Blut, aber kein Öl

Irak: Der falsche Glaube an die Gewalt

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Mindestens fünf Jahre werde es dauern, bis der Irak eine substantielle Menge an Öl produzieren kann, prognostiziert der Vorsitzende eines großen englischen Bohrunternehmens vor ein paar Tagen. Was sich die USA vor Ausbruch des Irak-Krieges im Frühjahr 2003 vorgestellt hatten - die irakische Ölproduktion würde dafür sorgen, dass sich der Wiederaufbau des Landes aus eigenen Quellen speisen könnte - , hat sich bislang nicht bewahrheitet. Im Gegenteil, behauptet auch ein amerikanischer Experte, die Produktion sei unter das Vorkriegs-Niveau gefallen und daran würde sich so schnell nichts ändern. Der Fall Irak demonstriere, dass die US-Strategie, mit militärischem Einsatz die Ölversorgung zu sichern, eine Illusion sei.

Welche Rolle das Öl bei der US geführten Invasion des Irak auch immer gespielt hat, ob nun eine unter- neben- oder übergeordnete Rolle (Sichwort: "Blood for Oil"), feststehen würde, so der amerikanische Professor Michael T. Klare, dass die Sicherung der Ölversorgung nicht erst seit George W. Bush und dessen Vize Cheney (beide mit allerbesten Beziehungen zu amerikanischen Ölindustrie) eine dominierende Rolle in der amerikanischen Strategie gegenüber den Ländern im Nahen Osten gespielt hat.

Pfeiler dieser Politik sei, so Klare, der "Glaubensatz", dass militärische Gewalt ein effektives Mittel zur Sicherung und Kontrolle der Ölquellen in den Ländern dieser Region sei. Ein Echo dieses Credos ließ Präsident George Bush in einer Rede Ende August noch einmal anklingen, als er sagte, dass die Präsenz der amerikanischen Truppen im Irak die Ölquellen vor dem Zugriff von Terroristen schützen soll.

Zwei Jahre nach der Invasion zeige sich nun aber, dass die Anwendung militärischer Gewalt auch zum gegenteiligen Effekt führen könne: Der Zugriff auf irakisches Öl sei schwieriger geworden; die optimistischen Annahmen, beispielsweise des amerikanischen Energie-Ministeriums (Department of Energy – DoE), das Ende 2002 von einer Verdoppelung der irakischen Ölproduktion von 2,5 Millionen Fass Öl täglich auf 5 Millionen ausging, sind von einer bitteren Realität eingeholt worden.

Wenn es einen Regimewechsel im Irak geben wird, würden der weltweiten Ölproduktion 3 bis 5 Millionen Barrels am Tag hinzukommen. Eine erfolgreiche Kriegsführung wäre gut für die Wirtschaft.

Larry Lindsey, damaliger Top-Wirtschaftsberater des Präsidenten im September 2002

Doch bei einer Tagesproduktion von 1,9 Millionen Barrels am Tag - Werte vom Mai dieses Jahres – und Milliarden Dollar Kriegskosten, wird diese Rechnung auf den Kopf gestellt. Im Januar 2003 lag die Produktion noch bei 2,6 Millionen Fass täglich. Grund genug für den amerikanischen Professor Michael T. Klare, den Ursachen für die desaströse Misskalkulation auf die Spur zu kommen.

Das Bild der amerikanischen Eindringlinge und der Widerstand

Er sucht sie vor allem in der militärisch-strategischen Konzentration des US-Kommandos auf die Sicherung der Ölversorgung zu Anfang des Irak-Krieges. Die allererste militärische Operation in diesem Krieg galt Mitte März 2003 der Eroberung einer Ölverladeplattform vor der irakischen Küste; in den Anfangsmonaten des Krieges, die von Plünderungen bestimmt waren, hatte die US-Armee zu wenig Soldaten, um wichtige Institutionen und Infrastruktur des Landes vor den Plünderungen zu schützen. Geschützt wurde jedoch das Ölministerium und wichtige Ölanlagen: ein schwerer Fehler in den Augen Klares, da dies weitreichende symbolische Wirkung auf die Iraker hatte und die Bildung des Widerstands erheblich motivieren konnte. Das Bild der amerikanischen Eindringlinge, die es nur auf den größten Schatz des Irak, sein Öl, abgesehen hatte, wurde dadurch bestärkt.

Weit über 250 Anschläge auf Pipelines, Ölanlagen, Mitarbeiter der irakischen Ölindustrie und Wachposten, etc. registriert die Pipeline-Watch des Institute for the Analysis of Global Security bis Anfang September dieses Jahres. Die Sabotage-Akte haben einen großen Anteil daran, dass die Ölförderung im Irak nicht in Schwung kommt. Trotz des Einsatzes eigener Task Force Einheiten zum Schutz von Pipelines und Anlagen, ist die absolute Sicherheit gegenüber Sabotageakten auch von der US-Armee nicht zu gewährleisten.

Die unsichere Lage macht die Wiederherstellung und dringend nötige Modernisierung der Anlagen und Pipelines noch viel schwieriger als sie technisch ohnehin ist; ausländische Investoren schrecken zurück - ein Teufelskreis. Dazu kommt, dass es neben den Saboteuren auch die gibt, welche von dem Öl etwas für Schwarzmarktgeschäfte abzweigen. Nimmt man noch die Korruptionsaffären dazu, die in letzter Zeit im Zusammenhang mit der Verwendung irakischen Öleinnahmen (vgl. Schlüssel zu 200 Millionen Dollar im Rucksack) an die Öffentlichkeit gerieten, so setzt sich das Bild vom irakischen Schlamassel auch in diesem Bereich, der doch so viele Versprechen barg, fort.

Diesen desillusionierenden Misserfolg der militärischen Kampagne im Irak müssten sich die Vereinigten Staaten vor Augen halten, mahnt Professor Klare, wenn sie, angewiesen auf immer mehr Ölimporte, in Zentralasien, am persischen Golf und in Afrika neue Militärbasen errichten wollen, um ihrem alten Credo der militärischen Sicherung der Ölversorgung weiter zu folgen.