energiepolitik ausgeht? Gibt es hier überhaupt große Unterschiede? Sie wollen auch den Atomausstieg.

Wolfgang Methling: Wir sind uns sicherlich in großen Bereichen der Energiepolitik einig. Was die konsequente Nutzung der erneuerbaren Energien betrifft, gibt es auf jeden Fall Unterschiede zur SPD. Herr Scheer, der Träger des Alternativen Nobelpreises, vertritt sicherlich keine mehrheitliche Position in der SPD. Wir liegen aber in seiner Nähe.

Was die Grünen betrifft, haben wir eine große gemeinsame Schnittmenge, und das ist auch gut so. Es ist auch gar nicht verwunderlich, wenn man die Umwelt- und Energiepolitik auf der Basis von Naturgesetzen betreibt. Ich sehe das eher als Chance, nicht als Problem.

Sie unterstützen auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz?

Wolfgang Methling: Selbstverständlich, wir möchten, dass es fortgesetzt wird und auf einigen Bereichen noch konsequenter -- wie beispielsweise bei der Biomasse und der Geothermie. In einigen Bereichen sind wir konsequenter. Die 100% Strom- und Wärmeversorgung in Haushalten ist ein Konzept, das ich von anderen noch nicht gehört habe. Aber in der Richtung sind wir uns einig. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist mit das Beste, was Rot-Grün auf den Weg gebracht haben.

Was passiert denn, wenn in wenigen Wochen Schwarz-Gelb auf 48% kommt, und Rot-Grün dann lieber mit Ihnen koalieren will als Opposition spielen? Kann es eine 52% Mehrheit aus Rot-Grün-Rot geben?

Wolfgang Methling: Dazu habe ich mich schon geäußert. Die Wahrscheinlichkeit ist gering. Und es reicht nicht aus, Gemeinsamkeiten in der Energiepolitik zu haben. Ich halte es nicht für möglich, dass wir uns an einen Tisch setzen und über eine mögliche Koalition sprechen. Wenn man sich das gesamte Programm anschaut und nicht nur die Energiepolitik, dann reicht das nicht aus. Bei der Energiepolitik hätten wir weniger Probleme. Aber was die Sozialpolitik betrifft - das Gesamtprojekt der Agenda 2010 -, das ist unvereinbar mit dem, was die Linkspartei.PDS vertritt.

Deswegen haben sich alle so dazu geäußert. Ich halte es für ein Hirngespinst, von einer rot-grün-roten Koalition nach den Bundestagswahlen zu sprechen.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Craig Morris übersetzt bei Petite Planète Translations und ist Autor des Buches Zukunftsenergien in der Telepolis-Buchreihe.