Showdown in Basra

Bizarre Auseinandersetzungen zwischen Briten und schiitischen Milizen

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Ein Alarmsignal und ein "akutes Problem" für Tony Blair erkennen britische Zeitungen in den tumultähnlichen Vorfällen, die sich gestern im südirakischen Basra ereigneten: Under fire: British soldiers attacked in Basra. Indes offizielle Militärvertreter die Auseinandersetzungen zwischen britischen Truppen, der irakischen Polizei und einer aufgebrachten Menge als nebensächliche "Unebenheit" ("road bump") herunterspielten, sehen andere Beobachter in den gewalttätigen Szenen von gestern die Ausweitung des irakischen Chaos auf eine bislang relativ stabile Zone.

Mit einer brachialen, spektakulären Aktion befreiten britische Truppen gestern Abend zwei Mitglieder ihrer Armee, die von irakischen Polizeikräften festgenommen worden waren; Panzer durchbrachen die Gefängnismauern, Soldaten stürmten das Gefängnis und brachten die beiden britischen Gefangenen in ihre Obhut. Soweit der von allen Seiten bestätigte Kern der außergewöhnlichen Militäraktion der Briten. Ansonsten gibt es wie üblich große Unterschiede in der Wahrnehmung und Darstellung der Vorfälle. Ungewiss ist die Zahl der eingesetzten Panzer und Hubschrauber, die Zahl der anderen Gefangenen, welche von der Aktion begünstigt, ebenfalls aus dem Gefängnis fliehen konnten. Ungewiss ist auch noch der genaue Hintergrund der zur Eskalation geführt hat und vor allem der Status der beiden britischen Gefangenen. Vieles deutet daraufhin, dass sie Mitglieder einer Spezialtruppe mit einem Spezialauftrag waren. Das britische Verteidigungsministerium wollte dazu bislang noch keinen Kommentar abgeben. Aber man weiß zumindest, dass sie befreit wurden, weil zu befürchten stand, dass sie im Gefängnis nicht mehr sicher waren. Eine Menschenmenge hatte sich um das Gefängnis versammelt, entrüstet darüber, dass bei der Festnahme der beiden Briten zwei Iraker getötet wurde. Angeblich sollen die beiden Engländer, die in Zivil unterwegs waren und irakischen Polizisten verdächtig erschienen und aufgehalten wurden, sich der Verhaftung widersetzt haben und auf einen Polizisten geschossen haben. An anderer Stelle ist von einem regelrechten Feuergefecht zwischen den Briten und der irakischen Polizei, welche in Basra vorwiegend von schiitischen Milizen bestückt wird, die Rede.

Einer offiziellen Version zufolge waren die beiden Engländer verhaftet worden, nachdem sie Schüsse auf einen Verkehrspolizisten abgegeben haben. Genaueres über die chaotischen Vorgänge - "Clashes" - bei der Verhaftung wird wohl erst in der nächsten Zeit ans Licht kommen. Das Resultat der Auseinandersetzungen bei der Verhaftung war jedenfalls, dass sich eine aufgebrachte Menge, angeblich Sadristen, zum Gefängnis aufmachte, um der beiden Engländer habhaft zu werden. Weswegen die britische Armee um ihre Sicherheit fürchten musste. Bei der Befreiungsaktion am späteren Abend wurden Brandsätze auf die britischen Panzerwagen geworfen. Die tumultähnlichen Ereignisse in Basra hatten ein Vorspiel. Anfang September wurden britische Truppen mehrmals angegriffen und erlitten Verluste. Als Angreifer verdächtigte man vor allem Mitglieder der al-Mahdi-Armee von Muktada as-Sadr. In der Folge nahmen die Briten am Sonntag zwei prominente Mitglieder der Sadristen fest: Sheik Ahmad Majid al Fartusi, den örtlichen Chef der Gruppe und seinen Deputy, Sajjat al Basri. Die Sadristen reagierten mit einer Demonstration ihrer Stärke, sperrten ganze Straßenzüge, übten Druck auf den Gouverneur aus und belagerten schließlich am Montag nach der Festnahme der beiden Engländer das Gebäude, in dem sie festgehalten wurden, beschossen das Gebäude sogar und versuchten augenscheinlich die beiden Engländer in ihre Hände zu bekommen, mit dem Ziel, sie als Geisel gegen Fartusi und dessen Helfer, die in den Händen der britischen Truppen sind, auszutauschen.

Die Regierung in Bagdad hat sich bislang nur spärlich geäußert, bestätigt wurde nur, dass die Befreiungsaktion mit ihr abgesprochen war; fraglich bleibt bei diesen Ereignissen wer welche Macht hat. Anscheinend hat die irakische Regierung und der Gouverneur in Basra nur wenig Einfluss auf die dortigen Geschehnisse; die faktische Macht halten die Milizen, die längst in den offiziellen Organen – Polizei – integriert sind. In Großbritannien haben die Ereignisse von gestern zu einem erneuten Aufleben der Diskussion um einen baldigen Truppenabzug geführt.

Wie der Z-Mann, as-Sarkawi, der für sich die Führung des irakischen Widerstands beansprucht, vor kurzem erklärte, will er in seinem Feldzug gegen die Schiiten im Irak, eine Gruppe ausnehmen: die Sadristen.