"Jeden Bahnhof erfassen"

Neues DB-Sicherheitszentrum, Videoüberwachung und "Wohlfühlbahnhöfe"

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Anfang letzter Woche eröffneten Bahnchef Mehdorn und Bundesinnenminister Schily in Berlin das neue Sicherheitszentrum der Deutschen Bahn AG. Das gemeinsam von Bahn und Bundespolizei genutzte Zentrum bietet Zugriff auf sämtliche Überwachungskameras auf deutschen Bahnhöfen. Über die Zahl der überwachten Bahnhöfe schweigen sich die Verantwortlichen allerdings aus "Sicherheitsgründen" aus.

Trotz Ungereimtheiten über die Aufteilung der Kosten und die Bedingungen des Datenaustausches demonstrierten Mehdorn und Schily Einigkeit bei der Präsentation des in public-private-partnership betriebenen Sicherheitszentrums. Als "Meilenstein" und "wirklichen Qualitätssprung" lobten sie die Zentrale, die der Lageauswertung, Informationssteuerung und Initiierung von Maßnahmen der Bundespolizei und des Bahnsicherheitsdienstes dienen soll. Das Einsatzgebiet reiche von der Graffiti-Abwehr über Belästigungen und Ordnungswidrigkeiten bis zu schweren Straftaten.

Bei Angriffen auf die Bahn, Großveranstaltungen oder schweren Unfällen sollen die Spitzen von Bahn und Innenministerium am runden Tisch zusammenkommen. Kurze Wege und schnelle Entscheidungen, so hieß es, seien nun mit dem Umzug des Zentrums von Frankfurt am Main zur Konzern-Zentrale am Potsdamer Platz garantiert. Insbesondere vor dem Hintergrund der bevorstehenden Fußball-WM habe die Sicherheit der Bahnreisenden hohe Priorität. So sei das neue Sicherheitskonzept schon lange geplant und keine Reaktion auf die Terroranschläge von Madrid und London, berichtete Schily, allerdings habe man die Terrorabwehr auch immer im Blick.

Unverständliche Geheimniskrämerei

Kern des Sicherheitszentrums ist die Nachrichtenzentrale, wo Informationen aus den regionalen Zentren der Bahn zusammenlaufen und rund um die Uhr von 30 Mitarbeitern – acht davon Bundespolizisten – ausgewertet werden. Zugriff haben die Mitarbeiter auch auf alle Überwachungskameras auf deutschen Bahnhöfen. Zur genauen Zahl der Bahnhöfe, von denen derzeit Bilder abrufbar sind, wollten sich die Verantwortlichen allerdings nicht äußern.

Sauer reagierte der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix:

Wir waren vorab informiert, warten aber noch heute auf den Datenschutzvertrag, der das alles legitimiert.

Unverständlich bleibt aber auch die Geheimniskrämerei um die Zahl der überwachten Bahnhöfe. Da auf die Videoüberwachung an betroffenen Bahnhöfen gemäß Bundesdatenschutzgesetz hingewiesen wird, bleibt sie im Einzelnen kein Geheimnis. Allerdings wird das gesamte Ausmaß der Überwachung durch Bahn und Bundesregierung verschleiert. Den interessierten Bürgerinnen und Bürgern bleibt die Spekulation.

Überwachung mit Tradition: Das 3-S-Konzept der Deutschen Bahn

Mitte der 1990er Jahre begann die Bahn mit der Umgestaltung von etwa der Hälfte ihrer 5.400 Stationen zu "Wohlfühlbahnhöfen". Leitbild dieser Modernisierung ist das 3-S-Konzept (Service Sicherheit Sauberkeit), dessen tragende Säule die 3-S-Zentralen sind. Als "Herz" der Bahnhöfe sollen sie den reibungslosen Betrieb kontrollieren und koordinieren. Im Jahr 2002 waren 23 3-S-Zentralen auf größeren Bahnhöfen mit Videoüberwachungstechnik ausgerüstet. Diese fungieren als regionale Zentren, zu denen auch die Kameras von Satellitenbahnhöfen aufgeschaltet sind. So integriert z.B. die Zentrale in Aachen 135 Kameras von 23 Bahnhöfen in der Region, und bei der Eröffnung der Zentrale am Berliner Ostbahnhof hieß es, dass mittelfristig fünf Regionalbahnhöfe angeschlossen werden sollen.

Nachdem die Bahn sich in den ersten Jahren des Modernisierungsprogramms auf die größeren Knotenpunkte des Bahnverkehrs konzentriert hat, läuft seit 2002 im Rahmen eines Sofortprogramms auch der Umbau der kleineren und mittleren Bahnhöfe. In Nordrhein-Westfalen, wo die Landesregierung bis 2008 rund 255 Millionen Euro zur Sanierung beisteuert, ist die Bereitstellung von Flächen und Anschlüssen für Videoüberwachung auf 165 Bahnhöfen vorgesehen.

Tausend Augen

Doch allein die Zahl der Kameras auf den bereits umgebauten, größeren Bahnhöfen dürfte sich auf mehr als tausend summieren. So sind z.B. im Frankfurter Hauptbahnhof knapp 150 Kameras installiert, in Leipzig 130, am Berliner Ostbahnhof mehr als 80 und in Hamburg über 60. Vergleichbare Dimensionen der Überwachung sind nur von der London Metropolitan Police der Londoner U-Bahn und dem Metropolitan Police Department von Washington D.C. bekannt.

Die dortigen "Command-and-Control"-Zentren integrieren ebenfalls weit über 1.000 Kameras. Angesichts dessen lässt sich bereits heute sagen, dass es sich bei der neuen Sicherheitszentrale der Bahn nur um die Spitze einer der weiträumigsten, integrierten Infrastrukturen zur Videoüberwachung in Kontinentaleuropa handelt. Wohin die Entwicklung geht, verhehlen Bahn-Chef und Innenminister nicht. Mit dem Segen der Bundesregierung ist ein weiterer Ausbau der Videoüberwachung geplant. "Am Ende wird das so sein, dass wir jeden Bahnhof erfassen können", erklärte Schily zögerlich.

Keine Sorge – eine flächendeckende Überwachung ist nicht geplant?

Kritiker der Videoüberwachung werden hierzulande regelmäßig damit getröstet, dass eine flächendeckende Überwachung wie in Großbritannien nicht geplant sei. Vor dem Hintergrund der Entwicklung bei der Bahn scheint dieser Hinweis allerdings fragwürdig. Obwohl Deutschland sicherlich weit von britischen Verhältnissen entfernt ist, sei zum einen daran erinnert, dass auch britische Städte nicht wirklich flächendeckend überwacht werden. Zum anderen hat die Verharmlosung der Überwachung hierzulande Tradition.

Bereits zum Auftakt der ersten polizeilichen Videoüberwachung 1996 in Leipzig vermeldete die verantwortliche Polizeidirektion, dass "nur" 0,091 % des Stadtgebietes überwacht würden. Großzügig unterschlagen wurde dabei, dass weniger als die Hälfte des Stadtgebiets Siedlungs- und Verkehrsflächen sind, von denen wiederum nur ein geringer Teil als öffentliche Straßen und Plätze zugänglich sind. Überwacht werden mehr als 270.000 qm, die Fläche von immerhin 40 Fußballfeldern.

Auch findet sich der Begriff des "Kriminalitätschwerpunktes", der die Diskussionen zum Thema dominiert und damit die punktuelle Begrenzung der Überwachung suggeriert, in keinem Polizeigesetz. Vielmehr erlauben manche Regelungen zur Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze an als "gefährlich" definierten Orten, von denen die meisten Großstadtpolizeien mindestens ein Dutzend kennen. Bei anderen Vorschriften handelt es sich um tatbestandslose Bestimmungen, die eine Überwachung fast jedes allgemein zugänglichen Ortes einer durchschnittlichen Großstadt ermöglichen.

So nennt z.B. § 29 des Bremer Polizeigesetzes auch Orte, "bei denen aufgrund der örtlichen Verhältnisse die Begehung von Straftaten besonders zu erwarten ist". Aber selbst in Bundesländern mit vergleichsweise restriktiven Regelungen hat die Praxis gezeigt, dass der Begriff "Kriminalitätsschwerpunkt" äußerst relativ und die Identifizierung eines solchen auf Grundlage der Polizeilichen Kriminalstatistik intransparent und kaum anfechtbar ist, da die Zahlen auf Mikroebene nicht öffentlich sind. Dass trotzdem die Rufe nach einer Erweiterung der Polizeivollmachten nicht verstummen, bewies erst am vergangenen Freitag die Brandenburger CDU. Obwohl dort auf Grundlage einer Polizeirechts-Novelle von 2000 bereits in vier Städten polizeilich videoüberwacht wird, will der Landesverband möglichst noch in diesem Jahr eine Gesetzesvorlage einbringen, die eine Ausweitung der Überwachung ermöglicht.

Wie dicht das Netz der Überwachung durch den Zugriff der Polizei auf nicht-hoheitliche Kameras bereits heute ist, zeigte die Terrorfahndung, die Hamburg in der vergangenen Woche erlebte (vgl. Checkpoints in Hamburg). Nur kurze Zeit, nachdem ein Zeuge ein Gespräch von drei Männern über angebliche Anschlagspläne belauscht hatte, bevor diese in einen Linienbus einstiegen, präsentierte die Polizei Bilder der Verdächtigen, die Kameras in dem Bus der Hamburger Hochbahn aufgezeichnet hatten. Vertrauen, dass die immer allgegenwärtigere Überwachung nur zu unser aller Besten ist, schaffen Minister Schily und Bahn-Chef Mehdorn mit ihrer entmündigenden Informationspolitik nicht. Es grüßen die Arcana Imperii.