US-Regierung will weiter die Kontrolle über die zentrale Rootzone behalten

Der Internet Governance Showdown beim Weltgipfel zur Informationsgesellschaft hat begonnen

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Seit dem 19. September 2005 tagt in Genf die 3. Vorbereitungskonferenz (PrepCom3) für den 2. Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS II). Neben den noch ungelösten Problemen, wie nach dem Gipfel die gefassten Beschlusse in die Tat umgesetzt werden sollen, spitzt sich die Auseinandersetzung zum Thema ”Internet Governance” zu. Der Showdown hat begonnen.

Der erste Weltgipfel zur Informationsgesellschaft wäre im Dezember 2003 in Genf um Haaresbreite daran gescheitert, dass sich die Regierungen nicht darauf einigen konnten, wie das Internet zukünftig weltweit gemanagt werden soll (Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel). China wollte es unter die Aufsicht der UNO stellen, die USA hielt an der privaten ICANN fest. Der Kompromiss war, UN-Generalsekretär Kofi Annan zu bitten, eine Arbeitsgruppe zu bilden, die mehr Licht in das kontroverse Thema bringen und neue Vorschläge machen sollte. Die 40-köpfige UN Working Goup on Internet Govnernace (WGIG) hat im Juli 2005 ihren Bericht präsentiert (Grauer Rauch über Chateau de Bossey, kalte Schulter in Washington?) und nun sind die Diplomaten dran, für die Staats- und Regierungschefs, die sich im November in Tunis treffen, eine brauchbaren und unterschriftsreifen Vorschlag zu erarbeiten.

Der WGIG-Bericht hat zunächst eine Menge heißer Luft aus der Diskussion genommen. Der Bericht enthält eine breite Arbeitsdefinition, eine Liste von 16 Topthemen, die eine politische Komponente haben, und er präzisiert auch die unterschiedliche Rolle und Verantwortlichkeiten der involvierten Partner, im WSIS Slang ”Stakeholder” genannt.

Bei der Kernfrage aber, wie zukünftig die Aufsicht über den Internet Root organisiert werden soll, konnte sich auch die WGIG nicht einigen. Die vier vorgeschlagenen Modelle reichen von einer vollen Privatisierung der Aufsicht bis hin zur Schaffung einer Art ”Internet UNO” in Form einer ”World Internet Corporation for Assigned Names and Numbers” (WICANN) mit einem Internet-Regierungsrat (Governmental Internet Council/GIC) als Entscheidungs- und einem ”Global Internet Forum” (GIF) als Beratungsgremium (Auf dem Weg zu einer "Internet UNO++"?).

Weiterhin hatte WGIG vorgeschlagen, ein globales Internetforum zu schaffen, das sich der Diskussion vor allem von so genannten horizontalen Fragen, die von keinem der existierenden Institutionen debattiert werden, annehmen sollte. Das Forum sollte auch hilfreich sein bei der Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen den existierenden Organisationen – von ICANN, ISOC und IETF bis zu ITU, WTO und WIPO. Ein solches Forum sollte keine Entscheidungskompetenzen bekommen, wohl aber so genannte ”Soft Law” in Form von unverbindlichen Empfehlungen erarbeiten können

Schattenboxen bei PrepCom3

Bei der seit letzten Montag tagenden PrepCom3 gab es erst einmal, bevor das für Internet Governance zuständige Unterkomitee überhaupt zum Zuge kam, eine Art Schattenboxen zwischen den Hauptrivalen. Die US-Regierung forderte im Plenum die Akkreditierung der in New York ansässigen Nicht-Regierungsorganisation Human Rights in China, was die chinesische Delegation mit Blick auf Formfehler der NGO bei der Akkreditierung ablehnte. Als sich die Debatte auszudehnen begann, forderte China eine formelle Abstimmung, wohl auch um zu sehen, wie die Stimmungslage bei den einzelnen Delegationen ist. Die Chinesen gewannen die Abstimmung, aber das Ergebnis war ziemlich knapp.

Auf der Basis dieses Stimmungsbildes begab man sich dann also in das Sub-Committee A, das vom pakistanischen Botschafter Khan geleitet wird. Der WGIG-Bericht bekam beim ersten Abtasten dabei durchaus einheitlich gute Noten, in der entscheidenden Kernfrage aber, wie die Aufsicht über den Internet Root zukünftig organisiert werden soll, gab es keinen Millimeter Bewegung. Die chinesische Regierung und mit ihr Indien, Brasilien, Südafrika und die Mehrheit der Entwicklungsländer haben mit deutlicher Sprache erklärt, dass sie das bisherige System, nachdem allein die US-Regierung autorisiert ist, Veränderungen, Zufügungen oder Streichungen bei den Root Zone Files im Hidden Server des Root Server System vorzunehmen, nicht mehr hinnehmen wollen,. Die US-Regierung hat ihrerseits klar gestellt, dass sie nicht die Absicht hat, diese Funktion aufzugeben, da dies, in ihrer Sichtweise, zu einer Gefährdung der Stabilität und Sicherheit des Internet führen würde.

Die Europäische Union hat sich ihrerseits in einer Entscheidung des Europäischen Rates bereits vor Wochen für ein ”neues kooperatives Modell” ausgesprochen, hat aber bislang nicht spezifiziert, wie das aussehen könnte. Sie hält sich momentan mit großen Statements zurück und damit gleichzeitig bereit, in einem möglichen Endspiel als Vermittler zu agieren.

Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft haben in dieser Frage eine ziemlich ähnliche Position. Beide Gruppen befürchten, dass eine so genannte ”Internationalisierung der Aufsicht” zu einer Bürokratisierung führt, die weder Nutzern noch Diensteanbietern Vorteile verschafft, sondern eher mehr Beschwernisse und letztendlich vielleicht auch höhere Kosten mit sich bringt. Wo liegt der Vorteil, wenn statt einer Regierung vielleicht ein ganzer Regierungsrat, bestehend aus 20 oder 50 Regierungen, die Publikation eines Zone Files im Root genehmigen muss? Ein Blick in die Debatten des UN-Sicherheitsrates oder in die Diskussion zur UN-Reform reicht aus, um die Konsequenzen für das Internet zu erahnen. Möglicherweise müssten Nutzer dann jahrelang auf neue TLDs warte, wenn erst ein Konsens zwischen den 190 UN-Mitglieder hergestellt werden müsste. Man stelle sich nur vor, dass die Modifikation des Root Zone Files der Länderkennung von Pakistan erst dann erfolgen könnte, wenn die indische Regierung dem zugestimmt hat. Es liegt auf der Hand, dass bei einer solchen ”Internationalisierung” das Internet in Windeseile zur Spielwiese für die Austragung aller möglichen politischen Konflikte würde.

Auf der anderen Seite ist die historisch gewachsene privilegierte Rolle der US-Regierung gleichfalls ein inakzeptabler Zustand. Zwar ist mit dieser Funtki0n nicht wirklich politische Macht verbunden. Wenn die US-Regierung ein Land durch das Herausnehmen des Ländercodes aus dem Root bestrafen wollte, würde es ausreichen, dass der I Root Server in Schweden nicht mitmacht. Die Strafaktion würde dann ins Leere laufen. Die politische ”Bestrafungskapazität”, die mit der Aufsichtsfunktion einhergeht, ist also nahe bei Null. Aber diese Rolle hat einen hohen Symbolcharakter und in der Politik spielen Symbole nun einmal eine große Rolle.

Pokern bis zum Ende

Die Generaldebatte zum WGIG-Bericht hat in der ersten Woche von PrepCom3 keine Ergebnisse gebracht. Botschafter Khan, Chair des Sub-Committee A, hat daher beschlossen, ab Montag in drei kleinen Verhandlungsgruppen (Negotiation Groups on Internet Governance/NGIGs) weiter zuarbeiten. Dabei geht der Streit nun erst wieder einmal darum, wer mit in den Verhandlungssaal darf und wer dann auch ein Recht zum Reden und Verhandeln hat. Einige wollen das exklusiv für die Regierungen, andere fordern konsequent den ”Multistakeholderism”, d.h. die nahezu gleichberechtigte Einbeziehung von Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft.

Noch ist es zu früh, Prognosen abzugeben, wie das Tauziehen um ”Internet Oversight” ausgehen wird. Da alle Seiten immer wieder betonen, dass der Dialog zu dieser diffizilen und delikaten Frage notwendig ist, läge es auf der Hand, dass die streitenden Parteien den WGIG-Vorschlag eines ”Global Internet Forum” aufgreifen. Aber auch hier gibt es zwei Lager. Die einen wollen den Dialog informell im Rahmen der bestehenden Organisationen fortführen, die anderen wollen etwas Neues haben und das Forum formell institutionalisieren.

Ob bis zum Ende von PrepCom3 am 30. September die NGIGs etwas Akzeptables auf den Tisch legen, steht im Moment in den Sternen. Nach den Worten des neuen WSIS-Präsidenten Janis Karkelins wird es keine PrepCom3+ wie bei WSIS I geben. Dass bis zur letzten Sekunde gepokert wird, scheint ziemlich klar. Insofern wäre es nicht verwunderlich, wenn man sich am Wochenende vor dem Tunis-Gipfel in einem der Strandhotels zu einer finalen Runde treffen würde, um die Staats- und Regierungschefs nicht im Regen eines gescheiterten Weltgipfels stehen zu lassen.