DJ, VJ, CJ oder gar TJ?

Der Plattendreher von heute tut sich schwer mit der Auswahl seines Arbeitsgeräts

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Vor 20 Jahren war es ziemlich klar: Diskjockeys hantierten mit großen schwarzen PVC-Scheiben, in die eine fortlaufende Rille gefräst war. Der wahre Künstler tut das auch heute noch. Andere haben es jedoch gerne moderner, wollen zum Ton gar noch ein Bild bieten oder versuchen, sich die Kosten für die teuer gewordenen Plastikdatenträger zu sparen.

Auf der Funkausstellung 2005 gezeigtes Spezial-DJ-Equipment von Pioneer (Bild: W.D.Roth)

Wurde man in den fünfziger oder sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts gefragt, welches Musikinstrument man denn spielen könne, so war die Antwort „Plattenspieler" üblicherweise ein humoristisch verpacktes Eingeständnis des musikalischen Nichtskönnens. Erst in den Siebzigern wurden die Diskotheken bekannter und damit auch die Platten-Jockeys, auch wenn sie damals nur die von der Industrie gelieferte Ware in der richtigen Reihenfolge aufzulegen hatten, um die Stimmung aufrecht zu erhalten.

In den Achtzigern und Neunzigern wurde daraus langsam die „schwarze Kunst", die verschiedenen Musikstücke mittels Angleichen der Taktzahl (Beats per minute) durch schnelleres oder langsameres Rotieren lassen des Plattentellers so ineinander übergehen zu lassen, dass selbst ein besoffener Diskothekenbesucher bei den Übergängen nicht über seine Füße oder die der anderen Gäste fiel und am besten gar nicht mehr merkte, wann ein Stück zu Ende ging und das nächste anfing. Der Idealzustand: man sollte gar nicht mehr merken, wie die Zeit beim Tanzen vergeht, ob nun bei Techno-, Trance- oder Ibiza-Sounds.

Die andere DJ-Bewegung kaum von unten, aus der Ecke, aus der auch Breakdance und Graffiti als neue Jugendkulturen die Welt eroberten: das „Scratchen“. Durch schnelles manuelles Vor- und Zurückdrehen der Platten wurden eigene neue Geräusche erzeugt – der alte Witz vom „Musikinstrument Plattenspieler“ war doch noch Realität geworden. Auch wenn es jedem HiFi-Fan ein Greuel war, war es doch mit seinem Equipment der sicherste Weg, sowohl Abtastnadel wie Platten schnell, gründlich und effektiv zu ruinieren. Diamanten für DJ-Plattenspieler wurden dagegen nun so geschliffen, dass sie symmetrisch waren und im „Rückwärtsgang“ nicht von der Abtast- zur Fräsnadel wurden.

Spezial-DJ-Equipment von Pioneer (Bild: W.D.Roth)

Doch die großen schwarzen Scheiben machten kleineren glänzenden Kunststoffscheiben Platz: die Schallplatte wurde von der CD ersetzt. Solch grobe mechanische Eingriffe in den Abspielvorgang wie bei der Langspielplatte oder der robusteren Maxi-Single waren hier nicht mehr möglich – die neuen digitalen Scheiben rotierten im Verborgenen und selbst wenn jemand die Abdeckung eines CD-Spielers entfernt hätte, so hätte schon rein technisch das einfache Veränderung der Umdrehungsgeschwindigkeit einer CD nicht funktioniert und nur zu sofortigen Tonaussetzern geführt, von Gedanken an „Scratchen“ ganz zu schweigen. Zudem werden CDs mit Lasern abgetastet, die wortwörtlich „ins Auge gehen können“ und sind aus gutem Grund beim Abspielen in Schubladen verborgen.

Die Industrie war im Laufe der Jahre dennoch findig und baute schließlich doch CD-Spieler für DJs, bei denen die Abspielgeschwindigkeit in gewissen Grenzen verändert werden kann. Auch Scratch-ähnliche Effekte wurden schließlich möglich. Und inzwischen sind ähnliche Effekte auch im Computer möglich, der nicht nur im Rundfunkstudio, sondern auch in Diskotheken und bei privaten Partys ohnehin oft die Rolle normaler CD-Spieler übernommen hat: Endlich kann sich der Gastgeber in Ruhe seinen Gästen widmen, ohne dass deshalb ein Saboteur die hinterm Sofa versteckte Heino-Platte entdeckt und auflegt. Moderne DJ-taugliche MP3-Abspielprogramme mixen die MP3s samt Übergängen und Taktanpassung automatisch so zusammen, dass es zumindest dem Können eines durchschnittlichen Plattenjongleurs der Siebziger und Achtziger nahe kommt.

Conax-Smartcard für Technisat-Radiopaket (mit Radio Caroline) und MTV UK (Bild: Technisat)

Was sich dagegen weniger bewahrheitet hat, ist die einstige Prophezeiung Video killed the radio star der Buggles: Zwar gibt es auf MTV & Co. tatsächlich VJs statt DJs, doch dank der furzenden Klingeltonwerbung ("Ich habe kaum noch Freunde, das gebe ich zu, aber ich habe viele Abonnenten") ist das Image dieser Sender inzwischen noch hinter HSE24, 9live, RTL II und DSF gelandet. Als Abhilfe bietet der Satellitenreceiverhersteller Technisat übrigens nun ein Abo des englischen MTV-Paketes an, das nicht wie das deutsche MTV kostenlos ist, bei dem dafür aber auch bei uns längst stillgelegte anspruchsvollere Kanäle wie VH1 verfügbar sind und außerdem die Musikbeiträge nicht die Werbespots für Klingeltöne unterbrechen, sondern umgekehrt. Dazu ist ein Receiver mit Conax-Decoder – ein Alphacrypt-Modul der neuesten Generation ist auch geeignet – und eine Technisat Smartcard erforderlich, während man die einzelnen Programme auf Rubbelkarten ähnlich dem bei Prepaid-Handys verwendeten Verfahren für Preise ab 3,50 pro Monat nachkauft.

In den Discotheken haben sich die Videos dagegen weniger bewährt: Wenn beim Tanzen die hübsche Blonde ständig die Videowand ansah statt auch nur einmal die anderen Anwesenden, führte dies bei den männlichen Discothekengästen auf Dauer nicht gerade zu Begeisterung und wenn der Discjockey ein Einsehen hatte und stattdessen ein Fußballspiel auf die Leinwand gab, waren wiederum die Frauen sauer.

Discjockeytauglich umgebautes Tapedeck von Artyom aus Russland (Bild: Artyom)

Auch waren mit Videokassetten und auch heute mit DVDs beim besten Willen nicht die Mixmöglichkeiten gegeben, die reine Tonträger bieten: Schneller Vorlauf mit Bild mag ja gehen, aber das Video 10% schneller oder langsamer abzuspielen, das geht nicht und wenn jemand es fertigbrächte, ein Musikvideo zu „scratchen“, dürfte dies zu massiven Verkehrsunfällen auf der Tanzfläche führen – schon der normale bei MTV übliche hektische Videoschnitt kann ja auch ohne Tanzen bereits schwindlig machen. Allerdings werden inzwischen öfters Computer – genauer gesagt die Visualisierungsfunktionen von Mediaplayer & Co. – und Beamer dazu verwendet, psychedelische Bilder auf die Leinwand zu projizieren, so wie es in den 60ern noch Ölfilmprojektoren taten.

Nun klingt das schon bombastisch: Spezial-DJ-CD-Spieler, Video, DVD, Computer, Beamer. Schön für den gesetzten Juppie. Aber was macht der junge Musikfan? Schon Plattenspieler und vor allen Dingen Platten hatten auch früher nur die reicheren Kinder. Der Rest hatte Kassettenrekorder, mit denen man zum Leidweisen der Musikindustrie entweder aus dem Radio oder von den Platten der reicheren Freunde Mitschnitte anfertigte. Kassetten verkratzten zudem auch nicht und litten auch beim häufigen Party-Einsatz nicht, solange kein Bandsalat oder -reißer produziert wurde oder jemand nach ausgiebigem Alkoholgenuss ausgerechnet die Plastiktüte mit den Kassetten für eine Kotztüte hielt.

So richtig kreativ konnte man mit Kassetten jedoch nicht umgehen: Weder waren die einzelnen Stücke darauf so schnell zu finden wie auf normalen Schallplatten oder gar CDs, noch war das Überblenden auch mit zwei Kassettenrecordern so einfach. Von Geschwindigkeitsanpassung oder gar Scratchen ganz zu schweigen.

Rustikal, aber funktionabel: DJ-Tapedeck (Bild: Artyom)

In Deutschland ist der Elektronikselbstbau seit der Verbreitung der Computer bei der Jugend leider aus der Mode gekommen; man rümpft sogar die Nase über die "Bastler", ebenso wie bei Geschenken heute oft taktlos gefragt wird "Was hat das dann gekostet?" und mit Liebe selbstgebastelte Geschenke nicht mehr viel gelten, auch wenn sich der Schenkende dabei vielleicht mehr gedacht hat als der, der nur schnell im Geschäft fantasielos eine Glückwunschkarte und eine Schachtel Pralinen abgegriffen hat. In anderen Ländern, wo man nicht einfach alles fertig bei Karstadt kaufen kann, wird dagegen noch "gebastelt".

Und so ist nun ein russischer DJ, nein, TJ, bekannt geworden, der Kassettenrekorder so umgebaut hat, dass diese in der Geschwindigkeit variabel sind und sogar das direkte manuelle Hantieren mit dem Band ermöglichen. Wie lange die Kassetten dies mitmachen, ohne zu reißen, mag eine andere Frage sein, doch im Gegensatz zur Schallplatte kann man ja zuvor sicherheitshalber mehrere Kopien anlegen. Und Kassetten sind auf jeden Fall billiger als die heute oft gar nicht mehr beschafft Ware Vinylschallplatte. Ein Computer (Celeron 1700 MHz mit Soundkarten) findet sich beim Tapejockey Artyom zwar auch, jedoch lediglich, um über eine MIDI-Tastatur noch ein paar eigene Töne einzuspielen. Die eigentliche Musik kommt analog vom Band.

Zwar wäre bei uns niemand mehr bereit, etwas Derartiges aus Sperrholz und Elektronik zusammen zu bauen. Aber immerhin: die Blogger können sich noch dafür begeistern. Denn dass so was überhaupt möglich ist, hatte niemand erwartet.

Holz statt Alu: Tapejockey Artyom aus Russland bei der Arbeit. Seine Mixe kann man auch kaufen – auf Kassette, versteht sich (Bild: Artyom)