Der Jahrhundertsommer und seine Folgen

Die Hitzewelle von 2003 hatte massive Auswirkungen auf die Produktivität der europäischen Ökosysteme

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Die einen haben Hoch Michaela genossen, die anderen haben es verwünscht. Auch die Natur hat unter dem heißen Sommer des Jahres 2003 stärker gelitten, als prosperiert: die Gletscher sind überdurchschnittlich geschmolzen und neben zahlreichen Waldbränden sank auch die Produktivität der Ökosysteme. Letzteres konnten jetzt die europäischen Forscher des CARBOEUROPE-Projekts unter Beteiligung des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) anhand von Ökosystembeobachtung, Satellitendaten und Biosphärenmodellierung belegen. In der aktuellen Ausgabe vonNature stellen sie ihr Ergebnis vor.

Es war der heißeste August seit Beginn der Klimabeobachtungen: Im August 2003 schwitzte ganz Europa. Die ungewöhnlich hohen Temperaturen verursachten verheerende Waldbrände, nach Schätzungen kosteten sie etwa 35.000 Menschen das Leben. Europäische Wissenschaftler, die im CARBOEUROPE-Projekt organisiert sind, haben unter der Leitung von Ernst-Detlef Schulze vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie die Folgen des Jahrhundertsommers untersucht.

In der breit angelegten Studie wurden verschiedene Datenströme analysiert: Mit mikrometeorologischer Technik observierten die Klimaforscher in 14 Wald- und Graslandökosystemen Europas den Kohlendioxidaustausch zwischen Ökosystem und Atmosphäre und analysierten zusätzlich den Zustand der Vegetation anhand von Satellitendaten und Erntestatistiken. Anschließend wurden diese Daten in Simulationsmodellen im Computer zusammengeführt, um das Zusammenwirken zwischen Klima und Biosphäre zu beobachten.

Beispielloser Produktionsrückgang

Das Ergebnis ist eindeutig in seiner Besorgnis erregenden Aussage: Lange Trockenheit und Hitzetemperaturen von teils über 40 Grad Celsius haben das Vegetationswachstum 2003 um rund 30 Prozent sinken lassen – nach Angaben der PIK-Forscher ein beispielloser Vorgang im letzten Jahrhundert. Doch nicht nur Getreideerträge und Waldwachstum lagen deutlich niedriger als normal. Weil weniger Kohlendioxyd als üblich von der Biosphäre aufgenommen wurde, wurden die Ökosysteme auch Teil einer positiven Rückkopplung im Treibhauseffekt, denn sie führten der Atmosphäre zum Teil mehr CO2 zu, als sie aufnahmen.

„Ursprünglich ging man davon aus, dass die Vegetation der mittleren Breiten durch den CO2/-Anstieg und die Temperaturerwärmung gefördert wird und sie produktiver wird. Das ist ja auch eine Hoffnung des Kyoto-Protokolls“, erklärt Markus Reichstein gegenüber telepolis.

Pflanzen reagieren positiv auf die Wärme, sie treiben früher aus, die Vegetationsperiode wird länger und der CO2/-Anstieg in der Atmosphäre wirkt wie Dünger. Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, dass die Produktivität im warmen Jahr 2003 abnahm. Hier spielt auch der Wasserkreislauf eine Rolle, die bisher oft unterschätzt wurde: Wenn es nicht nur wärmer, sondern gleichzeitig trockener wird, nimmt die Vegetation weniger CO2 auf, der Treibhauseffekt wird verstärkt. Computersimulationen deuteten bisher darauf hin, dass dies vor allem im Tropischen Regenwald ein Problem werden könnte. In einem Gebiet wie Sibirien ist es obendrein noch so, dass allein schon das Auftauen des Permafrostbodens CO2 und Methan (CH4) als weiteres Treibhausgas freisetzt. Und auch die mitteleren Breiten wie Europa könnten jetzt labiler sein als erwartet.

Extremereignisse mit ungewissen Folgen

Ob und welche dauerhaften Auswirkungen das Jahrhunderthoch verursacht hat, ist laut Reichstein gleichwohl noch nicht abzusehen. In den von den Klimaforschern analysierten Folgen sind auch Waldbrände und indirekte mittelfristige Wirkungen noch nicht berücksichtigt. Langfristige Einflüsse des Klimaereignisses auf die Ökosysteme wie etwa Veränderungen in der Vegetationszusammensetzung, Minderung des Widerstands gegenüber Krankheitserregern sowie vermehrten Schädlingsbefall – für die es Anzeichen gibt – fehlen ebenfalls. Hier dauern die Untersuchungen noch an. Festgestellt werden konnte allerdings, dass in den stark betroffenen Regionen die Bäume im Frühjahr 2004 schwächer wuchsen, da ihr Kohlenhydratspeicher reduziert war.

Messstation in Mitra/Portugal. Foto: Markus Reichstein

Doch selbst wenn so ein Jahrhundertsommer keine langfristigen Negativeffekte haben sollten: Klimasimulationen prophezeien, dass solche Extremereignisse immer häufiger werden. Es stellt sich also trotzdem die Frage, wie die Ökosysteme mit solchem Klimawandel zurechtzukommen werden.

Wenn ein einzelnes extreme Ereignis wie der Sommer 2003 über 20 Jahre nicht mehr wiederkehrt, dann löst es vermutlich keinen nachhaltigen Schaden aus. Doch die meisten Klimamodelle sagen voraus, dass es wärmer wird und die Extreme zunehmen. Es gibt Szenarien, die besagen, dass ab 2070 oder schon 2050 jeder vierte Sommer so heiß sein wird wie der des Jahres 2003, ab 2100 könnte er ein ganz normaler Sommer sein. Es wird brisant, wenn es öfter vorkommt und die Pflanzen sich nicht mehr davon erholen können. Was genau dann allerdings eintreten wird, können wir heute noch nicht sicher sagen.

Markus Reichstein

Eines zumindest ist laut Reichstein jetzt schon klar: Eine Umkehrung der Entwicklung wird es nicht geben: Aus den Untersuchungen der vergangenen Jahre haben Meteorologen eine Marge entwickelt, nach der das Klima sich um 1,5 bis 4,5 Grad Celsius erwärmen wird, wenn die Menschen weiterhin CO2 ausstoßen, so dass sich der CO2-Gehalt in Atmosphäre verdoppelt. Zwischenzeitlich zeichnet sich ab, dass die untere Grenze ziemlich stabil ist, es dafür nach oben unsicher wird. Die Erwärmung könnte auch bei 6 oder 8°Celsius liegen. Und diese Zahlen beziehen sich nur auf die globale Mitteltemperatur; über den Kontinenten und vielen Regionen wird der Anstieg kräftiger sein.

Das CARBOEUROPE-Projekt ist ein multidisziplinärer Zusammenschluss von 61 Forschungszentren in 17 europäischen Ländern. Sein Ziel ist es, die gegenwärtige Kohlenstoffbilanz Europas zu bestimmen.