Die gelbe Gefahr

Solange es die FDP gibt, ist der Liberalismus in Deutschland ohne Chance

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Keine Partei hat Deutschland so lange regiert wie die FDP. Nur ganze 14 der letzten 56 Jahre war man nicht an der Regierung. Die FDP ist damit die eigentliche Staatspartei der Bundesrepublik. Wenn also etwas faul sein sollte im Staate, dann ist dies zu allererst das Werk der FDP. Jetzt will sie endlich wieder an die Macht. Aber die Partei der "Freien Demokraten" ist so frei, dass sie selbst nicht mehr weiß, wozu sie da ist. Man könnte die FDP nun einfach ignorieren. Aber es gibt gute Gründe, vor ihr zu warnen.

Von den Parteien, die bei der bevorstehenden Bundestagswahl mit Aussichten auf Parlamentsmandate, eine Regierungsbeteiligung gar, ins Rennen gehen, ist die FDP diejenige mit der geringsten politischen Substanz, diejenige, die am ehesten das Etikett der "reinen Funktionspartei" verdient - ein politischer Zombie: Innerlich tot, ohne Seele, kann sie doch nicht sterben. Man könnte sie einfach ignorieren.

"Partei der Besserverdienenden"

Die FDP ist langweilig. Ästhetisch, also auch soziologisch, ist sie weniger denn je die Partei der Großbürger, die sie mal war - die wählen Union oder Grüne - als die Partei der neureichen Aufsteiger, der Smarties und der "Generation Golf". In den Worten des Politologen Franz Walter: Die FDP "verströmt keinen sanften, maßvollen Mittelstands-Liberalismus mehr, sondern mischt altes Establishment mit Event, viel Schaumschlägerei und symbolischen Aktionen. Sie zielt auf junge Leute, gibt sich optimistisch, braun gebrannt und gut drauf. Sie steht nicht mehr für große Sozialmoral, sondern für Cash. So entsteht eine Koalition von Cash-orientierten Unterschichten und Cash-orientierten Besitzbürgern."

Der frühere Slogan von der "Partei der Besserverdienenden", als PR-Aktion in die Hose gegangen, traf das Selbstverständnis der Partei präzis: In der FDP spricht man gern davon, dass Deutschland "wieder Eliten" brauche, bzw. ein anderes Verhältnis zum Elitären. So reden nur diejenigen, die es nötig haben, die insgeheim zweifeln, ob man sie selbst wohl, käme es darauf an, zur Elite rechnen würde. Weil sie noch nicht lange oben sind, muss die Mauer bitteschön ein bisschen höher gezogen werden.

"Leistung muss sich wieder lohnen"

Der Lieblingsslogan der FDP ist aber der, dass "Leistung sich wieder lohnen muss". Gemeint ist damit: Wir wollen nichts abgeben, die Steuern sollen möglichst niedrig sein, denn wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht.

Wenn die FDP "mehr Leistungsbereitschaft" fordert, meint sie, dass die Leistungen gekürzt werden sollen, wenn sie von mehr "Eigenverantwortung" redet, heißt dies, dass der Staat und die Mitmenschen sich aus der Verantwortung zurückziehen sollen. Das ist das Langweilige an der FDP: Keine Partei ist so plump, so einfallslos und so dreist. Darum ist sie inzwischen allen wurscht, sogar den Porschefahrern.

Wäre die FDP wirklich so für Freiheit, Selbstverantwortung und Durchlässigkeit wie sie gern vorgibt, müsste sie, um nur ein Beispiel zu nennen, an einer Bildungspolitik interessiert sein, die allen - unabhängig von kultureller, sozialer und ökonomischer Herkunft - gleiche (!) Chancen einräumt. Doch Gleichheit ist für die FDP des Teufels; man schimpft dann über das "Gießkannenprinzip".

Eine parasitäre Partei

Die FDP ist korrupt, moralisch wie ökonomisch. Die ökonomische Korruption des FDP-Führungspersonals ist bekannt. Sie gerät nur gern - und wir könnten jetzt über Verdummung in der Mediengesellschaft jammern - in Vergessenheit, ähnlich wie die schwarzen Kassen der Union. Erinnern wir an die Flick-Affaire. Erinnern wir an Möllemann und seinen Geldboten Fritz Goergen, 13 Jahre Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung, der hohe Beträge zwischen Liechtenstein und Münster transportierte, deren genaue Höhe und deren Zweck bis heute unklar ist. Erinnern wir vor allem daran, dass Guido Westerwelle zwischen 1995 und 1998 drei Spenden in Höhe von zusammen knapp 30.000 Mark von dem auch im Zusammenhang mit anderen Polit-Skandalen umstrittenen PR-Unternehmer Moritz Hunzinger erhalten hat. Einer der Schecks lag genau einen Pfennig unter der Grenze, ab der solche Spenden beim Bundestagspräsidenten gemeldet werden müssen. Aus Westerwelles Büro heißt es dazu, alles sei rechtens.

Die moralische Korruption der FDP ist ebenfalls mit den Händen zu greifen. Diese Partei geht mit jedem ins Bett. Erst wählte sie Adenauer ins Amt. 1965 erzwang sie seinen Rücktritt. Dann sorgte sie unter Walter Scheel 1969 für die Machtübernahme der FDP. 1982 stürzten Genscher und Lambsdorff Helmut Schmidt, wechselten mitten in der Legislaturperiode zur Union und ermöglichten so Helmut Kohl, damals schon die "lahme Ente" der Union, doch noch den Griff nach der Kanzlerschaft. Die FDP war der opportunistische "Steigbügelhalter" par excellence. Man könnte auch sagen: Eine parasitäre Partei, der CDU und SPD wahlweise als Wirtstier galten. Dabei sein war alles. Und auch jetzt möchte man wieder an die Macht.

Da gehört man schließlich hin, dieser Platz steht einem schließlich zu. Immerhin hat keine Partei die Bundesrepublik so lange regiert wie die FDP. Nur ganze 14 der letzten 56 Jahre war man nicht an der Regierung. Die FDP ist die eigentliche Staatspartei der Bundesrepublik. Wenn also etwas faul ist im Staate Bundesrepublik, wenn an dem ganzen Krisengerede der letzten Jahre wirklich etwas dran sein sollte (und es nicht nur, von u. a. der FDP produzierte, neoliberale Ideologie sein sollte), dann ist diese Krise zu allererst das Werk der FDP. Natürlich würde sie das leugnen. Würde sagen, was sie immer sagt: Wir konnten uns nicht durchsetzen, wir konnten die leider stärkeren Partner nicht von der liberalen Sache überzeugen. Aber ist mangelnde Durchsetzungsfähigkeit ein Grund, sie zu wählen? Vergleicht man einmal das, was die Grünen in den letzten sieben Jahren in der Regierung Schröder bewirkt haben - unabhängig davon, ob man das nun gut oder schlecht findet - mit den "Erfolgen" der FDP, müsste es letzteren die Schamesröte ins Gesicht treiben. Ob nun aus Impotenz, Inkompetenz, oder einfach Ignoranz - die FDP bewirkt nichts, sie macht einfach nur mit.

Leichtmatrosen im Guidomobil

Auf die Frage, wozu sie Politik macht, hat die FDP keine Antwort mehr. Vor zehn Jahren konnte man noch mit dem Ideengut des angelsächsischen Neoliberalismus punkten. Der ist aber inzwischen entweder in Verruf geraten oder zum politischen Allgemeingut geworden. Die Rolle als Hüter der Grundrechte, die sozialliberale Komponente, wurde der FDP schon in den späten 80er Jahren durch die Debatten um Volkszählung, Asyl- und Einwandererrecht und Datenschutz von den Grünen weggeschnappt. Dadurch hat die FDP auch ihre alte Steigbügelhalter- und Mehrheitsbeschafferfunktion verloren. Sie ist nicht mehr ohne weiteres mit beiden großen Parteien koalitionsfähig, sondern in freiwilliger babylonischer Gefangenschaft als Anhängsel an die Union gefesselt. Das schadet sogar der Union. Denn die FDP dient nicht mehr als Brücke ins linksliberale Bürgertum, sie erschließt nicht Wählerschichten für einen Unionskandidaten, die die CDU oder gerade in Bayern die klerikale, bäuerlicher, oft einfach nur dumpfbackige CSU nie wählen würden. Sondern sie will einfach etwas vom Kuchen abhaben. Und sie schreckt ab, weil Westerwelle - Stichwort: "Leichtmatrose" (Edmund Stoiber) - die Skepsis gegenüber Angela Merkel eher verstärkt.

Schon der "Projekt 18"-Humor mit Westerwelles Containerauftritt und blaugelber "18" auf der Schuhsohle war gerade für die eigene Klientel, erst recht für die der Union, gewöhnungsbedürftig. Auf die breite Öffentlichkeit wirkte er wie das Pfeifen im Wald eines gealterten Klassenclowns, dessen Scherze nicht mehr ziehen. Heute hält Westerwelle, weil er das wenigstens begriffen hat, meistens einfach den Mund. Wenn er aber doch mal etwas sagt, dann erinnert man sich immer gleich wieder daran, wie es früher war. Leichtmatrose Westerwelle wird das Guidomobil nicht los. Der "Krawattenmann des Jahres 2001" ist auch politisch von gestern.

Programmatischer Burn-out

Zurück zur Frage "wozu?" So wie die Parteiführung intellektuell schwach und strategisch unsicher agiert, insgesamt verbraucht wirkt, so sehr ist die Partei von einem auch programmatischen Burn-out-Syndrom befallen - eine Partei ohne politische Existenzberechtigung.

Man könnte nun sehr wohlwollend argumentieren, dass die FDP auf diese Weise sehr präzise das Dilemma des Liberalismus in Deutschland repräsentiert, einem Land, in dem der politische Liberalismus wie freiheitliche Gesinnung und liberale Alltagskultur es seit jeher schwerer hatten als in jeder anderen Industrienation. Während der Liberalismus in Frankreich seit 1789 die kulturelle Hegemonie errungen hatte, zum Inbegriff der politischen Ideenwelt des "bürgerlichen Jahrhunderts" wurde, während in Großbritannien die "Whig interpretation of history" das Selbstverständnis des Empire prägte, symbolisiert die an Windungen und Rückschlägen, an Spaltungen und Opportunismen, an Enttäuschung überreiche Geschichte des Liberalismus in Deutschland vor allem die Defizite des deutschen Bürgertums, seine - im europäischen Vergleich - übertriebene Harmoniesucht und Bereitschaft zum Kompromiss mit den jeweils Herrschenden, seine viel zu geringe Kampfbereitschaft. Bürgerliche Ideale und Werte wurden hierzulande immer schon – jedenfalls von der Mehrheit - bereitwillig dem Machtstaat geopfert, ein schwacher Liberalismus machte das Land anfällig für diktatorische Herausforderungen.

Nach 1945 überlebte der Liberalismus, der immerhin einmal 30 bis 40 Prozent der Wählerstimmen für sich gewinnen konnte, nur in Schrumpfform, als Partei der Mehrheitsbeschaffer. In einem sehr allgemeinen Sinne liberalisierten sich zudem alle Parteien, wurden alle liberal.

Pauschaler Anti-Staats-Reflex

Aber damit den heutigen Zustand der FDP zu erklären wäre allzu schmeichelhaft für die "Partei der Besserverdienenden". Wie unklar die programmatische Positionierung der FDP aber ist, zeigt, dass sie selbst - von oberflächlichen Slogans abgesehen - nicht überzeugend erklären kann, was Liberalismus eigentlich meint (und was gerade eben nicht). Vor allem das Verhältnis der FDP zum Staat ist, gelinde gesagt, zwiespältig und oft einfach absurd. So ist es mittlerweile (nicht nur bei der FDP) Mode geworden, in einem pauschalen Anti-Staats-Reflex Freiheit und Staat als sich gegenseitig ausschließende Antagonismen darzustellen. Obwohl Liberalismus ohne rechtsstaatliche und demokratische Strukturen gar nicht denkbar ist, obwohl es das Wesen der liberalen Demokratie ist, gestaltend auf Gesellschaft einzuwirken, Freiheiten aktiv zu sichern, - etwa die Presse- und Meinungsfreiheit - tut der FDP-Liberalismus so, als wäre der Staat allein Bremsklotz und Hemmschuh gegenüber einer sich wunderbar selbst regulierenden, ständig erweiternden Freiheit. Die FDP-"Programmatik" erschöpft sich derzeit in Null-Parolen wie "Mut zur Zukunft", im Nachplappern der Parolen von Unternehmer- und Mittelstandslobbys und in der Pauschal-Forderung nach "weniger Staat" und "mehr Markt", nach "Abbau" auf allen Ebenen. Der schlanke Staat der FDP ist ein abgemagerter Staat, ein Staat, der auf Wasser und Brot gesetzt wird – bis kurz vor dem Hungertod.

Aber nicht der Staat hat zuletzt die meisten Werte vernichtet, sondern Unternehmer. Und viele Unternehmen suchen von sich aus überhaupt keinen freien Markt und keinen Wettbewerb - warum sollten sie auch an Konkurrenz interessiert sein? Die universale Staatskritik der FDP ist daher gleich aus mehreren Gründen falsch und dumm: Zum einen ist offenkundig, dass - Globalisierung hin oder her - der Nationalstaat fürs erste die relevante Bezugsgröße politischer Legitimation und der Sicherung demokratischer Freiheiten ist. Die klügeren Teile der Wirtschaft haben das längst erkannt - so wie die Klügeren unter den Liberalen aller Länder (nicht die FDP!) längst erkannt haben, dass es nicht um viel oder wenig Staat geht, sondern darum, wie innovativ und flexibel politische Institutionen gebaut sind, ob sie offen genug sind, um auf Neues zu reagieren, aber stabil genug, um sich gegen andere Mächte wehren zu können.

Konformität der "neuen Bürgerlichkeit"

Ein Liberalismus, der sich als gestaltende Kraft ernst nimmt und sich nicht in Partikularinteressen erschöpft, wäre ein Liberalismus, der konsequent die Selbstentfaltung des Einzelnen ermöglicht. Der die Autonomie des Einzelnen gegenüber Eingriffen verteidigt, egal von welcher Seite sie kommen, der der heute zunehmend in Mode kommenden Denunziation individueller Freiheit als "Hedonismus" nicht nachgibt, aber umgekehrt auch keiner Ego-Gesellschaft das Wort redet, sondern in der Lage ist zu erklären, warum Freiheit mit Ironie (Richard Rorty), zivilisiertem Gemeinsinn (Michael Walzer), "Respekt" (Richard Sennet) und republikanischer Citoyenité, vor allem mit Skepsis gegenüber letzten Wahrheiten und grundsätzlichem Selbstzweifel einher geht. Die neue Konformität der Jungkonservativen ist etwas anderes.

Solange es die FDP gibt, ist der Liberalismus in Deutschland ohne Chance. Die FDP ist von all dem weiter entfernt denn je; sie repräsentiert vielmehr selbst genau jene schicke smarte Konformität der "neuen Bürgerlichkeit", der konservative Vordenker wie der Berliner Soziologe Paul Nolte das Wort reden. Als ob nicht einer ihrer politischen Ahnen, John Stuart Mill, den größten Feind des Liberalismus in der "Tyrannei des vorherrschenden Meinens und Empfindens" gesehen hätte, in der "Tendenz der Gesellschaft, wenn möglich die Bildung jeder Individualität, die nicht mit ihrem eigenen Kurs harmoniert, zu verhindern". Dass "die Seele selbst versklavt" werde, darin sah Mill die größte Gefahr.

Der neue Gott der FDP

Die FDP ist längst nicht mehr die Partei des Individuums, sondern die Partei einer vermeintlich moralischen Instanz, die gleichsam über dem Alltagshandeln steht. Wo andere politische Bewegungen mit der Moral argumentieren, der Tradition, wo Menschen qua Nation, Rasse, Religion, im Namen der Toten, der Lebenden oder der noch Ungeborenen zu einer großen Gemeinschaft zusammengeschmiedet werden sollen, da usurpiert die FDP die konkrete Freiheit des Einzelnen, die tatsächlichen Wünsche und Glücksvorstellungen der Individuen im Namen einer "wahren perfekten Freiheit" namens Markt. Der Markt ist das Glückversprechen der FDP, die "unsichtbare Hand" (Adam Smith) Gottes. An die Stelle der Tyrannei der Mehrheit, gegen die die FDP zu kämpfen behauptet, tritt die Tyrannei des Marktes, der "Deregulierung", die auch individuelle Freiheitsspielräume treffen kann – dies ist der neue Gott, dem die FDP mit fundamentalistischer Verve dient.

Heute wirkt die Partei Ralf Dahrendorfs, Thomas Dehlers und Karl-Hermann Flachs wie eine Prostituierte, die nach Mitternacht noch einen Freier braucht, um die Zimmermiete zu zahlen und über eine unendliche Reihe von Demütigungen und Selbstkasteiungen mit verkrampften Backenknochen ihr zahnloses Westerwellegrinsen grinst. Aber die FDP ist heute so frei, dass sie nicht mehr weiß, wozu sie da ist.