Fehler beim Vergleich von Fingerabdrücken

Seit über 100 Jahren gilt die Identifizierung von Personen mit Hilfe des Fingerabdrucks als sicheres Beweismittel, nun beginnt der “Mythos der Unfehlbarkeit” zu wanken

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Biometrische Merkmale ermöglichen angeblich eine sichere Identifizierung und sorgen daher nach Meinung der Befürworter der entsprechenden Techniken für mehr Sicherheit. Seit der Terrorangst nach dem 11.9. und der Möglichkeit, biometrische Merkmale zu digitalisieren, sind mit der Sicherheit (auf Kosten von Freiheit und Datenschutz) auch biometrische Identifizierungstechnologien zu einem großen Versprechen und zu einem guten Geschäft geworden. Allerdings stellt sich heraus, wie schon viele Kritiker monierten (Hat der Fingerabdruck ausgedient?), dass schon eine der ältesten vordigitalen biometrischen Identifizierungstechniken weitaus weniger fehlerfrei ist, wie immer noch vielfach angenommen oder behauptet.

Manche Techniken setzen sich durch, ohne dass ihre Effizienz und Zuverlässigkeit wirklich überprüft wurde. Das war und ist auch mit der Daktyloskopie so geschehen, die sich seit Ende des 19. Jahrhunderts als eines der wichtigsten forensischen Techniken zur Identifizierung einer Person oder ihrer Anwesenheit an einem Tatort durchsetzen konnte, ohne wirklich auf ihre Fehlerrate überprüft zu werden. Das Problem besteht vorwiegend beim Vergleich des direkten Fingerabdrucks mit einem "latenten" Finderabdruck an einem Tatort.

Erstmals ließ 2002 ein amerikanischer Richter den Vergleich von Fingerabdrücken in einem Prozess als Beweismittel nicht zu, weil er die Technik nach dem Daubert-Urteil von 1993 nicht als gültiges wissenschaftliches Verfahren anerkannte. Eine wissenschaftliche Theorie oder Methode muss überprüfbar sein und überprüft worden sein. Berücksicht werden muss von einem Richter seitdem, ob sie mittels eines "peer review"-Prozesses veröffentlicht wurde, welche Fehlerraten sie besitzt, welchen Maßstäben sie unterworfen ist und ob sie in der jeweiligen wissenschaftlichen Gemeinschaft anerkannt wird (Vergleich von Fingerabdrücken kein wissenschaftliches Verfahren).

Noch offen ist ein Prozess am Massachusetts Supreme Judicial Court in einem Mordfall. Terry Patterson war bereits wegen des Mords an einem Polizisten aufgrund von Fingerabdrücken verurteilt worden. Das Urteil wurde jedoch 1995 wegen einer ungenügenden Verteidigung aufgehoben, der Verdächtige jedoch erneut angeklagt. Seine Verteidiger fechten nun, unterstützt von einem Gutachten von 15 Rechtsprofessoren und forensischen Wissenschaftlern, die wissenschaftliche Gültigkeit der Fingerabdrucksvergleiche an.

Dass Fingerabdrucksysteme fehleranfällig sind und sich austricksen lassen, ist lange bekannt (Künstliche Finger für biometrische ID-Systeme). Letztes Jahr wurde der Amerikaner Brandon Mayfield aufgrund einer fehlerhaften Identifizierung kurzzeitig in Spanien als Terrorverdächtiger festgenommen. Sein Fingerabdruck war dem des Algeriers Ouhnane Daoud ähnlich. Erst eine Überprüfung durch einen unabhängigen Experten zeigte, dass der Fingerabdrucksvergleich falsch war, wodurch Mayfield glücklicherweise wieder frei gelassen wurde. In diesem Fall war es für Mayfield auch hilfreich, dass die spanische Polizei nicht so überzeugt war wie das FBI, also eine unabhängige Beurteilung gab. Da für die Identifizierung mittels des Fingerabdrucks keine statistische Fehleranalyse bzw. eine statistische Wahrscheinlichkeit durchgeführt wurde, werden sich mit dem Anwachsen der Datenbanken mit Fingerabdrücken vermutlich auch die Irrtümer vermehren. Noch immer gilt offiziell der Vergleich von Fingerabdrücken als irrtumsfrei, während gleichzeitig international keine Einigung darüber herrscht, ab wie vielen Übereinstimmungen von einer Identität gesprochen werden kann. Nach dem Kriminologen Simon Cole werden jedes Jahr alleine in den USA trotz aller Vorkehrungen vor Irrtümer um die 1000 falschen Vergleiche vorgenommen.

Cole hat für seine Untersuchung, die unter dem Titel More than Zero: Accounting for Error in Latent Fingerprint Identification in der Zeitschrift Journal of Criminal Law & Criminology veröffentlicht werden, alle öffentlich bekannt gewordenen Fehler bei Finderabdrucksvergleichen seit 1920 untersucht. Allerdings hat er nur 22 gefunden, davon 8 allein seit 1999, aber er meint, dass dies nur die Spitze des Eisbergs sei. In letzter Zeit würden, so Cole, mehr Irrtümer an die Öffentlichkeit gebracht. Experten wie Richter seien von der der Unfehlbarkeit des Verfahrens ausgegangen. Die meisten Fehler in den von Cole untersuchten Fällen sind nur durch Zufälle bekannt werden, beispielsweise durch einen DNA-Test nach der Verurteilung des Täter, durch eine Intervention einer ausländischen Polizei oder durch einen tödlichen Unfall in einem Laboratorium. Und es handelt sich fast ausschließlich um schwere Verbrechen wie Mord, die im Hinblick auf die entdeckte Fehlerrate überrepräsentiert seien.

Irrtümliche Verurteilungen aufgrund von falschen Beweismitteln könnten verhindert werden, wenn Identifizierungen mittels Fingerabdrücken durch zusätzliche und unabhängige Experten und die forensischen Gutachter selbst hinsichtlich ihrer Kompetenz überprüft werden und wenn eine hohe Zahl an Übereinstimmungen gefordert wird. Da dies aber nicht geschieht, fallen auch Irrtümer nicht auf. Bei Qualitätskontrollen durch das FBI seit 1983 wurde eine Fehlerrate von 0,8 Prozent festgestellt. Das wären, legt man die Zahl der in den US-amerikanischen forensischen Labors im Jahr 2002 durchgeführten Vergleichen zugrunde, bis zu 1.900 falsche Identifizierungen. In einem Jahr lag allerdings die Fehlerrate bei 4,4 Prozent. Allerdings weiß man nicht, wie viele Irrtümer in den Labors bereits bemerkt und berichtigt wurden – oder eben nicht bemerkt wurden.

Im Vergleich mit den Fehlerraten bei anderen forensischen Identifizierungsmethoden geht Cole davon aus, dass beim Vergleich von Fingerabrücken von einer Fehlerrate zwischen mindestens 0,2 bis 2,5 Prozent auszugehen sei, vermutlich aber liege die Fehlerrate höher. Wenn sie nur technisch erfolgt, wird die Fehlerrate von Experten auf bis zu 10 Prozent geschätzt, wird die Daktyloskopie von Menschen überprüft sinkt die Fehlerrate beträchtlich, wenn eben auch nicht auf Null.

Allerdings haben Untersuchungen auch gezeigt, dass auch die forsensichen Experten sich häufig irren. So haben Itiel Dror und Ailsa Péron von der University of Southhampton kürzlich einen Test mit fünf Experten durchgeführt, wie New Scientist berichtet. Sie sollten überprüfen, ob ein latenter Fingerabdruck mit einem Fingerabdruck übereinstimmt, der von einem Verdächtigen stammt. Den Experten wurde erzählt, dass diese Fingerabdrücke diejenigen seien, die vom FBI irrtümlich dem in Spanien festgenommenen Amerikaner Brandon Mayfield zugeschrieben worden seien. In Wirklichkeit erhielt jeder Experte jeweils ein Paar Fingerabdrücke, das er bereits zuvor für ein Gericht als identisch beurteilt hatte.

Nur einer der Experten erkannte, dass sein Paar identisch ist, drei erklärten, sie würden nicht übereinstimmen, einer sagte, es lägen für ein Urteil ungenügende Informationen vor. Das Ergebnis lässt darauf schließen, dass in die Beurteilung der Experten in erheblichem Maße Kontextwissen einfließt. In einer anderen, ebenfalls noch unveröffentlichten Studie wurde 92 Studenten, die mindestens ein Jahr lang ein Training durchlaufen haben, über 5.800 Vergleiche vorgelegt. Bei ihnen lag die Fehlerrate nur bei 0,034 Prozent, allerdings haben sie die Vergleiche „blind“, ohne nähere Kenntnis der Fälle durchgeführt.