Der Buchbinder Wanninger und das Callcenter

Call Center Impressionen, Teil 3: "Ich bin nicht zuständig"

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Während bei der Outbound-Telefonie der Unmut der Angerufenen für Stress sorgt, kommt beim Inboundgeschäft ein Problem ganz anderer Art: Er hilft zwar in seinem Bereich weiter, sobald eine weitergehende Anfrage kommt, muss er jedoch meist passen.

Die meisten Callcenter-Agents sind froh, wenn sie von der Outbound- zur Inboundtelefonie wechseln können. Hier sind sie diejenigen, die angerufen werden, der Frustfaktor ist insofern geringer. Inboundtelefonie wird mittlerweile für viele der Tätigkeiten genutzt, die vor einiger Zeit noch direkt in Unternehmen erfolgten wie z.B. Bestellannahme, Kundenservice, technische Beratung.

An den CCA werden also ganz andere Anforderungen gestellt als an jene im Outboundgeschäft. Hier ist Kompetenz gefragt, auf Verkaufstalent und Schauspielkunst (Der Callcenter Agent - das Chamäleon am Telefon) kann verzichtet werden. Durch die Dezentralisierung der verschiedenen Bereiche des Unternehmens ergibt sich für einen Anrufer jedoch oft eine Odysee durch Hotlines und Sprachcomputer, wenn er sein Problem nicht klar definieren kann.

Hotlinedschungel und Inbound/Outbound-Wirrwarr

Funktioniert beispielsweise die DSL-Verbindung nicht, ist für den Anrufer oft nicht klar, ob das Modem defekt ist, die Leitung gestört ist oder ggf. ein Konfigurationsproblem vorliegt. Dies muss aber klar sein um die entsprechende Hotline zu erreichen. Wären die einzelnen Bereiche noch direkt im Unternehmen integriert, könnte man einfach weiterverbunden werden. Anders bei ausgelagerten Hotlines – hier weiß ein CCA oft keine weiteren Nummern, an die er verweisen kann.

Für den Hilfesuchenden eine zunehmend frustrierende Situation. Für ihn ergibt sich das Bild eines oftmals unkoordiniert arbeitenden Unternehmens bzw. des "Fachidioten am Telefon", der zwar das Modem in- und auswendig kennt, aber nicht einmal die Rufnummer des Störungsdienstes kennt. Dies dem CCA anzulasten ist zu kurz gegriffen, denn ihm wird oft genug zwar sein Fachgebiet in Schulungen von A-Z beigebracht, weiterführende Informationen jedoch bleiben aus.

Der Mittler zwischen den einzelnen Bereichen, ergo das, was in vielen Unternehmen auch heute noch die Telefonzentrale ist, wird bei der zunehmenden Auslagerung von Geschäftsbereichen gestrichen, ihn ersetzen Hotlinelisten auf Informationsbroschüren und Webseiten oder Sprachcomputer. Dem Anrufer bleibt es also überlassen, sich die passende Hotline herauszusuchen und ggf. einem Telefonmarathon à la Buchbinder Wanninger entgegenzusehen, bis er die gewünschte Information hat.

Ergibt sich dann im gleichen Moment noch eine Überschneidung von Inbound- und Outboundtelefonie des gleichen Unternehmens, ist bei vielen die Grenze des Zumutbaren erreicht. Der auf einen "take" hoffende CCA kann nun froh sein, wenn die von ihm unverschuldete Situation nicht zur Kündigung eines bestehenden Vertrages führt. Wobei er für Kündigungen natürlich sowieso nicht zuständig ist. Da im Sinne des Datenschutzes die Callcenter lediglich die für ihre Tätigkeit notwendigen Daten erhalten, kann der CCA zwar beispielsweise sehen, welchen Tarif der Kunde gerade nutzt, Rechnungsdaten aber fehlen ihm genauso wie Informationen über bereits erfolgte Gespräche mit dem Kunden und dergleichen mehr, bestehende Daten können oft genug nicht von ihm verändert werden.

So werden falsche oder lückenhafte Informationen weitergegeben, für den Kunden nur ein weiterer Negativpunkt. Wer bei einer Bestellannahme nicht die Möglichkeit hat, mit jemandem zu sprechen, der für irrtümlich erfolgte Mahnungen zuständig ist und dann noch mit falschem Namen angesprochen wird, dem geht verständlicherweise bei der Antwort "Tut mir leid, aber wenn Ihre Daten falsch sind, müssen Sie sich an die folgende Hotline wenden" endgültig der Hut hoch.

Unvermeidbare Entwicklung?

Die Unternehmen scheinen dies alles als unvermeidbaren Schaden hinzunehmen, der sich eben durch Umstrukturierungsmaßnahmen ergibt. Aber ist die Dezentralisierung, die Auslagerung, wirklich die einzige Möglichkeit? Zwar erscheint die Beauftragung von Callcentern eine kostengünstige Alternative zur Festeinstellung von Arbeitskräften zu sein, sie dürfte aber langfristig negative Folgen in Bezug auf Kundenzufriedenheit, Umsatz und Gewinn haben. Wer gerade eine stundenlange Odyssee wegen des fehlerhaften Modems hinter sich gebracht hat, ist sicherlich nicht in der Stimmung, sich jetzt die Vorteile einer Flatrate anzuhören oder einen entsprechenden Vertrag abzuschließen. Durch eine Zusammenführung der einzelnen Geschäftsbereiche, zumindest aber durch vernünftige Gesprächsnotizen, die allen (!) Beteiligten zur Verfügung stehen, sowie eine adäquate Terminplanung samt vorsichtiger Wiedervorlagen wäre viel gewonnen. Sowohl für den Kunden, als auch für das Unternehmen.

Stattdessen werden vermehrt Callcenter beauftragt und Geschäftsbereiche ins kostengünstige Ausland ausgelagert. Unternehmen fürchten nur bedingt negative Auswirkungen in Bezug auf die Reputation. Wer sich einmal die Mühe macht und in diversen Foren die Kommentare in Bezug auf die Hotlines mancher Unternehmen durchliest, fragt sich allerdings zwangsläufig, ob diese Unternehmen über keinen Pressedienst verfügen. Vielleicht aber vertritt man dort eine ähnliche Politik wie die Callcenter im Outboundbereich, die sich ihre Verstöße gegen das UWG gerne schönreden und höchstens beklagen, dass Lose mittlerweile einfach als Ware "verbrannt" sind weil "viele Klitschen halt nicht sauber telefonieren". Den Realitäten stellt man sich diesbezüglich nicht.

Schlussgedanken

Ist jeder Outbound-CCA nun ein skrupelloser Schauspieler, der Inbound-CCA prinzipiell der Mensch mit dem Tunnelblick? Nein, genau deshalb waren diese Einblicke nicht mit "Call Center – die reine Wahrheit" sondern mit "Call Center Impressionen" überschrieben. Sowohl im Inbound- als auch im Outbound-Bereich gibt es viel zu verbessern und gerade beauftragende Firmen würden viel gewinnen, wenn sie ihre Dienste nicht an x-beliebige Callcenter vergeben sondern auf Qualität achten würden.

Viele CCAs, dies sei noch nebenher erwähnt, erledigen ihre Arbeit alles andere als freiwillig. Viele haben nicht die Möglichkeit, einen oftmals schlecht bezahlten Telefonjob abzulehnen weil ihnen dieser durch die Zumutbarkeitsregelungen der Arbeitsvermittlung vorgeschrieben wird. Wer also moralische Skrupel zeigt und lieber wieder arbeitslos wird, wird sich ggf. mit Leistungskürzungen oder gar -streichungen abfinden müssen.

Der Unmut der Angerufenen bzw. Anrufenden aber wird sich immer an denjenigen entzünden, die den Telefonhörer in der Hand bzw. das Headset am Kopf tragen, nicht aber an den Unternehmen. Die Leidtragenden der Callcenterpraxis sind einerseits also Unternehmen, die durch dubiose Praktiken anderer in Verruf kommen, die fast täglich genervten Anschlussinhaber bzw. Hilfesuchenden und die CCAs, die nicht selten mit schweren gesundheitlichen Problemen wie Depressionen oder Burn-Out-Syndrom das CC verlassen. Hier würde nur komplettes Umdenken der Unternehmen helfen – ob dies eintritt, ist allerdings fraglich.